Garching bei München ist nicht unbedingt der Platz, wo man
heute ein modernes Hochleistungsteleskop errichten würde. Trotzdem
konnte dort unlängst eine ganz besondere Beobachtungseinrichtung ihr
"First Light" feiern: ASTROVIRTEL, ein virtuelles Teleskop, das
Europas neues digitales Fenster zum Universum werden soll.
Wenn ein Astronom eine geniale Idee für eine Beobachtung hat, stehen ihm
weltweit diverse erstklassige Teleskope zur Verfügung. Doch vor den Blick
in den Himmel, muss der Wissenschaftler erst einmal Beobachtungszeit
beantragen und ein Gutachtergremium von der Wichtigkeit seines Projektes
überzeugen. Der Andrang für die Nutzung beispielsweise des Very Large
Telescope (VLT) oder des Hubble-Weltraumteleskops (HST) ist
groß: Noch nicht einmal jeder vierte Antrag ist erfolgreich.
Wer jedoch das Glück hatte, einige wertvolle Stunden an einem dieser
weltbesten Teleskope zu ergattern, darf die gewonnen Daten meist ein Jahr
lang exklusiv auswerten. Danach werden sie auch anderen Wissenschaftlern
zur Verfügung gestellt. Das macht die Daten nicht wertloser: Viele
wissenschaftliche Veröffentlichungen und wichtige Forschungsergebnisse
beruhen gerade auf der Auswertung dieses Archivmaterials.
Und genau hier setzt nun ein neues gemeinsames Projekt der
Europäischen Südsternwarte (ESO) und der Space Telescope-European
Coordinating Facility (ST-ECF) an: Im Rahmen von ASTROVIRTEL, was für
"Accessing Astronomical Archives as Virtual Telescopes"
steht, sollen die Datenschätze aus Beobachtungen beispielsweise mit dem
HST, VLT, dem New Technology Telescope (NTT), dem Wide Field
Imager (WFI) oder dem Infrared Space Telescope (ISO) auf eine
ganz neue Art zugänglich gemacht werden.
Hauptunterschied zu herkömmlichen Datenarchiven soll sein, dass
ASTROVIRTEL wie ein virtuelles Teleskop betrieben wird. Wissenschaftler,
die ein Projekt mit ASTROVIRTEL durchführen wollen, können nach Garching
reisen und vor Ort mit Archivexperten nach den Daten suchen, die sie für
ihre Forschung benötigen. Denn die enormen Datenmengen, die heutige
Großteleskope produzieren, können ohne spezielle Archivierungsverfahren
und Software gar nicht mehr gemeistert werden.
"Daten des HST oder des VLT wurden schon immer öffentlich
verfügbar gemacht", erläutert Piero Benvenuti von der ST-ECF die
Vorzüge des neuen Projektes. "Aber ASTROVIRTEL ist anders.
Astronomen sind nun eingeladen das Archiv als ein eigenständiges Teleskop
zu benutzen, also als eine Einrichtung die ihnen eine Antwort auf ihre
ganz spezielle wissenschaftliche Frage liefern kann."
Durch diese Nutzung können, so die Hoffnung des Projektes, auch
Informationen aus Beobachtungen gezogen werden, an denen der
ursprüngliche Beobachter gar nicht interessiert war. Damit das auch
klappt, soll ASTROVIRTEL innerhalb der nächsten vier Jahre über eine
unvorstellbare Datenmenge verfügen: nämlich über mehr als 100 Terabyte
- das sind 100.000.000.000.000 Bytes. Und damit wird sich, so die Hoffnung
des Teams, für Europas Astronomen ein neues digitales Fenster zum
Universum öffnen.