Wie sich Biomoleküle unter der Marsoberfläche finden lassen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
9. September 2022
Ein Forschungsteam hat das 469 Tage währende
Langzeitexperiment BIOMEX mit Biomolekülen auf der Außenwand der
Internationalen Raumstation ISS ausgewertet. Die Studie kommt zu dem Ergebnis,
dass Biomoleküle auf dem Mars überleben können und sich zudem unter einer simulierten Marsoberfläche
mit Raman-Spektroskopie identifizieren lassen.

BIOMEX wurde im Juli 2014 mit der Mission
Progress 56P zur ISS gebracht. Nachdem die
Experimentplattform EXPOSE-R2 im August 2014 an
der Außenwand des Swesda-Moduls der ISS
angebracht wurde, entfernten am 22. Oktober 2014
die Kosmonauten Maxim Surajew und Alexandr
Samokutjaew die Schutzabdeckung. Damit begann das
BIOMEX-Experiment, bei dem Biomoleküle 469 Tage
Weltraumbedingungen ausgesetzt waren.
Foto: ESA / Roskosmos [Großansicht] |
Chlorophyllin, Beta-Carotin, Melanin, Chitin, Zellulose, Naringenin,
Querzetin – solche exotisch klingenden biologischen Verbindungen sind wichtige
Bestandteile irdischer Organismen, die extreme Umweltbedingungen aushalten.
Zwischen Oktober 2014 und Februar 2016 wurden diese sieben Moleküle einem
Langzeit-Stresstest im Weltall unterzogen. Überleben diese Substanzen auch die
harten Strahlungsbedingungen im All? Wie stark setzen ihnen die extremen
Temperaturunterschiede dort zu? Wie verändern sie sich? Und könnten sie
beispielsweise auf dem Mars auch mit ferngesteuerten Messinstrumenten
identifiziert werden?
469 Tage wurden die Biomoleküle an der Außenwand der Internationalen
Raumstation ISS der intensiven Strahlung und dem alle 90 Minuten wechselnden
Tag-und-Nacht-Rhythmus ausgesetzt. Das Ergebnis des vom Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt (DLR) angeführten Experiments zeigt, dass die Biomoleküle im
Marsboden zum einen fast unverändert überleben würden, vor allem aber mit der
Methode der Raman-Spektroskopie auf dem Mars identifiziert werden könnten.
"Unsere Ergebnisse sind die ersten systematisch gemessenen Raman-Signaturen,
quasi Fingerabdrücke von isolierten und im niedrigem Erdorbit dem Weltall
ausgesetzten Biomolekülen", erklärt Dr. Mickael Baqué vom DLR-Institut für
Planetenforschung. "Sie bestätigen, dass wir die Raman-Spektroskopie, eine
schnelle und zerstörungsfreie Messtechnik, für die Suche nach Spuren von Leben
auf dem Mars einsetzen können – insbesondere im von der UV-Strahlung
abgeschirmten Untergrund."
BIOMEX steht für BIOlogy and Mars EXperiment und war eines von vier
Experimenten, die unter dem Namen EXPOSE-R2 zusammengefasst waren. Die
Experimente wurden gemeinsam von der Europäischen Weltraumorganisation ESA und
der russischen Agentur Roskosmos auf der ISS durchgeführt. Am 18. Juni
2016 kehrten die nach dem Experiment vor Licht- und Umwelteinflüssen geschützten
Proben mit dem ESA-Astronauten Tim Peake in einer Sojus-Kapsel zur Erde zurück.
Die Auswertung erfolgte unter anderem am DLR.
Die Suche nach fossilen oder noch heute lebenden Organismen auf anderen
Himmelskörpern ist eine der großen Triebfedern der aktuellen Planetenforschung.
Leben ist bisher nur auf der Erde bekannt, aber es ist denkbar, dass sich Leben
einst auch auf dem Mars, dem äußeren Nachbarplaneten der Erde, entwickelte oder
dort vielleicht sogar noch heute existiert. Vor drei bis vier Milliarden Jahren
gab es Wasser auf dem Mars, die Atmosphäre war dichter als heute und die
Temperaturen höher.
Mobile Marsroboter wie der vor zehn Jahren im Krater Gale gelandete Rover
Curiosity haben in Sedimentgesteinen nachgewiesen, dass die wichtigsten
chemischen Elemente für die Voraussetzungen von Leben vorhanden sind, wie
Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor. Spuren
von Leben, sogenannte Biosignaturen, wurden jedoch noch nicht entdeckt.
"Die jetzt in BIOMEX exponierten und danach untersuchten Biomoleküle spielen
eine Schlüsselrolle für die aktuelle und zukünftige Suche nach Biosignaturen",
erläutert der damalige Leiter des BIOMEX-Experiments Dr. Jean-Pierre Paul de
Vera vom Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) in der DLR-Einrichtung
Raumflugbetrieb und Astronautentraining. 2Denn um den Nachweis von Lebensspuren
überhaupt führen zu können, müssen wir wissen, was die harschen
Umweltbedingungen mit potentiellen Organismen und ihren molekularen
Bestandteilen auf dem Mars machen, wie stabil sie sind oder wie sie sich
gegebenenfalls durch die UV-Strahlung verändern und das dadurch gemessene Signal
variiert."
Vor allem die auf dem Mars viel stärkere UV-Strahlung und eine die Moleküle
ionisierende Strahlung, aber auch die oxidierende Umgebung und extreme
Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht setzen fossilen oder existierenden
Organismen zu. Das geschieht nicht nur auf dem Boden, sondern auch in
Zentimetern bis zu Metern unter der Oberfläche. Für BIOMEX wurden deshalb sieben
Molekülsorten für mehrere hundert Proben ausgewählt, beispielsweise Archaeen,
einzellige Organismen ohne Zellkern, wie sie auch ganz am Anfang der Entwicklung
von Leben auf der Erde standen und deren Existenz vor Milliarden Jahren auch auf
dem Mars für möglich gehalten wird.
Die für BIOMEX ausgewählten Biomoleküle sind Bestandteil von irdischen
Organismen, die unter extremsten Bedingungen – Trockenheit, Kälte, Hitze,
UV-Strahlung – zu überleben in der Lage sind, sogenannte extremophile
Organismen. An solchen Biomolekülen wurde bei Laboruntersuchungen auf der Erde
bereits gezeigt, dass sie mit Raman-Spektroskopie identifiziert werden können.
Für BIOMEX wurden die Biomoleküle auf zwei unterschiedlichen, am Museum für
Naturkunde Berlin entwickelten Mars-Analogmaterialien aufgebracht
beziehungsweise mit dem Regolith, dem simulierten Marsboden, vermischt: einmal
ein Regolith, der mehr aus Schichtsilikaten besteht und der dem frühen Mars
entspricht, und zum anderen ein schwefelhaltiges Substrat, das eher einem im
Mars-Mittelalter entstandenen Regolith ähnelt. Anschließend wurden die Proben in
drei Lagen unter hochtransparentem Glas von einer der Marsatmosphäre
entsprechenden "Luft" umgeben bzw. vakuumiert, so dass nur die oberste Lage den
Weltraumbedingungen direkt ausgesetzt war, und bei den beiden darunterliegenden
Lagen die Biomoleküle gewissermaßen geschützt sind und Proben unter der
Marsoberfläche repräsentieren.
BIOMEX wurde am 24. Juli 2014 mit der Versorgungsmission Progress 56P
zur ISS gebracht und am 22. Oktober 2014 von den Kosmonauten Maxim Surajew und
Alexandr Samokutjaew durch Entfernen der Schutzabdeckung am Swesda-Modul der
Raumstation den Weltraumbedingungen ausgesetzt. "Die ISS umkreist die Erde in
rund 400 Kilometer Höhe. Dort ist die UV-Strahlung um ein Vielfaches stärker als
auf der Erde", erklärt de Vera. "Die ISS bot ideale Voraussetzungen für dieses
Experiment, denn die Weltraumbedingungen kommen der Situation auf dem Mars,
dessen Schutz durch die Atmosphäre wesentlich geringer ist als auf der Erde und
deshalb ebenfalls viel UV-Strahlung empfängt, viel näher."
Ein Teil von BIOMEX war auch ein von der DLR-Wissenschaftlerin Dr. Petra
Rettberg geleitetes, begleitendes Experiment im DLR-Institut für Luft- und
Raumfahrtmedizin in Köln, wo die gleichen Biomoleküle unter
Quasi-Marsbedingungen in einer Weltraum-Simulationskammer typischen
Strahlungsbedingungen und Temperaturunterschieden ausgesetzt waren. Nach der
Rückkehr von BIOMEX wurden die Proben aus dem All und die des irdischen Labors
verglichen. "Die Datenauswertung gestaltete sich sehr aufwendig und musste sehr
sorgfältig vorgenommen werden", blickt Baqué auf anstrengende Jahre nach dem
Experiment zurück. "Besonders schwierig wurde es dann, wenn sich in den
Raman-Spektren zu den Signaturen der Biomoleküle auch diagnostische Linien von
abiotischen Stoffen, also beispielsweise dem eisenhaltigen Mineral Hämatit oder
von nicht-organischem Kohlenstoff gesellten und wir das auseinanderhalten
mussten. Aber am Ende haben wir jetzt ein solides Ergebnis vorliegen, mit dem
die Suche nach früherem oder noch existierendem Leben auf dem Mars wirklich
verbessert werden kann."
Wie erwartet, veränderte die ultraviolette Strahlung die Signale des
Raman-Spektrums bei all jenen Proben stark, die sich in der Versuchsanordnung
oben an der Oberfläche befanden und unmittelbar der UV-Strahlung ausgesetzt
waren. Aber es wurden nur geringfügige Änderungen der Spektren beobachtet, wenn
die beiden darunter folgenden Probenreihen vor dem UV-Licht abgeschirmt waren.
"Diese Erkenntnis ist für diejenigen Marsmissionen, die nach Biosignaturen unter
der Marsoberfläche suchen, von fundamentaler Bedeutung", freut sich de Vera.
"Biosignaturen direkt auf der Oberfläche sind für die Raman-Spektroskopie
allerdings schwieriger zu identifizieren. Doch dafür gibt es andere, heute noch
besser geeignete Methoden."
Raman-Spektroskopie wird aktuell auf der seit 2021 im Krater Jezero
operierenden NASA-Mission Mars 2020 und ihrem Rover Perseverance
mit den Experimenten SuperCam und SHERLOC durchgeführt. Außerdem soll sie auf
der europäischen Mission ExoMars mit dem Rover Rosalind Franklin zum
Einsatz kommen. An beiden Missionen sind auch DLR-Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler beteiligt.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science Advances erschienen ist.
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Baqué, M. et al. (2022): Biosignature stability in space enables
their use for life detection on Mars,
Sci. Adv., 8, eabn7412
DLR
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