Ein Quasar wird gewogen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
27. September 2021
Erstmals ist es gelungen, die Masse eines gewaltigen, weit
entfernten Schwarzen Lochs mit einer neuen Methode zu bestimmen. Das als
Spektroastrometrie bezeichnete Verfahren fußt auf der Vermessung von Strahlung,
die von Gas in der Umgebung der supermassereichen Schwarzen Löcher stammt. Mit
modernen Großteleskopen sind solche Messungen relativ unkompliziert
durchzuführen.

Die Kuppel des Teleskops Gemini North auf
Hawaii. Dieses Teleskop hat einen
Hauptspiegeldurchmesser von 8,1 Metern und einen
Laserleitstern, der zusammen mit adaptiver Optik
dabei hilft, den Einfluss der Atmosphäre auf die
Beobachtungen zu minimieren. Gemini North wurde
für die Machbarkeitsstudie zur Spektroastrometrie
eingesetzt.
Bild: Gemini Observatory, CC BY 4.0 [Großansicht] |
In der Kosmologie ist die Massenbestimmung der supermassereichen Schwarzen
Löcher im jungen Universum eine wichtige Messung, um die zeitliche Entwicklung
des Kosmos nachvollziehen zu können. Nun ist es Felix Bosco in enger
Zusammenarbeit mit Jörg-Uwe Pott, beide vom Max-Planck-Institut für Astronomie
(MPIA) in Heidelberg, sowie den ehemaligen MPIA-Forschern Jonathan Stern von der
Tel Aviv University in Israel und Joseph Hennawi von der University
of California in Santa Barbara in den USA und der Universiteit Leiden in
den Niederlanden zum ersten Mal gelungen, die Machbarkeit der direkten
Massenbestimmung eines Quasars mithilfe der Spektroastrometrie nachzuweisen.
Diese Methode erlaubt, die Masse von weit entfernten Schwarzen Löchern in
leuchtkräftigen Quasaren direkt aus optischen Spektren zu ermitteln, ohne dass
weitreichende Annahmen über die räumliche Gasverteilung erforderlich sind. Die
spektakulären Einsatzmöglichkeiten der spektroastrometrischen Bestimmung von
Quasarmassen wurde bereits vor einigen Jahren am MPIA systematisch untersucht
Quasare beherbergen supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren von
Galaxien und gehören zu den hellsten kosmischen Objekten. Daher sind sie über
große Distanzen nachweisbar und ermöglichen somit die Erforschung des frühen
Universums. Befindet sich Gas in der Nähe eines Schwarzen Lochs, wird es
angezogen, kann jedoch nicht auf direktem Weg hineinstürzen. Stattdessen bildet
sich eine Akkretionsscheibe aus, ein Strudel, mit dessen Hilfe die Materie in
das Schwarze Loch strömt. Hohe Reibungskräfte in diesem Materiestrom, der
letztendlich das Schwarze Loch füttert, heizen die Akkretionsscheibe auf einige
Hunderttausend bis eine Million Grad auf. Die Intensität der dabei ausgesandten
Strahlung lässt die Quasare so hell erscheinen, dass sie alle Sterne der Galaxie
überstrahlen.
Seit einigen Jahrzehnten sind weitere Komponenten innerhalb von Quasaren
bekannt wie die sogenannte "broad emission-line region" (BLR, Deutsch: Region
mit breiten Emissions-Linien), eine Zone, in der ionisierte Gaswolken mit
Geschwindigkeiten von einigen Tausend Kilometern pro Sekunde das zentrale
Schwarze Loch umkreisen. Die intensive und energiereiche Strahlung der
Akkretionsscheibe regt das Gas in der BLR zur Emission an, die in den Spektren
in Form von Spektrallinien sichtbar wird. Aufgrund des Dopplereffekts sind sie
durch die hohen Umlaufgeschwindigkeiten jedoch stark verbreitert und geben so
der BLR ihren Namen.
Bosco und seine Kollegen haben nun die optisch hellste Spektrallinie des
Wasserstoffs (Hα) in der BLR des Quasars J2123-0050 im Sternbild Wassermann
vermessen, dessen Licht aus einer Zeit stammt, als das Universum gerade einmal
2,9 Milliarden Jahre alt war. Mit der Methode der Spektroastrometrie haben sie
den wahrscheinlichen Abstand der Strahlungsquelle in der BLR zum Zentrum der
Akkretionsscheibe ermittelt, wo das supermassereiche Schwarze Loch vermutet
wird. Gleichzeitig liefert die Hα-Linie die Radialgeschwindigkeit des
Wasserstoffgases, also jene Geschwindigkeitskomponente, die in Richtung Erde
weist.
So wie die Masse der Sonne die Bahngeschwindigkeiten der Planeten des
Sonnensystems bestimmt, lässt sich aus diesen Daten die Masse des Schwarzen
Lochs im Zentrum des Quasars präzise ermitteln, wenn die Gasverteilung räumlich
aufgelöst werden kann. Selbst für die heutigen Großteleskope ist die Ausdehnung
der BLR dafür tatsächlich aber viel zu klein. "Allerdings können wir durch die
Trennung von spektraler und räumlicher Information im einfallenden Licht, sowie
durch statistische Modellierung der Messdaten Abstände von sehr viel weniger als
einem Bildpixel zum Zentrum der Akkretionsscheibe sichtbar machen", erklärt
Bosco.
Die Präzision der Messung wird durch die Dauer der Beobachtungen bestimmt.
Für J2123-0050 errechneten die Astronomen so eine Masse des Schwarzen Lochs von
höchstens 1,8 Milliarden Sonnenmassen. "Die exakte Massenbestimmung war noch gar
nicht das Hauptziel dieser ersten Beobachtungen", sagt Jörg-Uwe Pott, Leiter der
Arbeitsgruppe "Schwarze Löcher und Akkretionsmechanismen" am MPIA. "Wir wollten
stattdessen zeigen, dass die Methode der Spektroastrometrie prinzipiell bereits
mit Hilfe der heute verfügbaren 8-Meter-Teleskope die kinematische Signatur der
zentralen Quasarmassen nachweisen kann."
Die Spektroastrometrie könnte damit eine wertvolle Erweiterung der Werkzeuge
sein, mit der Forschende Massen von Schwarzen Löchern bestimmen. Hennawi
ergänzt: "Mit der deutlich gesteigerten Empfindlichkeit des
James-Webb-Weltraumteleskops (JWST) und des derzeit im Bau befindlichen
Extremely Large Telescope werden wir in naher Zukunft Quasarmassen bei
höchsten Rotverschiebungen bestimmen können." Pott, der auch die Heidelberger
Beiträge zur ersten Nahinfrarotkamera MICADO des ELT leitet, fügt hinzu: "Die
jetzt veröffentlichte Machbarkeitsstudie hilft uns dabei, unsere geplanten
ELT-Forschungsprogramme auszudefinieren und vorzubereiten".
Zu den Alternativen der Vermessung von BLR in nahen Quasaren zählt eine
heute weit verbreitete Methode: das "Reverberation Mapping" (RM, etwa:
Echolotkartierung). Sie basiert auf der Bestimmung der Lichtlaufzeit, die eine
Helligkeitsschwankung in der Akkretionsscheibe benötigt, um das umliegende Gas
zur erhöhten Strahlung anzuregen. Daraus kann die mittlere Ausdehnung der BLR
abgeschätzt werden. Diese Methode hat jedoch neben den teils erheblichen
Unsicherheiten in den Annahmen entscheidende Nachteile bei der Vermessung der
massereichsten und entferntesten Schwarzen Löcher im Vergleich zur
Spektroastrometrie.
Der Durchmesser der BLR korreliert mit der Masse des zentralen Schwarzen
Lochs, so dass die Signalverzögerung zwischen der Akkretionsscheibe und der BLR
für massereiche Schwarze Löcher im frühen Universum sehr groß und die
notwendigen Messreihen von mehreren Jahren undurchführbar lang werden. Zudem
nehmen die Helligkeitsschwankungen, und damit die Messbarkeit, tendenziell mit
zunehmender Schwarzlochmasse und steigender Quasarleuchtkraft ab. Die Methode
des RM ist daher für leuchtkräftige Quasare nur selten anwendbar und eignet sich
deswegen nicht für das Ausmessen von Quasaren auf großen kosmologischen
Entfernungen.
Allerdings dient das RM als Grundlage zur Kalibrierung anderer indirekter
Methoden, die für nahe Quasare zunächst etabliert und dann auf weiter entfernte,
leuchtkräftige Quasare mit massereichen Schwarzen Löchern ausgedehnt wurden. Die
Güte dieser indirekten Ansätze steht und fällt mit der Genauigkeit der
RM-Methode. Auch hier kann die Spektroastrometrie helfen, die Massenbestimmung
massereicher Schwarzer Löcher auf eine breitere Basis zu stellen. So deutet die
Auswertung der Daten von J2123-0050 darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen
der Größe der BLR und der Quasarleuchtkraft, der zunächst mit der RM-Methode für
eher nahe, leuchtschwache Quasare festgestellt wurde, tatsächlich auch für
leuchtstarke Quasare zu stimmen scheint. Weitere Messungen sind hier aber nötig.
Die BLR kann in nahen aktiven Galaxien auch interferometrisch wie
beispielsweise mit dem GRAVITY-Instrument des Very Large Telescope
Interferometer (VLTI) vermessen werden. Der große Vorteil der Spektroastrometrie
liegt aber darin, dass lediglich eine einzige hochempfindliche Beobachtung
benötigt wird. Zudem erfordert sie weder die technisch sehr komplexe
Zusammenschaltung mehrerer Teleskope wie bei der Interferometrie, noch lange
Messreihen über Monate und Jahre hinweg wie beim RM. So reichte der
Forschergruppe um Bosco eine einzelne Beobachtungsreihe mit einer
Belichtungszeit von vier Stunden mit dem 8-Meter-Klasse-Teleskop Gemini
North auf Hawaii, unterstützt von einem Korrektursystem aus einem
Laserleitstern und Adaptiver Optik.
Große Erwartungen setzen die Forschenden in die nächste Generation von
optischen Großteleskopen wie dem Extremely Large Telescope (ELT) der
ESO. Die Kombination von vergrößerter Lichtsammelfläche mit fünffach erhöhter
Bildschärfe würde am ELT die hier vorgestellte Beobachtung in wenigen Minuten
ermöglichen. "Wir werden mit dem ELT zahlreiche Quasare bei unterschiedlichen
Entfernungen in einer einzigen Nacht astrometrisch vermessen, und so die
kosmologische Entwicklung der Schwarzlochmassen direkt beobachten können.", so
Bosco.
Die Ergebnisse stellte das Team in einem Fachartikel vor, der in der
Zeitschrift Astrophysical Journal
veröffentlicht wird.
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