Etwa 80 bis 120 Kilometer über der Erdoberfläche wird die
Luft so dünn, dass dieser Höhenbereich oft als Grenze zum Weltraum bezeichnet
wird. Dennoch hat diese Atmosphärenschicht eine enorme Bedeutung - einerseits
für den Flug von Satelliten und andererseits für das Erdklima. Im Rahmen des
Projekts GIGAWATT soll dieser Grenzbereich nun genauer untersucht werden.
Das GIGAWATT-Projekt, an dem die Universitäten Augsburg und Bern sowie
das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt sind, soll eine
bestimmte Sorte von Strömungen genauer unter die Lupe nehmen, die
sogenannten atmosphärischen Schwerewellen. Diese entstehen häufig in den
unteren Luftschichten und pflanzen sich von dort bis in über 100 Kilometer
Höhe fort - ähnlich wie Meereswellen, nur dass sie nicht nur horizontal,
sondern vor allem auch vertikal verlaufen. Im Grenzbereich zwischen
Atmosphäre und All brechen die Schwerewellen und verursachen dabei
chaotische Verwirbelungen. Dieser Vorgang ist es, der die Forschenden vor
allem interessiert. Denn das Schicksal der Schwerewellen hat Auswirkungen
auf unser Klima.
"Die Wellen stellen gewissermaßen die Weichen für die großen
erdumspannenden Strömungssysteme", erklärt Michael Bittner, Professor für
Atmosphärenfernerkundung an der Universität Augsburg. "Darunter sind
beispielsweise die hochliegenden Windsysteme, die den Luftaustausch zwischen
den Polen der Erde steuern. In Klimamodellen wird die Wirkung von
Schwerewellen bislang aber nur sehr ungenau abgebildet." Ein Grund: Zwar ist
die Ausbreitung und Brechung der Wellen physikalisch gut verstanden. Die
Gleichungssysteme, die diese Prozesse beschreiben, sind aber so komplex,
dass sie sich auch mit den schnellsten Supercomputern nicht lösen lassen.
Forschende behelfen sich daher mit Näherungen, sogenannten
Parametrisierungen, um den Werdegang der Wellen zu modellieren.
"Damit diese Modelle ein realistisches Ergebnis liefern, muss man sie
aber mit möglichst exakten Ausgangsdaten füttern", erläutert Bittners
Mitarbeiter Dr. Patrick Hannawald. Soll heißen: Man muss wissen, wo sich die
Wellen aktuell befinden und wie sie sich verhalten, um ihren Verlauf in die
Zukunft extrapolieren zu können. Und je genauer man das weiß, desto besser
wird das Ergebnis. Doch bislang ist es nur sehr schwer möglich, die Wellen
in der Grenzschicht zwischen Atmosphäre und All aufzuspüren. Genau hier
setzt das neue Projekt an: Die beteiligten Arbeitsgruppen möchten die
Schwerewellen mit verschiedenen Methoden exakter sichtbar machen.
"Dazu werden wir zusammen mit unseren Projektpartnern in den deutschen
und schweizer Alpen Radarsysteme installieren und zugleich optische Kameras
aufbauen", sagt Hannawald. "Damit lassen sich dann sogenannte tomografische
Messungen durchführen." Mit diesem Ansatz lassen sich die Wellenfronten in
ihrer dreidimensionalen Ausdehnung sichtbar machen. Die Beteiligten nutzen
dazu ein Phänomen, das als Airglow bekannt ist: Die Moleküle in der oberen
Atmosphäre werden durch die energiereiche Strahlung der Sonne angeregt, so
dass sie permanent schwach leuchten. Vom Weltall aus ist dieses Glühen mit
bloßem Auge zu sehen. Mit den Kameras soll das auch vom Boden möglich
werden.
Bereiche mit einem höheren Luftdruck - die Wellenberge, wenn man so will
- leuchten dabei besonders stark. "Aus den Intensitätsmustern lässt sich
daher auf den Verlauf der Wellen schließen", erklärt der Augsburger
Wissenschaftler. So werden in den Aufnahmen oft charakteristische Strukturen
sichtbar, ähnlich wie Rippeln in einem Sandstrand bei Ebbe. Wenn die Wellen
brechen, hinterlassen sie zudem in den Fotos eine Art "Gischtspur".
Diese Ergebnisse sind nicht nur für die Klimaforschung relevant, sondern
auch für einen ganz anderen Bereich. "Momentan nimmt die Zahl der Satelliten
im erdnahen Orbit rasant zu", sagt Prof. Bittner. "Dort etabliert sich
gerade ein neues Industriegebiet. Die Flugkörper haben aber nur eine
begrenze Lebensdauer - irgendwann fliegen sie immer niedriger und niedriger
und stürzen schließlich ab." Wenn sie bei diesem Prozess mit einer
Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde in die oberste
Atmosphärenschicht eintauchen, werden sie erheblich abgebremst. "Gerade in
den Bereichen, in denen die Schwerewellen brechen, werden die Satelliten so
stark durchgeschüttelt wie ein Auto auf einer Piste mit Schlaglöchern",
verdeutlicht Bittner. Das ist einer der Gründe, warum die Bahn der
High-Tech-Flugkörper sich bislang nicht gut vorhersagen lässt.
Die GIGAWATT-Ergebnisse könnten auch hier Fortschritte ermöglichen.
Vielleicht wird es auf ihrer Basis irgendwann möglich sein, Satelliten am
Ende ihrer Lebenszeit gezielt so abstürzen zu lassen, dass die Trümmer im
Meer landen - und nicht über bewohntem Gebiet niedergehen. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Swiss National Science Foundation
(SNSF) fördern das GIGAWATT-Projekt in den kommenden drei Jahren mit
insgesamt 1,2 Millionen Euro.