Negative Ionen in interstellaren Wolken erklärt?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Innsbruck astronews.com
11. August 2021
Stabförmige Moleküle können mit ihrem permanenten
Dipolmoment freie Elektronen in eine Bindung locken. Forschende der Universität
Innsbruck haben im Labor Dipol-gebundene Zustände eindeutig nachgewiesen. Diese
könnten ein Zwischenschritt zur Entstehung negativ geladener Moleküle sein und
die Existenz von negativen Ionen in interstellaren Wolken im Weltraum erklären.
Infrarotbild des Orionnebels mit seinen
ausgedehnten Wolkenstrukturen.
Bild: ESO / J. Emerson / VISTA [Großansicht] |
Interstellare Wolken sind die Geburtsstätten von Sternen, sie könnten
aber auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Leben spielen. Denn
zwischen den Sternen einer Galaxie gibt es Regionen aus Staub und Gas, in denen
sich chemische Verbindungen bilden. Die Forschungsgruppe um Roland Wester am
Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck hat es
sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung elementarer Moleküle im All besser zu
verstehen.
"Mit unserer Ionenfalle können wir, vereinfacht gesagt, das All ins Labor
holen", erklärt Wester. "In der Apparatur lässt sich die Bildung von chemischen
Verbindungen im Detail studieren." Nun haben die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler um Wester eine Erklärung dafür gefunden, wie sich negativ
geladene Moleküle im All bilden.
Bis zur Entdeckung der ersten negativ geladenen Kohlenstoffverbindungen im
Weltraum im Jahr 2006 ging die Wissenschaft davon aus, dass interstellare Wolken
nur positiv geladene Ionen enthalten. Seither war offen, wie es zur Bildung
negativ geladener Ionen kommt. Der italienische Theoretiker Franco A. Gianturco,
der seit acht Jahren als Wissenschaftler an der Universität Innsbruck tätig ist,
hatte vor einigen Jahren theoretische Überlegungen angestellt, die eine mögliche
Erklärung dafür liefern: Sehr schwache Verbindungen, sogenannte Dipol-gebundene
Zustände, sollen die Anbindung von freien Elektronen an stabförmige Moleküle
ermöglichen. Solche Moleküle haben ein permanentes Dipolmoment, das in relativ
weiter Entfernung vom neutralen Kern eine starke Wechselwirkung erzeugt und
unter deren Einfluss sich die Bewegung eines Elektrons massiv verändert.
In ihrem Experiment haben die Innsbrucker Physiker Moleküle aus drei
Kohlenstoffatomen und einem Stickstoffatom erzeugt, diese ionisiert und in einer
Ionenfalle bei extrem tiefen Temperaturen mit Laserlicht beschossen. Dabei
änderten sie die Frequenz des Lichtes kontinuierlich solange, bis die zugeführte
Energie groß genug war, um ein Elektron aus dem Molekül zu lösen. Diesen
sogenannten Photoeffekt hatte Albert Einstein schon vor 100 Jahren beschrieben.
Eine eingehende Analyse der Messdaten durch den Nachwuchswissenschaftler
Malcolm Simpson vom Doktoratskolleg "Atome, Licht und Moleküle" an der
Universität Innsbruck brachte schließlich Licht in dieses schwer zu beobachtende
Phänomen. Ein Vergleich der Messdaten mit einem Computermodell erbrachte
schließlich den eindeutigen Nachweis für die Existenz von Dipol-gebundenen
Zuständen. "Unsere These ist, dass diese Dipol-gebundener Zustände eine Art
Türöffner für die Bindung freier Elektronen an Moleküle darstellen und so zur
Entstehung negativer Ionen im Weltraum beitragen", sagt Wester. "Ohne diesen
Zwischenschritt wäre es sehr unwahrscheinlich, dass Elektronen tatsächlich an
die Moleküle binden."
Finanziell unterstützt wurde die Arbeit vom österreichischen
Wissenschaftsfonds FWF, der das Doktoratskolleg "Atome, Licht und Moleküle" an
der Universität Innsbruck finanziert. Über die Ergebnisse berichtete das Team in
einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Physical Review Letters
erschienen ist.
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