Spezielle Oberflächen gegen Krankheitskeime
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität des Saarlandes astronews.com
27. August 2021
Am Wochenende soll von Cape Canaveral aus ein Dragon-Raumfrachter
zur Internationalen Raumstation ISS starten. An Bord werden auch Hunderte
Materialproben aus Saarbrücken sein, mit deren Hilfe untersucht werden soll, auf
welchen Oberflächenstrukturen sich Krankheitskeime am schlechtesten ansiedeln
und vermehren können.

Die Internationale Raumstation ISS. Diese
Aufnahme entstand Anfang Oktober 2018.
Foto: NASA / Roscosmos [Großansicht] |
Bakterien könnten im All zum Problem werden. Wie auf der Erde besiedeln
Mikroorganismen auch die hier vom Menschen geschaffenen Lebensräume. Sie können
mit Versorgungslieferungen an Bord kommen, aber vor allem stammen sie von den
Menschen selbst, die von Natur aus mehr Bakterien auf und im Körper beherbergen
als eigene Zellen.
Auf der ISS waren bislang fast 250 Astronautinnen und Astronauten. Da kommt
auch im Mikrokosmos einiges zusammen. Auf Griffen, Hebeln, Knöpfen, überall
können sich Bakterien ansiedeln und Biofilme bilden, eine Schleimschicht, in
deren Schutz sie beste Bedingungen haben. Die allermeisten der Bakterien sind
harmlos. Es könnten aber auch gefährliche darunter sein, die die Situation im
All ausnutzen: Das Immunsystem auch der fittesten Raumfahrerinnen und Raumfahrer
wird in der Schwerelosigkeit schwächer. Die Mutationsrate der Bakterien hingegen
ist durch die energiereiche Strahlung im Weltall höher.
"Wir entwickeln verschiedene neuartige Oberflächen, die verhindern, dass sich
solche Biofilme bilden", erklärt Frank Mücklich, Professor für
Funktionswerkstoffe der Universität des Saarlandes. "Ziel ist, dass sich bei
Weltraummissionen innerhalb der Raumstation keine Keime ausbreiten, die etwa
durch die erhöhte Strahlenbelastung im isolierten Umfeld auch stärker mutieren
könnten. Dies ist wichtig vor allem auch mit Blick auf die Zukunft, wenn
Astronautinnen und Astronauten noch viel länger als bisher im Weltraum bleiben
sollen, wie bei einem bemannten Flug zum Mars", erklärt der
Materialwissenschaftler.
Mikroorganismen können gefährlich werden für die Menschen an Bord, aber auch
für die technischen Systeme: "Die Biofilme können zum Beispiel lebenswichtige
Kondensatleitungen verstopfen, aber auch Materialschäden herbeiführen und so die
Funktionsfähigkeit der sensiblen Technik gefährden. Bakterien bringen auf
Oberflächen auch chemische Prozesse in Gang, die dazu führen, dass das Material
korrodiert", erläutert Mücklich.
Auch auf der Erde könnten diese neuartigen Oberflächen helfen, den Bakterien
das Leben schwerer zu machen: wie in Krankenhäusern oder Schulen, auf viel
genutzten Türklinken und überall, wo viele Menschen die gleichen Dinge anfassen
und benutzen. "Materialien, die für die Raumfahrt entwickelt wurden, führen oft
zu Innovationen auch für den täglichen Gebrauch. Über den Vergleich der Wirkung
der Mikrogravitation auf der ISS und unserer Gravitation auf der Erde lernen wir
systematisch mehr über das mögliche Reaktionsspektrum der Bakterien", sagt er.
In mehreren Forschungsprojekten forschen Mücklich und sein Team an neuen,
antimikrobiellen Oberflächen. Bereits 2019 hatten sie gemeinsam mit der
US-Weltraumbehörde NASA und dem MIT in Boston mehrere Probenserien
laserstrukturierter Materialoberflächen zur ISS geschickt. Am 28. August treten
jetzt zahlreiche Proben ihren Weg ins All an, bei denen Mücklich mit der
europäischen Weltraumagentur ESA und dem Team von Professor Ralf Möller vom
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR zusammenarbeitet.
Für diese Mission haben die Forscherinnen und Forscher mit einer neuartigen
Lasertechnik auf der Mikroebene der Oberflächen von Kupfer-, Messing- und
Stahl-Proben mikroskopisch feine, periodische Strukturen "eingraviert". "Wir
verändern mit Laserinterferenz-Technologie gezielt die Mikrotopographie der
Oberflächen – de facto 'ohne Chemie'. So wollen wir herausfinden, ob und wie
Keime sich darauf in der Schwerelosigkeit ansiedeln und wie eine nanometergenaue
Laserstrukturierung in Kombination mit antimikrobiellen Eigenschaften verhindern
kann, dass sich Bakterienstämme ausbreiten", erklärt Mücklich.
Mit seinem Team entwickelt er seit 15 Jahren die Laserinterferenz-Technologie
(Direct Laser Interference Patterning -DLIP), die er zur Marktreife gebracht
hat. Sie macht es möglich, mikroskopisch feine, dreidimensionale Muster zu
erzeugen. "Diese Muster haben eine Dimension von wenigen Mikro- bis einigen
hundert Nanometern", sagt er.
Bei den mikrostrukturierten Oberflächen der Proben, die sein Team jetzt ins
All schickt, handelt es sich einmal um eine Art "Nagelbrett" von
Submikrometergröße, das es Bakterien schwer machen soll, anzudocken. Weitere
haben eine Mulden-Struktur von vielen aneinandergereihten "Sesseln" im
Mikrometer-Maßstab, die es erleichtern soll, Bakterien, die hier sehr gut
Platznehmen können, durch maximalen Oberflächenkontakt mit Kupfer-Ionen
abzutöten. Und die dritte Art der Oberflächen haben die Forscherinnen und
Forscher so bearbeitet, dass sie absolut glatt sind und als Referenz dienen.
Insgesamt sind es 230 Proben, die an Bord des SpaceX-Versorgungsfluges zur
ISS starten; jeweils rund 30 der drei verschiedenen Mikro-Strukturtypen –
Nagelbrett, Sessel und glatt – auf jeweils drei metallischen Materialien: auf
reinem Kupfer, auf dem Bakterien durch die Kupfer-Ionen nach kurzer Zeit
absterben, auf einer Kupfer-Zink-Legierung, allen bekannt als Messing, und auf
reinem Edelstahl, das keinen chemischen Einfluss haben sollte.
Der deutsche ESA-Astronaut Mathias Maurer wird nach seiner Ankunft auf der
ISS Ende Oktober das Forschungsprojekt betreuen. Maurer hat an der Universität
des Saarlandes Materialwissenschaft studiert und bei Frank Mücklich seine
Diplomarbeit geschrieben. Auf der ISS wird er Experimente mit den 230
Probenträgern ausführen und diese mit unterschiedlichen Bakterienstämmen
besiedeln. Nach Abschluss der Experimente werden die Proben
materialwissenschaftlich von den Forscherinnen und Forschern an der Universität
des Saarlandes und astrobiologisch am DLR untersucht.
Es geht darum, herauszufinden, welche Oberflächen-Laserstrukturierung durch
DLIP in welcher Größenordnung unter den Weltraumbedingungen auf der ISS wie
Schwerelosigkeit, Mikrogravitation und Strahlung am wirksamsten ist. Maurer wird
im Rahmen seiner "Cosmic Kiss"-Mission auch bei weiteren Experimenten mit dem
Forscherteam um Mücklich zusammenarbeiten.
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