Helga und Zohar bereit für Start zum Mond
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
27. April 2022
Noch in diesem Jahrzehnt soll erstmals eine Astronautin den
Mond betreten. Der weibliche Körper ist allerdings empfindlicher für
Strahlenbelastung als der von Männern. Auf der ersten Artemis-Mission rund um
den Mond werden daher zwei Messpuppen mitreisen, die speziell auf den weiblichen
Körper zugeschnitten sind. Sie wurden jetzt an die NASA geliefert.
Die Messpuppe Helga.
Foto: DLR (CC BY-NC-ND 3.0) [Großansicht] |
Die NASA wird 2022 mit der Mission Artemis I nach fast 50 Jahren
erstmals wieder ein Raumschiff zum Mond schicken. Nun sind die ersten beiden
Passagiere Helga und Zohar auf dem Weg zur NASA nach Florida. Für den nicht mit
Menschen besetzten Testflug werden die "Messpuppen-Zwillinge" im Cockpit der
Orion-Kapsel sitzen. Das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
geleitete MARE-Experiment untersucht mit zwei baugleichen sogenannten Phantomen
die Strahlenbelastung während des gesamten bis zu sechswöchigen Fluges, speziell
zugeschnitten auf den weiblichen Körper.
Dies hat einen speziellen Grund: Die NASA plant mit den Artemis-Flügen die
erste Frau zum Mond zu schicken. Forschende des Kölner DLR-Instituts für Luft-
und Raumfahrtmedizin haben das Experiment erfolgreich vorbereitet und für den
Einbau am Kennedy Space Center der NASA nun ausgeliefert. Teil des
Experiments ist auch eine Strahlenschutzweste, die erprobt wird. Der Start von
Artemis I ist derzeit für den Sommer 2022 geplant. Der Aufbau und
Einbau der Messpuppen soll rund vier Wochen vor dem eigentlichen Start beginnen.
Außerhalb des schützenden Erdmagnetfelds ist die Strahlenbelastung für den
menschlichen Organismus deutlich erhöht. Der weibliche Körper reagiert darauf
wegen strahlungsempfindlicher Organe wie der weiblichen Brust noch empfindlicher
als der männliche Körper. Insgesamt ist die Strahlung eine der größten
Herausforderungen für längere astronautische Missionen ins tiefere Weltall bis
hin zum Mars. "Mit MARE, dem größten je außerhalb der Erdumlaufbahn geflogenen
Strahlungsexperiment, wollen wir herausfinden, wie genau sich die
Strahlungswerte während eines vollständigen Mondfluges für Astronautinnen
verhalten und welche Strahlenschutzmaßnahmen dagegen hilfreich sein können",
sagt Dr. Thomas Berger, Leiter der Arbeitsgruppe Biophysik in der Abteilung
Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. "In den
vergangenen Wochen und Monaten haben wir Helga und Zohar an den DLR-Standorten
in Köln und Bremen vollständig durchgecheckt unter anderem mit Tests zu
Auswirkungen der Vibrationen beim Start der Mission Artemis I.
Weiterhin haben wir einen vollständigen Testlauf des Aufbaus der Messpuppen
durchgeführt, damit später am Kennedy Space Center alles reibungslos
verläuft."
Die "Messpuppen-Zwillinge" sind weiblichen Körpern nachempfunden. Frauen
haben ein allgemein höheres Krebsrisiko und darum gelten für Astronautinnen
stets andere Strahlungsgrenzwerte als für ihre männlichen Kollegen.
Geschlechtsspezifische Messungen mit Phantomen im All gab es bislang nicht.
"Genauer sind beide Puppen aus Materialien hergestellt, die die menschlichen
Knochen, Weichteile und Organe einer erwachsenen Frau nachahmen. Mehr als 10.000
passive Sensoren und 34 aktive Strahlungsdetektoren sind in die 38 Scheiben
integriert, aus denen die Puppen zusammengesetzt sind", erklärt
MARE-Projektleiter Dr. Thomas Berger.
Beide Phantome sind 95 Zentimeter groß und 36 Kilogramm schwer. Eine von
ihnen – Helga – fliegt ungeschützt zum Mond, die andere – Zohar – trägt eine neu
entwickelte Strahlenschutzweste, AstroRad genannt. Im Vergleich der beiden
Datensätze lässt sich dann ermitteln, in welchem Ausmaß die von israelischen
Partnern entwickelte Weste eine Astronautin vor schädlicher Strahlenbelastung
schützen würde.
Die Erdatmosphäre und die Abschirmung des Erdmagnetfelds schützen uns vor dem
größten Teil der Strahlung im Universum, einschließlich der Strahlung unserer
Sonne. Wenn Astronauten die Erde verlassen, sind sie dem gesamten Spektrum der
im Weltraum vorhandenen Strahlung ausgesetzt. Das Orion-Raumschiff wird in den
ersten Stunden nach dem Start und bei der Rückkehr zur Erde zwei Perioden
intensiver Strahlung durchlaufen, wenn es durch die Van-Allen-Gürtel fliegt,
welche die vom Magnetfeld der Erde eingefangene Weltraumstrahlung beherbergen.
Wenn Orion über den Schutz des Erdmagnetfelds hinausfliegt, wird es
einer härteren Strahlungsumgebung ausgesetzt sein als die Besatzung der
Internationalen Raumstation ISS in der erdnahen Umlaufbahn.
Außerhalb der Van-Allen-Gürtel umfasst die Strahlungsumgebung im Weltraum
energetische Teilchen, die von der Sonne bei Sonneneruptionen erzeugt werden,
sowie Teilchen der galaktischen und extragalaktischen kosmischen Strahlung, die
von außerhalb unseres Sonnensystems kommen. "Die kosmische Strahlung ist eine
besondere Herausforderung bei längeren Missionen im freien Weltraum, denn sie
sorgt fortwährend für ein gewisses Level an energiereichen ionisierten
Teilchen", erklärt Privatdozentin Dr. Christine Hellweg, Leiterin der Abteilung
Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. "Die Vielfalt
der Teilchen in der kosmischen Strahlung reicht von Wasserstoff bis Eisen und
weiter bis zum Uran."
Helga und Zohar sind sogenannte anthropomorphe Phantome, dem menschlichen
Torso nachempfundene Messkörper. Mit ihnen hat das DLR bereits viel Erfahrung:
Zuletzt war ein Phantom, genannt Matroshka, des Kölner DLR-Instituts für Luft-
und Raumfahrtmedizin zwischen 2004 und 2011 auf der ISS im Einsatz. Außen auf
der ISS angebracht, sammelte das Phantom Strahlungswerte eines Astronauten, der
einen Weltraumspaziergang absolviert. Außerdem hielt sich das Phantom in
verschiedenen Teilen der Raumstation auf, um die Strahlenbelastung zu messen.
"Die Astronautinnen und Astronauten auf der Station sind einer
Strahlenbelastung ausgesetzt, die etwa 250-mal höher ist als die der Menschen
auf der Erde – in Köln. In größerer Entfernung vom Erdmagnetfeld und im
interplanetaren Raum könnte die Strahlenbelastung bei Erkundungsmissionen noch
viel höher sein – schätzungsweise bis zu 700 Mal höher", erklärt Berger.
Ziel der NASA-Mission Artemis I ist der erste zunächst unbemannte
Raumflug der Orion-Kapsel zum Mond, ihn zu umrunden und zur Erde zurückzukehren.
Dabei wird die Kapsel durch das European Service Module angetrieben und
versorgt, das mit deutscher Technologie hauptverantwortlich am Standort Bremen
gebaut wurde. Die Flugzeit wird zwischen 26 und 42 Tagen betragen. Dabei ist das
Experiment MARE als sogenannte "secondary" oder "scientific payload" dabei. Das
bedeutet, beide Phantome müssen autark vom Raumschiff funktionieren. Von der
Stromversorgung bis zur Datenspeicherung – alle Funktionen werden vollkommen
unabhängig vom Orion-Schiff sein. Das neue Mond-Programm der NASA wurde in
Anspielung auf die Apollo-Missionen Artemis benannt. Artemis ist in der
griechischen Mythologie die Mondgöttin und Zwillingsschwester Apollons.
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