Polarlichter beeinflussen Chemie in der Atmosphäre
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
7. Juli 2023
Über den Polen des Gasriesen Jupiters leuchten fortwährend Polarlichter von
riesigem Ausmaß. Das malerische Phänomen prägt die Vorgänge in der Atmosphäre
des Gasriesen stärker als bisher gedacht. Dies ergab nun die Auswertung von
Daten mehrerer Teleskope. Zu Hilfe kamen dem Team dabei die Überreste des
Einschlags des Kometen Shoemaker-Levy 9 in die Jupiteratmosphäre.

Diese Aufnahme des
James-Webb-Weltraumteleskops im Infraroten zeigt die
imposanten Polarlichter an den Polen des Gasriesen Jupiter.
Bild: NASA, ESA, Jupiter ERS Team;
Bildverarbeitung: Ricardo Hueso (UPVEHU) und Judy Schmidt [Großansicht] |
Das Eintauchen der insgesamt 21 Bruchstücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 in
den Jupiter im Juli 1994 war ein spektakuläres Ereignis. Da sich die Kollision
schon Jahre zuvor vorhersagen ließ, konnten leistungsstarke Teleskope auf der
Erde und im Weltraum den Zusammenstoß und seine Auswirkungen genau mitverfolgen.
Als markante, schwarze, wolkenartige Gebilde zeigen sich die Einschlagstellen
etwa auf Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops. Weitere Messungen ergaben, dass
der Komet zahlreiche Molekülarten wie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Wasser und
Blausäure in die Jupiteratmosphäre eintrug, die dort zuvor nicht heimisch waren.
Da diese Moleküle über viele Jahrzehnte stabil bleiben, boten die
"Fremdkörper" Forschenden eine einzigartige Gelegenheit: Über viele Jahre
konnten sie beobachten, wie sich die Moleküle über den Jupiter verteilen und so
wertvolle Einblicke in die Winde und chemischen Reaktionen in der Atmosphäre des
Gasriesen gewinnen. Die Messungen von 2017, die Forschende unter Leitung der
Universität von Bordeaux jetzt ausgewertet und veröffentlicht haben, zeichnen
die Verteilung des eingetragenen Kohlenmonoxids und der Blausäure in bisher
unerreichter Genauigkeit nach.
Das Team hat auf diese Weise den gesamten Planeten kartiert und dabei auch
die Polarregionen des Jupiters in hoher Auflösung erfasst. Diese sind Schauplatz
seiner gewaltigen Polarlichter, die sich über eine Fläche mit einem Durchmesser
von mehr als 40.000 Kilometern erstrecken. In deutlich kleinerer Ausführung ist
dieses Phänomen auch auf der Erde bekannt. Wenn in Phasen starker
Sonnenaktivität hochenergetische Sonnenwindteilchen entlang der Feldlinien des
Erdmagnetfeldes auf die irdische Atmosphäre treffen, werden dort in einer Höhe
von 100 bis 1000 Kilometern Moleküle ionisiert. Als Folge emittieren diese Licht
verschiedener Wellenlängen und erzeugen so das diffuse Leuchten in Grün-, Blau-
und seltener Rottönen.
Auch auf dem Jupiter erzeugt ein Zusammenspiel aus geladenen Teilchen,
Magnetfeld und Atmosphäre die Polarlichter. Allerdings ist das Magnetfeld des
Jupiters etwa zwanzigmal stärker als das der Erde; die Polarlichter leuchten in
allen Wellenlängenbereichen vom Infraroten bis hin zur Röntgenstrahlung. Zudem
sind die Polarlichter des Jupiters – anders als die der Erde – eine ständige
Erscheinung. Als Auslöser werden neben Sonnenwindteilchen auch Teilchen
vermutet, die den heftigen Vulkanausbrüchen des Jupitermondes Io entstammen.
"Die Polarlichter des Jupiters faszinieren Forscher, die sich mit der Dynamik
und Chemie der Jupiteratmosphäre beschäftigen, schon seit Langem", so Dr. Paul
Hartogh vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen. Im
vorvergangenen Jahr etwa berichtete ein Forscherteam, zu dem neben Hartogh zwei
weitere Wissenschaftler vom MPS zählten, von stabilen stratosphärischen Winden,
die unterhalb der Polarlichter wehen. "Wir denken, dass uns die Moleküle, die
der Komet vor fast 30 Jahren in die Jupiteratmosphäre eingetragen hat, helfen
können, die Vorgänge im Bereich der Polarlichter besser zu verstehen", so Dr.
Ladislav Rezac vom MPS.
Mithilfe von Messungen des Radioteleskops Atacama Large
Millimeter/Submillimeter Arrays (ALMA) in der chilenischen Atacamawüste und des
International Gemini Observatory auf Hawaii von 2017 konnte die
Forschergruppe nun die Verteilung von Kohlenmonoxid und Blausäure in der
Jupiteratmosphäre genau untersuchen. Im Vergleich zu älteren Studien, die auf
den Messungen anderer bodengebundener Teleskope beruhen, bieten diese Messdaten
eine deutlich höhere räumliche Auflösung. Wie die Auswertungen nun genau
belegen, haben sich beide Molekülsorten seit des Einschlags des Kometen
Shoemaker-Levy 9 im Jahr 1994 in ähnlicher Weise weit in der Jupiteratmosphäre
verteilt und bevölkern mittlerweile auch einen ausgedehnten Höhenbereich.
In der Region unterhalb der Polarlichter fand das Forscherteam allerdings
eine unerwartete Auffälligkeit: Dort zeigen die Messungen deutlich weniger
Blausäure als erwartet. "Da beide gemessenen Molekülsorten den gleichen
dynamischen Kräften wie etwa Winden unterliegen, bedeutet dies, dass die
Blausäure durch andere Mechanismen beeinflusst wird", so Rezac. Winde hätten
beide Molekülsorten in gleicher Weise verteilt. "Stattdessen muss es offenbar
einen chemischen Vorgang geben, an dem nur die Blausäure beteiligt ist und der
nur unterhalb der Polarlichter auftritt", schlussfolgert der Forscher.
Die Erklärungen der Forschenden drehen sich vor allem um winzige Aerosole,
die sich im Bereich der Polarlichter bilden. Angeregt durch elektromagnetische
Strahlung im Höhenbereich der Polarlichter bilden sich einfache
Kohlenwasserstoffe, die zu komplexeren Kohlenwasserstoffketten wie Benzol
anwachsen, bis sich schließlich gasförmige polyzyklische aromatische
Kohlenwasserstoff (PAHs) bilden. Diese kondensieren nach und nach und die so
entstandenen Aerosole sinken in niedrigere Schichten der Stratosphäre. Chemische
Reaktionen auf diesen Aerosolen führen zur Zerstörung der Blausäure.
Dieser Mechanismus erinnert an die Ozonzerstörung in der polaren
Erdstratosphäre durch chemische Reaktionen auf polaren Stratosphärenwolken.
"Aerosole spielen offenbar in der Atmosphärenchemie der polaren
Jupiterstratosphäre eine wichtige Rolle, ähnlich wie in der polaren
Erdstratosphäre", so Hartogh. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, hoffen
die Forscher nun auf Messungen des James-Webb-Weltraumteleskops, das seit
vergangenem Jahr in Betrieb ist. Das Teleskop ist in der Lage, die Verteilung
von Kohlendioxid in der Jupiteratmosphäre mit hoher Genauigkeit zu bestimmen.
Und auch die Weltraummission JUICE dürfte genauere Erkenntnisse liefern. Die
gleichnamige ESA-Raumsonde, die seit April dieses Jahres den Jupiter ansteuert,
trägt das Submillimetre Wave Instrument (SWI) an Bord. Es wurde unter
Leitung des MPS entwickelt und gebaut und wird vor Ort im Jupitersystem ab 2031
einen besonders guten Blick auf die Vorgänge in der Atmosphäre des Gasriesen
haben. So wird etwa die räumliche Auflösung der Messdaten von SWI die von ALMA
um das Hundertfache übertreffen; zudem wird SWI weitere Spurengase, die auf den
Kometeneinschlag zurückzuführen sind, wie etwa Schwefelkohlenstoff detektieren
können.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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