Hallo ispom u.a.,
ich denke, niemand muss sich in dieser Diskussion in eine braune Ecke stellen lassen, auch wenn er/sie Eugenik für wünschenswert hält. Der Ansatz für die Eugenik-Bewegung in den USA und Westeuropa am Anfang des 20. Jahrhunderts war ja durchaus plausibel: Wenn durch fehlende natürliche Selektion der Genpool des Menschen zunehmend mit fehlerhaften Genen angereichert ist, die zu "Erbkrankheiten" führen, dann muss der Mensch durch bewussten Eingriff diese Rolle übernehmen. Der z.B. durch Trisomie 21 geistig behinderte Mensch galt - im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen - zugleich als minderwertig bzw. nicht als würdig, seine Gene fortzupflanzen. Also: Zwangssterilisierung. Logisch, oder? Mit anderen Gendefekten verfuhr man ebenso. Schließlich ging es um das Wohl der künftigen Generationen. Das allgemeine Erschrecken setzte ein, nachdem bekannt wurde, dass in Deutschland Behinderte während der Nazizeit ermordet wurden.
Seit den Fortschritten in der Molekularbiologie kommt Eugenik als Option wieder mehr und mehr in Mode. Zu erwarten ist, dass sich in nicht mehr allzu ferner Zeit eine zahlungskräftige Lobby durchsetzen wird, die - beginnend mit Baby-Design - die Menschenzucht einleitet. Irgendwann wird man sich mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, warum man ein genetisch geschädigtes Kind zur Welt gebracht hat, obwohl es doch Möglichkeiten gibt, dies zu verhindern ... usw. usf.
Das alles hat allerdings rein gar nichts mit Nazis oder Faschismus zu tun. Die Nürnberger Gesetze waren nur der perverseste Ableger einer pervertierten Idee, die eine Zeit lang modern war und möglicherweise wieder modern wird: Die verlockende Möglichkeit, sich selbst als "Intelligent Designer" einzusetzen, und diesen im Verlaufe des Designs zunehmend zu vervollkommnen. Die Nazis sahen sich selbst als Herrenrasse, und "Aufnordung" im Lebensborn war nur die konsequente Anwendung darwinistischer Prinzipien auf die Veränderung der Gesellschaftszusammensetzung. Die Vordenker der Eugenik lebten jedoch 50 Jahre vor Hitler in England und Amerika. Noch 1934 wurde Hitler für seine Bemühungen durch amerikanische Eugeniker dahingehend gelobt, das Deutschland im Begriff sei, "eine Politik zu verfolgen, die im Einklang steht mit den besten Gedanken von Eugenikern in allen zivilisierten Ländern." (zitiert aus: Jeremy Rifkin, Das biotechnische Zeitalter. München 2000, S. 195). Damit will ich nicht die Naziverbrechen relativieren, sondern zu bedenken geben, dass "Aufnordung" sich in die allgemeine Mode der Zeit einfügt.
Es ist nicht abzusehen, zu welchen Exzessen eine erneute Eugenik-Mode führen wird. Das erzeugte Leid dürfte jedoch im Verhältnis zum erkauften Glück dieses in einem Meer von Tränen ersäufen.
Viele Grüße!