Die Sonnenatmosphäre im Labor
Redaktion
/ Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf astronews.com
4. Januar 2022
Warum die Sonnenkorona Temperaturen von mehreren Millionen
Grad Celsius erreicht, ist eines der großen Rätsel der Sonnenphysik. Eine
Erklärung könnte sich in einer Schicht der Sonnenatmosphäre finden, in der sich
Schall- und bestimmte Plasmawellen gleich schnell bewegen. In einem
Laborexperiment konnte dieses Verhalten nun genauer untersucht werden.
Ein Plasma-Ausstoß während einer
Sonneneruption. Unmittelbar nach dem Ausbruch
bilden sich über dem Ausbruchsgebiet Kaskaden von
Magnetschleifen, da die Magnetfelder versuchen,
sich neu zu organisieren.
Bild: Solar Dynamics Observatory / NASA [Großansicht] |
Im Zentrum unserer Sonne ist es mit 15 Millionen Grad Celsius unvorstellbar
heiß. An ihrer Oberfläche strahlt sie ihr Licht bei vergleichsweise moderaten
6000 Grad Celsius ab. "Umso erstaunlicher ist es, dass in der darüber liegenden
Sonnenkorona plötzlich wieder Temperaturen von mehreren Millionen Grad
vorherrschen", sagt Dr. Frank Stefani. Sein Team forscht am Institut für
Fluiddynamik des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) zur Physik von
Himmelskörpern – darunter auch über unseren Zentralgestirn.
Für Stefani ist das Phänomen der Koronaheizung nach wie vor eines der großen
Rätsel der Sonnenphysik, das ihm in Gestalt einer ganz einfachen Frage immer
wieder durch den Sinn geht: "Warum ist der Topf wärmer als der Herd?" Dass für
die Heizung der Korona Magnetfelder eine dominierende Rolle spielen, ist in der
Sonnenphysik inzwischen weitgehend akzeptiert. Umstritten bleibt jedoch, ob
dieser Effekt hauptsächlich durch eine plötzliche Änderung von
Magnetfeldstrukturen im Sonnenplasma oder durch die Dämpfung verschiedener
Wellenarten zu Stande kommt.
Die neue Arbeit des Dresdner Teams nimmt die sogenannten Alfvénwellen in den
Blick, die unterhalb der Korona im heißen und von Magnetfeldern durchdrungenen
Plasma der Sonnenatmosphäre auftreten. Die auf die ionisierten Teilchen des
Plasmas einwirkenden Magnetfelder ähneln dabei einer Gitarrensaite, deren Spiel
eine Wellenbewegung auslöst. So wie die Tonhöhe einer angeschlagenen Saite mit
ihrer Spannung steigt, wächst die Frequenz und die Ausbreitungsgeschwindigkeit
der Alfvénwelle mit der Stärke des Magnetfelds.
"Unterhalb der Korona liegt der sogenannte magnetische Baldachin, eine
Schicht, in der Magnetfelder weitgehend parallel zur Sonnenoberfläche
ausgerichtet sind. Hier haben Schall- und Alfvénwellen in etwa die gleiche
Geschwindigkeit und können sich deshalb leicht ineinander umwandeln. Genau an
diesen magischen Punkt wollten wir vordringen – dahin, wo die schockartige
Verwandlung der magnetischen Energie des Plasmas in Wärme ihren Anfang nimmt",
umreißt Stefani das Ziel seines Teams.
Schon bald nach ihrer Vorhersage 1942 waren die Alfvénwellen in ersten
Flüssigmetall-Experimenten nachgewiesen und später in aufwändigen
plasmaphysikalischen Anlagen detailliert untersucht worden. Nur die für die
Koronaheizung als entscheidend eingestuften Bedingungen des magnetischen
Baldachins blieben für die Experimentatoren bisher unzugänglich. In großen
Plasmaexperimenten liegt die Alfvéngeschwindigkeit typischerweise deutlich höher
als die Schallgeschwindigkeit, in allen bisherigen Flüssigmetall-Experimenten
lag sie jedoch deutlich darunter. Der Grund dafür: die mit etwa 20 Tesla relativ
niedrige Magnetfeldstärke üblicher supraleitender Spulen mit konstantem Feld.
Wie aber sieht es mit gepulsten Magnetfeldern aus, wie sie am
Hochfeld-Magnetlabor Dresden (HLD) des HZDR mit Maximalwerten von nahezu 100
Tesla erzeugt werden können? Das entspricht etwa dem Zweimillionenfachen der
Stärke des Erdmagnetfelds: Würden es diese extrem hohen Felder den Alfvénwellen
gestatten, die Schallmauer zu durchbrechen? Durch einen Blick auf die
Eigenschaften von Flüssigmetallen war im Vorfeld bekannt, dass das Alkalimetall
Rubidium diesen magischen Punkt tatsächlich schon bei 54 Tesla erreicht. Doch
Rubidium entzündet sich spontan an der Luft und reagiert äußerst heftig mit
Wasser. Dem Team kamen deshalb zunächst Bedenken, ob ein solch gefährliches
Experiment überhaupt ratsam sei.
Die Zweifel wurden schnell zerstreut, erinnert sich Dr. Thomas
Herrmannsdörfer vom HLD: "Unsere Energieversorgungsanlage zum Betreiben der
Pulsmagnete setzt in Sekundenbruchteilen 50 Megajoule um – damit könnten wir
theoretisch ein Verkehrsflugzeug in Sekundenbruchteilen zum Starten bringen. Als
ich den Kollegen erklärte, dass mich da ein Tausendstel dieses Betrags an
chemischer Energie des flüssigen Rubidiums nicht sonderlich beunruhigt, hellten
sich ihre Mienen sichtlich auf."
Trotzdem war es bis zum erfolgreichen Experiment noch ein steiniger Weg.
Wegen der im gepulsten Magnetfeld entstehenden Drücke von bis zum Fünfzigfachen
des atmosphärischen Luftdrucks muss die Rubidiumschmelze von einem stabilen
Edelstahlcontainer umschlossen sein, zu dessen Befüllung eigens ein erfahrener
Chemiker aus dem Ruhestand geholt wurde. Durch die Einspeisung von Wechselstrom
am unteren Ende des Containers bei gleichzeitiger Einwirkung des Magnetfelds
gelang schließlich die Erzeugung von Alfvénwellen in der Schmelze, deren
Aufwärtsbewegung mit der erwarteten Geschwindigkeit gemessen wurde.
Das Neue: Während bis zur magischen Feldstärke von 54 Tesla alle Messungen
durch die Frequenz des Wechselstrom-Signals dominiert waren, tauchte genau an
diesem Punkt ein neues Signal mit halbierter Frequenz auf. Diese plötzlich
einsetzende Periodenverdopplung war in perfekter Übereinstimmung mit den
theoretischen Vorhersagen. Die Alfvénwellen von Stefanis Team hatten die
Schallmauer erstmals durchbrochen.
Obwohl sich noch nicht alle beobachteten Effekte so problemlos erklären
lassen, trägt die Arbeit ein wichtiges Detail zur Lösung des Rätsels der
Koronaheizung bei. Für die Zukunft planen die Forscherinnen und Forscher
detaillierte numerische Analysen und weitere Experimente. Und auch anderenorts
wird am Heizmechanismus der Korona geforscht: So sollen die Raumsonden
Parker Solar Probe und Solar Orbiter aus nächster Nähe neue
Einsichten gewinnen.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Physical Review Letters erschienen ist.
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