Das Geheimnis des zentralen Sternhaufens
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
30. September 2020
Das Zentrum unserer Heimatgalaxie gehört zu den
sternreichsten Gebieten des bekannten Universums. Innerhalb dieser Region wurde
nun eine bislang unbekannte, alte Sternpopulation mit überraschenden
Eigenschaften entdeckt. Ursprung dieser Sterne war offenbar ein
Kugelsternhaufen, der vor langer Zeit in das Zentrum der Galaxie gelangte.

Zentralbereich der Milchstraße im
Infrarotlicht, aufgenommen vom Spitzer
Space Telescope der NASA.
Bild: NASA/JPL-Caltech/S. Solovy (Spitzer
Science Center/Caltech) [Großansicht] |
In klaren und dunklen Nächten ist es noch zu erkennen - das milchig weiße,
diffuse Band der Milchstraße am Nachthimmel. Seit der Erfindung des Teleskops
ist bekannt, dass dieses Band aus unzähligen Sternen besteht. Heute wissen wir,
dass unsere Heimatgalaxie im Grunde eine große flache Scheibe aus hunderten
Milliarden Sternen ist, umgeben von Staub und Gas, die sich zudem um ihr Zentrum
dreht.
Etwa 25.000 Lichtjahre von unserer Erde entfernt, im Sternbild Schütze
gelegen, befindet sich das Zentrum der Milchstraße. Dieses sogenannte
galaktische Zentrum wurde erst im vorigen Jahrhundert entdeckt und ist seitdem
Gegenstand astronomischer Forschungen. Im innersten Zentrum der Milchstraße ruht
ein extrem massereiches Schwarzes Loch. Es ist umgeben von einer der dichtesten
Sternansammlungen des bekannten Universums – einem sogenannten "Nuclear Star
Cluster" (NSC), etwa mit Kernsternhaufen übersetzt.
Die Astronomie geht heute davon aus, dass sich in den innersten 26
Lichtjahren der Galaxis um die 20 Millionen Sterne befinden. Dabei ist es ohne
spezielle Hilfsmittel gar nicht sichtbar, denn zwischen uns und dem Zentrum der
Milchstraße sind sehr viele Staubwolken vorhanden, die das sichtbare Licht
verdecken. Es wirkt also eher dunkler als andere Bereiche der Milchstraße. Erst
bei Beobachtungen bei sehr viel kürzeren oder längeren Wellenlängen wie dem
Infrarotlicht offenbart sich der Aufbau dieses Himmelsbereiches, der tatsächlich
sehr viel massereicher ist als andere Regionen der Galaxis.
Die Milchstraße ist dabei keineswegs einzigartig: Die Astronomie geht
mittlerweile davon aus, dass sich in den meisten Spiralgalaxien sowohl ein
zentrales Schwarzes Loch als auch ein zentraler Kernsternhaufen befinden könnte.
Der Kernsternhaufen innerhalb der Milchstraße ist aufgrund seiner
verhältnismäßig geringen Entfernung zu uns jedoch der einzige, in dem
Astronominnen und Astronomen individuelle Sterne auflösen können und bietet
daher ein ideales Laboratorium, um die Eigenschaften dieser riesigen Sternhaufen
zu untersuchen.
Daher beobachteten Astronominnen und Astronomenn unter Leitung von Anja
Feldmeier-Krause von der europäischen Südsternwarte (ESO) und Nadine Neumayer
vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg mit speziellen
Instrumenten am Very Large Telescope der ESO in Chile diese
einzigartige Region. In einer kürzlich erschienenen Studie analysierten sie
dabei etwa 700 Sterne und untersuchten nicht nur die Helligkeit und Farbe der
einzelnen Sterne, sondern konnten auch Rückschlüsse über deren Bewegungen und
Geschwindigkeiten, aber auch über ihren chemischen Aufbau ziehen.
Diese Beobachtungen bilden die Grundlage für eine Reihe wichtiger
Entdeckungen über diesen bislang noch recht unerforschten Bereich der Galaxis.
Die chemische Zusammensetzung eines Sterns ist ein wichtiger Hinweis in der
Astronomie, verrät er doch etwas über sein Alter. Dabei ist die Metallizität –
die Angabe über die Häufigkeit von Elementen schwerer als Wasserstoff und Helium
– eine wichtige Größe. Denn alle anderen Elemente können nur in Sternen selbst
entstehen. Enthält ein Stern also eine große Anzahl an schweren Elementen wie
Sauerstoff, Kohlenstoff oder Eisen, bedeutet dies, dass er aus den Überresten
eines Vorgängersterns entstanden sein muss und daher relativ jung ist.
Andersherum deutet eine geringe Metallizität auf einen sehr alten Stern hin, der
schon in den Frühzeiten des Universums entstanden ist, als es kaum schwere
Elemente im Kosmos gab. Die Metallizität ist also ein direkter Hinweis auf das
Alter des jeweiligen Sterns und daher für Astronomen von großer Bedeutung.
Bei der Analyse dieser Beobachtungen hat nun ein internationales
Forschungsteam unter der Leitung von Tuan Do von der University of
California in Los Angeles, an dem neben Nadine Neumayer auch Manuel Arca
Sedda, beide im Sonderforschungsbereich SFB 881 am Zentrum für Astronomie der
Universität Heidelberg tätig, beteiligt war, erstmals eine bislang unbekannte
Population von Sternen innerhalb des Kernsternhaufens entdeckt. Während ein
Großteil der Sterne im zentralen Bereich der Milchstraße höhere Metallizitäten
aufweist als die Sonne, identifizierten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler eine Gruppe von Sternen, die deutlich weniger schwere Elemente
enthielten. Zudem zeichnen sich diese Sterne durch eine gemeinsame, schnellere
Geschwindigkeit als die der umgebenden Sterne aus, deren Bewegungsrichtung
möglicherweise zusätzlich leicht gekippt im Verhältnis zur galaktischen Ebene
ist.
Die Eigenschaften dieser Sterne, die etwa sieben Prozent aller Sterne im
zentralen Kernsternhaufen ausmachen, sind dabei einander überraschend ähnlich.
Es liegt also nahe, dass diese Sterne einen gemeinsamen Ursprung haben. Nur wie
gelangten sie in den innersten Bereich der Galaxis? Eine Antwort auf diese Frage
liefert ein Blick in die Entstehung eines Kernsternhaufens: Einer gängigen
Theorie nach, könnten sie zumindest teilweise durch Kollisionen mehrerer
Sternhaufen, also räumlich dichtere Ansammlungen von Sternen ähnlichen Alters,
innerhalb der Galaxie entstanden sein. Sie bewegen sich aufgrund der
gegenseitigen Beeinflussung durch ihre Schwerkraft gemeinsam durch den Raum.
Sternhaufen sind in allen bekannten Galaxien zu finden. Durch das Phänomen
der dynamischen Reibung, ein Gravitationseffekt der umgebenden Materie,
verlieren die Sternhaufen auf ihren Bahnen an Geschwindigkeit und driften so auf
das galaktische Zentrum zu. Hier verschmelzen sie dann mit anderen Sternhaufen
und bilden die deutlich größeren Kernsternhaufen. Möglicherweise ist die neu
entdeckte Population ein Überrest eines solchen älteren Sternhaufens.
Um diese Theorie zu testen, benutzten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler leistungsstarke Computersimulationen. Dazu berechneten sie ein
virtuelles System aus vielen Einzelobjekten, das die innersten gut 300
Lichtjahre der Milchstraße abbildet. Es beinhaltet den Kernsternhaufen und das
zentrale Schwarze Loch, sowie einen massereichen Sternhaufen mit etwa 1 Million
Sonnenmassen, der zu Beginn der Simulation etwa 160 Lichtjahre vom Zentrum der
Galaxie entfernt war. "Unser Ziel war es unter anderem herauszufinden, vor wie
langer Zeit ein solcher Sternhaufen in die Region um das galaktische Zentrum
herum gelangt sein könnte und woher er ursprünglich kam", erläutert Arca Sedda.
Wenn ein Sternhaufen in Richtung des Galaktischen Zentrums stürzt, werden
durch die gravitativen Wechselwirkungen mit seiner Umgebung Sterne aus dem
Haufen herausgelöst. Ist er erst einmal im innersten Bereich der Galaxie
angekommen, löst er sich innerhalb relativ kurzer Zeit auf, und seine Sterne
sind von den restlichen Sternen in seiner neuen Umgebung kaum mehr zu
unterscheiden. Da die Mitglieder der neuentdeckten Sternpopulation trotz ihrer
räumlichen Verteilung aber noch einige sehr charakteristische Gemeinsamkeiten
aufweisen, vermuten die Astronomen einen gemeinsamen Ursprung dieser Sterne
außerhalb des Kernsternhaufens. Die Simulationen deuten nun auf einen Einfall in
den Bereich des Kernsternhaufens innerhalb der letzten drei bis maximal fünf
Milliarden Jahre hin.
Doch woher kommt der Sternhaufen ursprünglich? Dafür gibt es mehrere
Möglichkeiten. Die beiden wahrscheinlichsten Optionen untersuchten die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in ihrer Studie: Zum einen können
die Sterne aus einem Sternhaufen aus weiter außen liegenden Gebieten der
Milchstraße selbst kommen und von dort ins Zentrum der Galaxis gewandert sein.
Eine weitere Möglichkeit ist auch der Einfall einer Zwerggalaxie aus der
Umgebung der Milchstraße. Der übriggebliebene Galaxienkern oder auch ein großer
Sternhaufen dieser Zwerggalaxie könnten es bis ins Galaktische Zentrum geschafft
haben. Beide Szenarien untersuchten die Wissenschaftler in ihrer Simulation.
"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Einfall eines eher näher
gelegenen Sternhaufens aus der Milchstraße selbst wahrscheinlicher ist", erklärt
Neumayer. Dieser Sternhaufen ist demnach ursprünglich etwa 10.000 bis 16.000
Lichtjahre entfernt vom Zentrum der Milchstraße entstanden. Um diese Hypothese
zu überprüfen, verglichen die Astronominnen und Astronomen außerdem die
beobachteten Eigenschaften der neu entdeckten Sternpopulation mit den
Eigenschaften von alten Kugelsternhaufen in der Milchstraße und solchen, die
bereits von Zwerggalaxien in unsere Milchstraße aufgenommen wurden. Dabei
stellen sie fest, dass die Eigenschaften der neu entdeckten zentralen Sterne
deutlich besser zu Sternen aus Kugelsternhaufen der Milchstraße selbst passten.
Auch die berechneten Entfernungen der Vorgänger-Sternhaufen decken sich gut
mit den Entfernungen von bereits bekannten Sternhaufen. "Ein extragalaktischer
Ursprung der Sterne kann zwar nicht komplett ausgeschlossen werden, ist aber
eher unwahrscheinlich", schließt Arca Sedda. "Dies ist ein weiterer Hinweis
darauf, dass der zentrale Kernsternhaufen in der Galaxis zumindest teilweise
durch den Einfall kleinerer Sternhaufen entstanden ist."
Die Ergebnisse wurden in insgesamt drei Fachartikel in den Astrophysical
Journal Letters und den Monthly Notices of the Royal Astronomical
Society veröffentlicht.
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