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Bei Arbeiten auf seinem Grundstück stieß ein Hausbesitzer aus Blaubeuren auf einen ungewöhnlich schweren Stein. Nachdem dieser viele Jahre lang in seinem Garten gelegen hatte, versuchte er Anfang des Jahres doch noch hinter das Geheimnis des ungewöhnlichen Brockens zu kommen. Jetzt liegt das Ergebnis vor: Es ist ein Steinmeteorit - der größte, der in Deutschland bislang gefunden wurde.
Der Zufall schlägt auch in der Wissenschaft gelegentlich die verrücktesten Kapriolen. Ein Hausbesitzer stieß 1989 beim Ausheben eines Kabelgrabens auf seinem Grundstück im schwäbischen Blaubeuren mit dem Spaten auf einen Stein von 28 x 25 x 20 Zentimeter Größe. Aus einem halben Meter Tiefe lupfte er ihn an die Oberfläche, der Stein kam ihm dabei ungewöhnlich schwer vor. Mit einem Magneten stellte der Finder fest, dass der Stein eisenhaltig ist. Danach lag der kantige Brocken Jahrzehnte im Garten. Auf die Idee, dass es sich um einen Besucher aus dem Weltall handeln könnte, kam der Finder allerdings erst 31 Jahre später und meldete seinen Fund im Januar 2020 beim Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dann nach ersten Analysen die wissenschaftliche Sensation: Bei dem Fundstück handelt es sich um einen Steinmeteoriten – mit einer Masse von mehr als 30 Kilogramm der größte, der je in Deutschland gefunden wurde. Am 7. Juli bestätigte nun die Meteoritical Society, die internationale Organisation der Meteoritenforscher, die alle Meteoritenfunde und Meteoritenfälle weltweit dokumentiert, in einem Bulletin den Fund als anerkannten Meteoriten. Nach seinem Fundort, dem mittelalterlichen Städtchen Blaubeuren 17 Kilometer westlich von Ulm, trägt der Meteorit den offiziellen Namen "Blaubeuren".
"Es handelt sich um einen gewöhnlichen Chondriten des Typs H4-5", erklärt Dieter Heinlein aus Augsburg, Meteoritenfachmann für das DLR-Institut für Planetenforschung, der die Nachforschungen und Untersuchungen von "Blaubeuren" für das DLR koordiniert. "Das Fundstück hat eine Masse von 30,26 Kilogramm, was ihn als größten je in Deutschland gefundenen Steinmeteoriten ausweist." Vor "Blaubeuren" war der unweit von Oldenburg gefundene "Benthullen"-Meteorit mit einem Gewicht von 17,25 Kilogramm der Rekordhalter. Die Dichte von ‚Blaubeuren‘ wurde mit 3,34 Gramm pro Kubikzentimeter bestimmt, was von einem signifikanten Anteil an Eisen und Nickel herrührt. Die Geschichte von "Blaubeuren" ist außergewöhnlich. Zunächst fristete der Stein, der beim Ausheben des Kabelgrabens ein Hindernis darstellte und schlicht aus dem Weg geräumt werden musste, ein stiefmütterliches Dasein. Selbst ein Profi hätte beim ersten Blick auf den stark verwitterten Brocken kaum auf einen Meteoriten geschlossen. Denn bei potentiellen Meteoriten erwartet man eine charakteristische dunkle Schmelzkruste, verursacht durch den Abrieb beim Hochgeschwindigkeitsflug durch die Atmosphäre. Bis 2015 lag der Meteorit im Garten des Finders – immer der Verwitterung ausgesetzt. Dann hätte ihn der Finder beinahe mit anderem Abraum entsorgt: "Eigentlich lag der Brocken schon auf dem Anhänger, um ihn wegzuschaffen", sagte er. Zum Glück überlegte er es sich anders und bewahrte den Stein seit 2015 trocken im Keller des Hauses in einem Schrank auf. Im Januar 2020 wollte der Finder doch Gewissheit haben über die Natur und Herkunft seines besonderen Steinfundes und kontaktierte das DLR: Professor Heike Rauer, Leiterin des DLR-Instituts für Planetenforschung, und Professor Jürgen Oberst, der das Meteor-Feuerkugelnetz des DLR überwacht, vermittelten den Finder an Dieter Heinlein in Augsburg, dem Meteoritenexperten des DLR. Für potentielle Meteoritenfunde unterhält das DLR-Institut eine Webseite mit Hinweisen und einer Prüfliste zur Identifizierung von Meteoriten, sowie eine Meldeadresse für Meteorsichtungen. Nach einem Telefonat und dem Übersenden zahlreicher Fotos schickte der Finder ein 23,4 Gramm schweres, abgeschlagenes Fragment an Heinlein. Der Fachmann tippte nach einer Prüfung durch Augenschein zunächst auf Eisenerz, doch dann griff er zur Diamantsäge und schnitt das kleine Stück auf – und staunte nicht schlecht: Heinlein erblickte eine für Steinmeteorite typische Matrix aus Millimeter kleinen Chondren, Kügelchen, die bei der Entstehung des Sonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden und die Urbausteine aller Planeten darstellen. Auch entdeckte er typische Einschlüsse von Metallen. "Das war das Bruchstück eines Meteoriten, da war ich mir sofort ziemlich sicher", so das erste Urteil des DLR-Experten. Am 9. Februar 2020 übergab der Finder den Hauptbrocken dem DLR treuhänderisch für weitere Untersuchungen, wie z. B. eine präzise Dichtebestimmung des Materials. Wenig später wurde im Garten des Finders ein weiteres, 410 Gramm schweres, Fragment gefunden. Auch dieser "Beifang" wurde wissenschaftlich intensiv untersucht. Das über 30 Kilogramm schwere, äußerlich stark verwitterte Hauptstück wurde in Absprache mit dem Finder angeschnitten, um das chondritische Gefüge des Meteoriten und seine Einschlüsse näher untersuchen zu können. Da war selbst Heinlein mit seinen Spezialwerkzeugen überfordert, "einen so großen Brocken hatte ich natürlich noch nie im Labor!" Heinlein fand einen Fachbetrieb, die Werkstatt des Allgäuer Steinmetz- und Bildhauermeisters Peter Fraefel in Mindelheim. Dort wurde nach intensiven Planungen und Vorbesprechungen ein 576 Gramm schweres Eck des Meteoriten abgesägt. Am 30. Mai 2020 wurde die Diamantsäge angesetzt. Die chemische und mineralogische Analytik fand – sehr diskret, denn Heinlein und das DLR ahnten um die Brisanz des Fundes – in drei unterschiedlichen, spezialisierten Laboren statt: Am Naturhistorischen Museum Bern wurden von Dr. Beda Hofmann mit einem Röntgenfluoreszenzspektrometer die Konzentrationen an Barium- und Strontiumisotopen bestimmt, die bestätigten, dass der Stein nach seinem Fall im schwäbischen Juraboden verwitterte. Die Untersuchungen zeigten: "Blaubeuren" ist definitiv ein Schwabe. Im Felsenkellerlabor der VKTA – Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf e. V. wurden von Dr. Detlev Degering Messungen der Radioisotopengehalte im Material der Meteoriten-Hauptmasse und des Nachfunds durchgeführt und gleichzeitig Bodenproben aus dem Garten der Finderfamilie gemessen. Damit lassen sich die Anteile der kosmogenen, irdischen und anthropogenen (also durch menschlichen Einfluss eingetragenen) Radioisotopenkomponenten bestimmen. Ziel ist es, herauszubekommen, wann ungefähr der Meteorit auf die Erde fiel. Dies könnte nach dem Verwitterungszustand zu urteilen schon vor mehreren Jahrhunderten passiert sein; ein diesbezügliches Ergebnis steht noch aus. Am Institut für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) wurden schließlich Dünnschliffe angefertigt, um unter dem Durchlicht-Polarisationsmikroskop die chemische, mineralogische und petrologische Zusammensetzung des Objektes zu bestimmen. "'Blaubeuren' ist ganz offensichtlich eine so genannte Brekzie, ein Gestein, das aus Bruchstücken zusammengebacken wurde. Der Blaubeuren-Meteorit hat in der Vergangenheit mindestens eine heftige Kollision erlebt. Das sehen wir bei H4- und H5-Chondriten häufig", erläutert Professor Addi Bischoff. Dahinter verbirgt sich das Eisen- und Magnesiumsilikat Olivin, das fast drei Viertel der mineralogischen Bestandteile des Meteoriten ausmacht. Nach diesen Untersuchungen wurde "Blaubeuren" am 16. Juni 2020 von Kerstin Klemm von der WWU beim Nomenklaturkomitee der Meteoritical Society eingereicht: Schon drei Wochen später wurde er als Meteorit anerkannt. Für die Erforschung der frühen Entwicklung des Sonnensystems spielen Meteorite eine herausragende Rolle. Schließlich gelangen sie von ganz alleine und "kostenlos" auf die Erde. Die meisten stammen ursprünglich aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, bevor sie in ihrer Bahn gestört auf einen Kollisionskurs mit der Erde geraten. Sie treten mit hoher Geschwindigkeit in die Atmosphäre ein. Daher ist es selbst bei schweren Brocken aus Stein oder Eisen oft nur ein kleiner Rest, der als Meteorit auf die Erde gelangt. Zunächst verbleibt Blaubeuren noch beim Finder. Es ist der Wunsch des Eigentümers, dass der größte Steinmeteorit Deutschlands in einem Museum dauerhaft ausgestellt wird, so dass die Öffentlichkeit einen Blick auf diesen "Schwaben, der vom Himmel fiel" werfen kann.
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