Die Astronomie und der Klimawandel
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
11. September 2020
Der Klimawandel beeinflusst alle Bereiche des Lebens - auch
die wissenschaftliche Forschung in der Astronomie. Gleichzeitig wird aber auch
durch die Arbeit der Astronominnen und Astronomen Kohlendioxid freigesetzt. Auf einer virtuellen Fachtagung entschied sich ein Team daher,
dieses Thema näher zu untersuchen. Nun wurden die Ergebnisse vorgestellt.

Auch die Beobachtungen mit dem Very Large
Telescope der ESO werden vom Klimawandel
beeinflusst.
Bild: ESO/S. Brunier [Großansicht] |
Klimawandel ist ein wichtiges Forschungsthema der Astronomie: Unser
Schwesterplanet Venus ist ein deutliches Beispiel für einen extrem starken
Treibhauseffekt, in jenem Falle mit lebensfeindlichen Oberflächentemperaturen
von mehr als 460 Grad Celsius. Und die Suche nach Planeten, die andere Sterne
als die Sonne umkreisen, in Verbindung mit den unvorstellbar großen
Abstandsskalen in der Astronomie, unterstreichen, dass es für uns Menschen
"keinen Planeten B" gibt.
Aber die Astronominnen und Astronomen haben noch einen direkteren eigenen
Bezug zum irdischen Klimawandel: Ihre Beobachtungen werden durch die Klimakrise
beeinflusst, und die Forschenden wiederum sind für Kohlendioxid-Emissionen
verantwortlich, die zur Klimakrise beitragen. Jetzt hat eine Gruppe von
Astronominnen und Astronomen sich diese direkte Verbindung zwischen
astronomischer Forschung und Klimakrise näher angeschaut. Die Idee für diese
Untersuchung entstand aus Diskussionen aus Anlass des Treffens "Astronomy for
Future" auf der diesjährigen - virtuellen - Jahreskonferenz der Europäischen
Astronomischen Gesellschaft.
Wer Emissionen reduzieren will, muss zunächst wissen, wo sie konkret in
welchen Mengen anfallen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Astronomie
(MPIA) in Heidelberg haben daher eine solche Zusammenstellung vorgenommen und
die Kohlendioxid-Emissionen für das Jahr 2018 erfasst. Sie stellten fest, dass
Interkontinentalflüge – zur Teilnahme an Konferenzen oder zur Durchführung von
Beobachtungsprogrammen an Observatorien in Nord- und Südamerika – und der
Stromverbrauch von Supercomputern den weitaus größten Beitrag zu den Emissionen
leisten.
Alles in allem kamen sie auf 18 Tonnen Kohlendioxid pro Wissenschaftlerin
bzw. Wissenschaftler allein für Forschungsaktivitäten. Zum Vergleich: Das ist
fast doppelt so viel wie die Pro-Kopf-Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland und
mehr als zweieinhalb Mal soviel wie das deutsche Klimaziel 2030 mit 6,8 Tonnen
pro Person und Jahr. "Auch wir Astronomen sind für unsere Emissionen durch
fossile Brennstoffe verantwortlich", so Knud Jahnke, Gruppenleiter am MPIA.
"Aber durch persönliche Entscheidungen allein können wir nur einen geringen
Beitrag zur Verringerung leisten. Wir müssen daher erst einmal herausfinden,
woher die Emissionen stammen. Dann ergibt sich, wie wir auf Institutsebene, auf
der Ebene der Gemeinschaft der Astronominnen und Astronomen insgesamt oder auf
gesamtgesellschaftlicher Ebene Maßnahmen ergreifen können, die zu einer
wesentlichen Verminderung führen."
Die Studie liefert auch Empfehlungen, wie astronomische Institute wie das
MPIA ihre Emissionen reduzieren könnten: Eine davon ist die Verlagerung von
Supercomputern an Standorte, an denen Strom überwiegend aus erneuerbaren Quellen
erzeugt wird und die Kühlung einfacher ist – Island ist eine mögliche Wahl. Die
andere ist eine drastische Beschränkung der forschungsbezogenen Flüge.
Der Frage astronomischer Fachkonferenzen, zu denen üblicherweise zahlreiche
Teilnehmer mit dem Flugzeug zu ein und demselben Veranstaltungsort anreisen,
wurde auch untersucht: Verglichen wurden dazu die beiden letzten Jahrestagungen
der Europäischen Astronomischen Gesellschaft: Das Treffen 2019 im französischen
Lyon, eine herkömmliche Vor-Ort-Konferenz mit mehr als 1200 Teilnehmern, und das
Treffen 2020, das aufgrund der weltweiten Pandemie als virtuelle Veranstaltung
mit fast 1800 Teilnehmern stattfand.
Dass die Emissionen des Online-Meetings ungleich geringer sind, dürfte
niemanden überraschen. Die Zahl selbst vielleicht doch: Es zeigte sich nämlich,
dass das Online-Meeting weniger als ein Tausendstel der Kohlendioxidemissionen
des herkömmlichen Vor-Ort-Treffens produzierte. Auch die Astronomie wurde von
der Pandemie dazu gezwungen, mit Online-Formaten zu experimentieren. Und während
sich für einige Konferenzformate, wie etwa Plenarvorträge, problemlos
Online-Versionen organisieren lassen, gibt es leider noch keinen effektiven
Ersatz für die persönliche Vernetzung, die persönlichen Kontakte, die eine
traditionelle Konferenz ermöglicht.
"Eine klimafreundliche Lösung könnte darin bestehen, eine Konferenz an
mehreren Orten gleichzeitig stattfinden zu lassen, so dass alle Teilnehmerinnen
und Teilnehmer mit dem Zug reisen können", so Leonard Burtscher von der
Universität Leiden. "Die Plenarvorträge würden online stattfinden. Aber an jedem
der separaten Konferenz-Orte wären persönliche Kontakte zwischen den
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern möglich."
Doch die Astronomie ist selbst direkt vom Klimawandel betroffen: So wurde auch
untersucht, in welchem Ausmaß der menschengemachte Klimawandel die Astronomie
beeinträchtigt - genauer gesagt die Qualität der astronomischen Beobachtungen.
Als Untersuchungsgegenstand wählte das Team einen der wissenschaftlich
erfolgreichsten modernen Beobachtungsstandorte: das Paranal-Observatorium der
Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile.
Für den Paranal liegt ein umfangreicher Satz von Wetterdaten vor, der in den
letzten drei Jahrzehnten von entsprechenden Messgeräten gesammelt wurde. Der
Standort Paranal hat demnach in den letzten vier Jahrzehnten einen Anstieg der
Durchschnittstemperatur um 1,5 ºC verzeichnet, was leicht über dem weltweiten
Durchschnittswert eines Anstiegs von 1 ºC seit der vorindustriellen Ära liegt.
Auf technischer Ebene hat der Anstieg zu Schwierigkeiten bei der Kühlung der
Teleskope geführt. Die Kuppeln des Very Large Telescope am Paranal
werden tagsüber auf die zu erwartenden Nachttemperaturen gekühlt, um
Luftturbulenzen beim Öffnen der Kuppel bei Sonnenuntergang zu vermeiden. Solche
Turbulenzen würden die Beobachtungen stören. Sind die Temperaturen bei
Sonnenuntergang wärmer als 16 ºC, ist eine vollständige Kühlung unmöglich. Das
Kühlsystem stößt dann an seine Grenzen. Eine Beeinträchtigung der
Beobachtungsqualität ist in diesen Fällen unvermeidbar.
Solche wärmeren Tage sind mit steigender Durchschnittstemperatur häufiger
geworden. Nicht zuletzt hängt die Beobachtungsqualität auch von allgemeineren
Eigenschaften der Atmosphäre ab. Geringe Luftfeuchtigkeit beispielsweise ist für
Infrarotbeobachtungen entscheidend. Paranal ist derzeit einer der trockensten
Orte der Erde. Für andere Arten von Beobachtungen spielen Luftturbulenzen eine
Rolle, die das aus dem Weltraum einfallende Licht mittelbar ein wenig ablenken.
Paranal liegt unter einer Jetstream-Schicht, deren Stärke mit der Ausprägung
von El-Niño-Ereignissen zusammenhängt. Während die verfügbaren Daten bisher
keine signifikanten Entwicklungstrends zeigen, wird erwartet, dass die Stärke
von El-Niño-Ereignissen in den nächsten Jahrzehnten mit dem Fortschreiten der
Klimakrise zunehmen wird.
Für zukünftige Teleskope wie das Extremely Large Telescope mit
seinem 39-Meter-Spiegel, das derzeit in Sichtweite vom Paranal gebaut wird,
werden die Astronomen diese und andere Effekte berücksichtigen müssen.
Vorsichtshalber sollten sie darauf achten, dass auch ungünstigere Entwicklungen
wie ein Anstieg um rund 4 ºC im nächsten Jahrhundert, mit entsprechenden
Auswirkungen auf El-Niño-Ereignisse und Wetterlagen mit höherer
Luftfeuchtigkeit, bei den Planungen als mögliche Szenarien berücksichtigt
werden.
Mit den jetzt veröffentlichten Studien hoffen die Astronominnen und
Astronomen, innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft nötige Veränderungen
anzustoßen. "Als Astronomen haben wir das große Glück, auf einem faszinierenden
Forschungsgebiet zu arbeiten", so Faustine Cantalloube vom MPIA. "Aber mit
unserer einzigartigen Perspektive auf das Universum haben wir auch eine
Verantwortung dafür, sowohl unsere Kolleginnen und Kollegen als auch die breite
Bevölkerung auf die katastrophalen Folgen des anthropogenen Klimawandels für
unseren Planeten und unsere Gesellschaft hinzuweisen."
Die Untersuchung wurden in insgesamt sechs Fachartikel in der Zeitschrift
Nature Astronomy veröffentlicht.
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