Präzise Pulsarbeobachtung bestätigt Einstein
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
15. Dezember 2021
Durch präzise Beobachtungen eines Doppelpulsars konnte ein
internationales Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Vorhersagen
aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie genauer überprüfen als jemals
zuvor. Dabei waren auch bislang nicht erreichbare Effekte messbar. Die
Beobachtungen stimmen nahezu perfekt mit Einsteins Vorhersagen überein.

Künstlerische Darstellung des Doppelpulsars
PSR J0737: Die Umlaufbewegung der Pulsare erzeugt
Gravitationswellen, die bewirken, dass das System
um ca. 7 mm pro Tag schrumpft. Das stimmt auf
0,013 % genau mit der allgemeinen
Relativitätstheorie überein.
Bild: Michael Kramer / MPIfR [Großansicht] |
Ein internationales Team unter Leitung von Prof. Michael Kramer vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn hat in einem 16 Jahre dauernden
Experiment Einsteins allgemeine Relativitätstheorie mit einigen der bisher
rigidesten Tests überprüft. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
erforschten dazu ein einzigartiges Sternpaar mit extremen Eigenschaften - zwei
Pulsare in einem Doppelsternsystem. Bei den Untersuchungen, an denen sieben
Radioteleskope auf der ganzen Welt beteiligt waren, traten neue relativistische
Effekte zutage, die zum ersten Mal beobachtet wurden. Einsteins Theorie, die aus
einer Zeit stammt, als man sich weder so extreme Sterne, noch die verwendeten
Untersuchungstechniken vorstellen konnte, stimmt mit den Beobachtungen besser
als 99,99 % überein.
Mehr als 100 Jahre nachdem Albert Einstein seine Gravitationstheorie
veröffentlicht hat, bemühen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf
der ganzen Welt weiterhin mögliche Grenzen der allgemeinen Relativitätstheorie
aufzuzeigen. Die Beobachtung einer Abweichung von den Vorhersagen dieser Theorie
wäre eine wichtige Entdeckung, die ein Fenster zu einer neuen Physik öffnen
würde und über unser derzeitiges theoretisches Verständnis des Universums
hinausgeht.
"Wir haben System mit zwei Sternen von extrem hoher Dichte untersucht, das
ein einzigartiges Labor darstellt, um Gravitationstheorien in der Anwesenheit
sehr starker Gravitationsfelder zu testen", erklärt Kramer. "Zu unserer Freude
konnten wir einen Eckpfeiler der Einsteinschen Theorie, nämlich die
Energieabstrahlung von Gravitationswellen, mit einer Genauigkeit testen, die
25-mal besser ist als bei dem mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Hulse-Taylor-Pulsar
und 1000-mal besser als es derzeit mit Gravitationswellendetektoren auf der Erde
möglich ist." Die Beobachtungen würden nicht nur exzellent mit der Theorie
übereinstimmen, "sondern wir konnten auch Effekte sehen, die vorher nicht
zugänglich waren."
Prof. Ingrid Stairs von der University of British Columbia in
Vancouver nennt ein Beispiel: "Wir verfolgen die Ausbreitung von Radiophotonen,
die von einem kosmischen Leuchtturm, einem Pulsar, ausgesandt werden, und
untersuchen ihre Bewegung im starken Gravitationsfeld eines Begleitpulsars. Wir
sehen zum ersten Mal, dass das Licht nicht nur aufgrund einer starken Krümmung
der Raumzeit um den Begleiter verzögert wird, sondern dass das Licht auch um
einen kleinen Winkel von 0,04 Grad abgelenkt wird, den wir nachweisen können.
Nie zuvor wurde ein solches Experiment bei einer so starken Raumzeitkrümmung
durchgeführt."
Dieses kosmische Labor, das unter dem Namen "Doppelpulsar" bekannt ist, wurde
von Mitgliedern des Teams im Jahr 2003 entdeckt. Es besteht aus zwei
Radiopulsaren, die einander in nur 147 Minuten mit Geschwindigkeiten von etwa
einer Million Kilometer pro Stunde umkreisen. Der eine Pulsar dreht sich sehr
schnell, etwa 44 Mal pro Sekunde. Der Begleiter ist jung und hat eine
Rotationsperiode von 2,8 Sekunden. Ihre Bewegung umeinander kann als nahezu
perfektes Labor zur Untersuchung von Gravitationstheorien in extremer Umgebung
genutzt werden.
Prof. Dick Manchester von der nationalen Wissenschaftsagentur CSIRO in
Australien veranschaulicht dies wie folgt: "Eine derart schnelle Umlaufbewegung
von solch kompakten Objekten - sie sind etwa 30 % massereicher als die Sonne,
haben aber nur einen Durchmesser von etwa 24 Kilometern - ermöglicht es uns,
eine Reihe von Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie zu testen -
insgesamt sind es sieben Stück! Neben den Gravitationswellen können wir mit der
Präzision unseres Experiments auch Effekte der Lichtausbreitung untersuchen, wie
die sogenannte 'Shapiro-Verzögerung' und die Beugung des Lichts. Wir messen auch
den Effekt der 'Zeitdilatation', der Uhren in Gravitationsfeldern langsamer
laufen lässt. Wir müssen sogar Einsteins berühmte Gleichung E = mc²
berücksichtigen, wenn wir die Wirkung der elektromagnetischen Strahlung des sich
so schnell drehenden Pulsars auf die Bahnbewegung untersuchen. Diese Strahlung
entspricht einem Massenverlust von acht Millionen Tonnen pro Sekunde! Das
scheint viel zu sein, aber es ist nur ein winziger Bruchteil - drei Teile von
tausend Milliarden Milliarden - der Gesamtmasse des Pulsars pro Sekunde."
Die Forscher haben auch mit einer hohen Genauigkeit nachweisen können, dass
die Bahn ihre Ausrichtung ändert. Das ist ein relativistischer Effekt, der auch
von der Merkurbahn bekannt ist, hier aber 140.000 Mal stärker auftritt. Sie
erkannten, dass sie bei dieser Genauigkeit auch die Auswirkungen der Rotation
des Pulsars auf die umgebende Raumzeit berücksichtigen müssen, die mit dem
rotierenden Pulsar sozusagen "mitgeschleift" wird.
"Physiker nennen dies den Lense-Thirring-Effekt oder Frame-Dragging", erklärt
Dr. Norbert Wex vom MPIfR. "In unserem Experiment bedeutet es, dass wir die
innere Struktur eines Pulsars als Neutronenstern betrachten müssen. Unsere
Messungen ermöglichen es uns daher zum ersten Mal, eine Technik, die wir
Pulsar-Timing nennen, nämlich die präzise Nachverfolgung der Umdrehung des
Neutronensterns zu nutzen, um Aussagen über die Größe des Sterns treffen zu
können."
Die Technik der Pulsarzeitmessung wurde mit sorgfältigen interferometrischen
Messungen des Systems kombiniert, um seine Entfernung mit hochauflösender
Bildgebung zu bestimmen. Das Ergebnis beträgt 2400 Lichtjahre, mit einem Fehler
von nur acht Prozent. "Es ist die Kombination verschiedener, sich ergänzender
Beobachtungstechniken, die den extremen Wert des Experiments ausmacht",
unterstreicht Prof. Adam Deller von der Swinburne-Universität in Australien. "In
der Vergangenheit wurden ähnliche Studien oft durch das begrenzte Wissen über
die Entfernung solcher Systeme behindert".
Dies ist hier nicht der Fall, da neben der Pulsarzeitmessung und der
Interferometrie auch die Informationen aus den Effekten des interstellaren
Mediums sorgfältig berücksichtigt wurden. "Wir haben alle möglichen
Informationen über das System gesammelt und ein vollkommen konsistentes Bild
abgeleitet, das die Physik aus vielen verschiedenen Bereichen wie Kernphysik,
Gravitation, interstellares Medium, Plasmaphysik und mehr einbezieht. Das ist
sehr außergewöhnlich", bestätigt Prof. Bill Coles von der University of
California San Diego.
"Unsere Ergebnisse sind eine gute Ergänzung zu anderen experimentellen
Studien, die die Schwerkraft unter anderen Bedingungen testen oder
unterschiedliche Effekte beobachten, wie Gravitationswellendetektoren oder das
Event-Horizon-Teleskop. Sie ergänzen ebenfalls andere Pulsarexperimente, wie
unser Timing-Experiment mit einem Pulsar in einem stellaren Dreifachsystem, das
einen unabhängigen (und hervorragenden) Test der Universalität des freien Falls
geliefert hat", sagt Paulo Freire, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für
Radioastronomie.
"Wir haben einen Grad von Präzision erreicht, der beispiellos ist", so
Kramer. "Künftige Experimente mit noch größeren Teleskopen können und werden
noch weiter gehen. Unsere Arbeit hat gezeigt, wie genau solche Experimente
durchgeführt werden müssen und welch subtile Effekte dafür berücksichtigt werden
müssen. Und vielleicht werden wir eines Tages wirklich eine Abweichung von der
allgemeinen Relativitätstheorie finden..."
Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift
Physical Review X veröffentlicht.
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