Vor allem weil du ja den Anschein erweckt hast, man könne die Menschen, die aus der Sperrzone um Fukushima evakuiert wurden, wieder recht schnell repatriieren. Du hast dann zwar Zug um Zug relativiert.
Habe ich nicht. Ich habe präzisieren müssen, weil mir ständig seltsame Annahmen unterstellt wurden, erst die Zwangstrennung von Kindern von ihren Eltern, dann "Menschenversuche". Als nächstes kommt wohl die Frage, ob ich die getrennten Kinder, deren Eltern bei den Menschenversuchen ums Leben gekommen sind, wohl auch noch fressen möchte... Galileo, ich weiss, das ist natürlich nicht deine Absicht, aber versuch, zu verstehen, was ich meine, ohne mir irgendwelche menschenverachtenden Ideen zu unterstellen.
Ich halte nochmals fest, was ich ursprünglich sagen wollte.
1) Die Strahlungsbelastung in der gegenwärtigen Sperrzone rund um Fukushima ist nicht grösser als in gewissen Gebieten natürlich hoher Radioaktivität, wo die Menschen problemlos damit leben könen. Radioaktivität allein sollte einer Rückkehr also nicht im Wege stehen. Die Frage ist, ob die Quelle der Radioaktivität (Rd vs. Sr, Cs) eine wichtige Rolle spielt, kann ich nicht beurteilen, das müssen Experten tun. Ich denke zusätzlich, dass auch mit Dekontaminationsmassnahmen vieles möglich ist.
2) Um die Anzahl der Vertriebenen möglichst klein zu halten, sollte die Zone der Evakuierung der tatsächlichen Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch die Strahlenbelastung angepasst werden, mit besonderer Rücksicht auf die Kinder (da deren Knochen noch wachsen und sie deshalb einen überproportionalen Anteil an radioaktivem Sr einbauen könnten).
Letztlich geht es schlicht und einfach darum, das Leid zu minimieren. Die Forderung, alle Menschen innerhalb von 80 km vollständig zu evakuieren, ist genauso extrem und unrealistisch wie eine zwangsweise Rückschaffung aller Vertriebenen in ihre ursprünglichen Häuser. Die Lösung MUSS irgendwo dazwischen liegen, und bei der Bestimmung dieser Lösung wird man auf die obengenannten Punkte Rücksicht nehmen müssen.
Ich denke eher, du bist derjenige, der hier seine Aussagen relativiert hat, gerade in Bezug auf den Ausdruck "Opferzahlen".
galileo2609 schrieb:
Der Vergleich von Opferzahlen zu konventionellen Energien ist ja das, was insbesondere gerne die Kernenergie-Befürworter einfach so in den Raum stellen.
Hier sind offenbar die "Toten pro kWh" gemeint, bei denen Atomkraftwerke bekanntlich unbequem gut abschneiden. Darauf folgte:
Ob Ukraine oder Japan, nur die flächige Evakuierung als Katastrophenschutzmassnahme führt letztendlich zu den niedrigen Opferzahlen der Reaktorunglücke.
Hier kommt dann die Behauptung, es gäbe nur deswegen so wenige Tote, weil man evakuiere. Das ist, wie gezeigt, so nicht haltbar, weil selbst ein Verbleib aller Betroffenen in der Zone angesichts der relativ geringen radioaktiven Belastung nicht zu sehr vielen Toten führen würde - und selbst wenn, die Seltenheit von Reaktorunglücken dazu führt, dass die Zahlen trotzdem sehr klein bleiben. Daraufhin hast du dann erst die Vertriebenen meinen wollen, dann hast du es eigentlich ganz anders gemeint. Das ist für mich nicht besonders rund...
Reaktorunglücke sind eben erstaunlich "kontrollierbare" Katastrophen. Damit meine ich jetzt nicht den havarierten Reaktor selbst, sondern der Umgang mit der Krise in der Umgebung des Reaktors. Menschen können prophylaktisch Iod einnehmen, um sich gegen den schlimmsten Strahler in den ersten Tagen abzusichern. Gebiete können dekontaminiert werden, um radioaktive Staubpartikel loszuwerden. Menschen können wegziehen, um der erhöhten Strahlung in einem Ort zu entkommen, ohne direkte nachteilige Folgen für die Gesundheit. Gerade der Umstand, dass niedrige Radioaktivität wenn überhaupt, dann sehr langsam und mit geringer Wahrscheinlichkeit tötet, macht diese Unglücke ein stückweit kontrollierbar: man kann ihnen grundsätzlich entkommen, man kann sich neu organisieren. Bricht hingegen ein Staudamm, sind innert weniger Minuten einige tausend Menschen tot, ohne irgend eine Chance auf Flucht oder Prophylaxe. Auch vor den Staubpartikeln aus filterlosen Kohlekraftwerken in China kann sich niemand prophylaktisch schützen: wir atmen sie einfach ein und erkranken vielleicht daran.
Ich kann einfach nicht verstehen, wie man angesicht von zwei (hypothetischen) Schlagzeilen:
"Staudamm bricht in China! 10000 Tote!"
und
"Kernkraftwerksunfall in China! 10000 permanent Vertriebene!"
das zweite schlimmer als das erste finden kann. Immerhin leben diese Menschen noch! Wäre es denn besser, sie wären gleich gestorben? Stimmt, die überschwemmten Dörfer kann man wieder aufbauen, aber das bringt die Toten auch nicht zurück. Sie sind weg, verloren.
Vielleicht ist gerade der Umstand, dass die Atomenergie so wenige Todesopfer fordert, der Grund dafür, dass sie so gefürchtet ist und verteufelt wird: Über Überlebende, über fliehende Menschen, über evakuierte Gegenden lassen sich dramatische TV-Dokus drehen, Vorträge halten und Bücher schreiben. Tote eines Staudammbruches oder einer Gasexplosion hingegen hat man mit der Zeitung vom nächsten Tag praktisch wieder vergessen, oder man hört gar nie direkt von ihnen, weil sie ohne offensichtliche Zuordnung zur Nutzung einer bestimmten Energieform sterben.