Gewaltige Wirbelstürme an den Polen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
26. März 2021
In der mittleren Atmosphäre über den Polen des Jupiters toben gewaltige Stürme:
Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 1450 Kilometern pro Stunde übertreffen sie
selbst die stärksten irdischen Tornados um das Dreifache. Das ergaben jetzt
Beobachtungen eines internationalen Teams von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern, bei denen auch der Komet Shoemaker-Levy 9 half.
Künstlerische Darstellung der Winde in der
Stratosphäre des Jupiters in der Nähe des Südpols
des Planeten.
Bild: ESO / L. Calçada & NASA/JPL-Caltech /
SwRI / MSSS [Großansicht] |
Der Jupiter ist bekannt für seine auffälligen roten und weißen Wolkenbänder.
Sie sind Ausdruck stabiler Winde in Ost- bzw. Westrichtung in der unteren
Atmosphäre des Gasriesen. Auch in der oberen Atmosphäre wehen starke Winde, die
in Zusammenhang stehen mit den spektakulären Polarlichtern des Gasriesen. Allein
die Bewegungen der farblosen Gase in der mittleren Atmosphäre, der Stratosphäre,
waren bisher nicht direkt messbar und ließen sich nur teilweise und mit großer
Unsicherheit in Rechnungen interpolieren.
Der Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 vor 27 Jahren bietet nun einen
unverhofften Zugang zu dieser widerspenstigen Atmosphärenschicht. Durch den
spektakulären Zusammenstoß entstand in der Stratosphäre des Planeten unter
anderem das giftige Gas Cyanwasserstoff, auch bekannt als Blausäure. "Eigentlich
würde man erwarten, dass sich der Cyanwasserstoff so viele Jahre nach dem
Kometeneinschlag längst gleichmäßig in der gesamten Stratosphäre verteilt hat",
erklärt Dr. Paul Hartogh vom Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung
(MPS), der an der jetzt vorgestellten Studie beteiligt war. "Stattdessen zeigen
unsere Beobachtungen ein ganz anderes Bild. Dies deutet auf stabile Windbänder
in der Stratosphäre hin."
Um das Gas aufzuspüren, nutzte das Team unter Leitung des Laboratoire
d'Astrophysique de Bordeaux das Radiointerferometer Atacama Large
Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in der chilenischen Atacamawüste. Die
Cyanwasserstoff-Moleküle emittieren eine charakteristische Strahlung, die im
Messbereich von ALMA liegt. Das Radioteleskop ist so empfindlich und misst so
genau, dass die Forscherinnen und Forscher sogar kleinste Abweichungen von
dieser Wellenlänge bestimmen konnten, die sich ergeben, wenn das Gas relativ zum
Beobachter in Bewegung ist.
Dieses als Doppler-Effekt bekannte Phänomen tritt beispielsweise auch auf,
wenn ein Krankenwagen vorbeirast: Ein Passant am Straßenrand nimmt die Frequenz
des vorbeifahrenden Martinshorns verschoben wahr. Auf diese Weise zeigte sich,
dass das Gas über den Polen mit hohen Geschwindigkeiten von bis zu 1450
Kilometern pro Stunde strömt. Die Verteilung der Strömungsrichtungen könnte auf
einen gewaltigen Wirbelsturm hinweisen, der jeweils in der Stratosphäre über den
Polen tobt. Sein Durchmesser wäre viermal so groß wie die Erde und etwa dreimal
so groß wie der berühmte rote Fleck des Jupiters, ein Wirbelsturm in der unteren
Atmosphäre.
"Ein Wirbelsturm dieser Ausmaße wäre in unserem Sonnensystem einzigartig",
ordnet Hartogh das neu entdeckte Wetterphänomen ein. "Dass es starke Winde über
Jupiters Polen gibt, wusste man bereits", so Hartogh. "Allerdings liegen die
bisher bekannten einige hundert Kilometern oberhalb der jetzt gemessenen", fügt
er hinzu. Bisherige Rechnungen hatten ergeben, dass sich die Winde in der oberen
Atmosphäre nicht in die mittlere Atmosphäre fortsetzen. "Die neuen Messdaten
zeigen uns nun das Gegenteil“, so Dr. Thibault Cavalié vom Laboratoire
d'Astrophysique de Bordeaux.
Auch die Windbewegungen in der mittleren Atmosphäre über der Äquatorregion
konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun bestimmen. Auch dort
sind die stratosphärischen Winde mit Geschwindigkeiten von durchschnittlich etwa
600 Kilometern pro Stunde sehr stark. "Die neuen Messungen zeigen uns, dass sich
der Strahlung mit Wellenlängen im Submillimeter-Bereich wichtige und völlig
neuartige Informationen über den Jupiter entlocken lassen", so Hartogh.
Die ESA-Mission JUICE, die im nächsten Jahr zum Jupiter aufbricht, wird diese
Strategie weiterverfolgen. Mit an Bord trägt sie ein kleines Radioleleskop
namens SWI (Submillimeter Wave Instrument), das ebenfalls auf die mittlere
Atmosphäre des Jupiters blicken wird und das unter Leitung des MPS entwickelt
und gebaut wird. SWI soll aus nächster Nähe die Windsysteme und die Dynamik der
Jupiterstratosphäre bis auf kleinste Skalen und mit nie gekannter Präzision
bestimmen.
Das Team berichtet von seinen Ergebnissen in der aktuellen Ausgabe der
Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
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