Der größte Meteoritenfund in Deutschland
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
15. Juli 2020
Bei Arbeiten auf seinem Grundstück stieß ein Hausbesitzer
aus Blaubeuren auf einen ungewöhnlich schweren Stein. Nachdem dieser viele Jahre
lang in seinem Garten gelegen hatte, versuchte er Anfang des Jahres doch noch
hinter das Geheimnis des ungewöhnlichen Brockens zu kommen. Jetzt liegt das
Ergebnis vor: Es ist ein Steinmeteorit - der größte, der in Deutschland bislang
gefunden wurde.

Der 30 Kilogramm schwere "Blaubeuren"-Meteorit.
Foto: Gabriele Heinlein [Großansicht] |
Der Zufall schlägt auch in der Wissenschaft gelegentlich die verrücktesten
Kapriolen. Ein Hausbesitzer stieß 1989 beim Ausheben eines Kabelgrabens auf
seinem Grundstück im schwäbischen Blaubeuren mit dem Spaten auf einen Stein von
28 x 25 x 20 Zentimeter Größe. Aus einem halben Meter Tiefe lupfte er ihn an die
Oberfläche, der Stein kam ihm dabei ungewöhnlich schwer vor. Mit einem Magneten
stellte der Finder fest, dass der Stein eisenhaltig ist. Danach lag der kantige
Brocken Jahrzehnte im Garten.
Auf die Idee, dass es sich um einen Besucher aus dem Weltall handeln könnte,
kam der Finder allerdings erst 31 Jahre später und meldete seinen Fund im Januar
2020 beim Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt (DLR). Dann nach ersten Analysen die wissenschaftliche Sensation: Bei
dem Fundstück handelt es sich um einen Steinmeteoriten – mit einer Masse von
mehr als 30 Kilogramm der größte, der je in Deutschland gefunden wurde.
Am 7. Juli bestätigte nun die Meteoritical Society, die
internationale Organisation der Meteoritenforscher, die alle Meteoritenfunde und
Meteoritenfälle weltweit dokumentiert, in einem Bulletin den Fund als
anerkannten Meteoriten. Nach seinem Fundort, dem mittelalterlichen Städtchen
Blaubeuren 17 Kilometer westlich von Ulm, trägt der Meteorit den offiziellen
Namen "Blaubeuren".
"Es handelt sich um einen gewöhnlichen Chondriten des Typs H4-5", erklärt
Dieter Heinlein aus Augsburg, Meteoritenfachmann für das DLR-Institut für
Planetenforschung, der die Nachforschungen und Untersuchungen von "Blaubeuren"
für das DLR koordiniert. "Das Fundstück hat eine Masse von 30,26 Kilogramm, was
ihn als größten je in Deutschland gefundenen Steinmeteoriten ausweist." Vor "Blaubeuren"
war der unweit von Oldenburg gefundene "Benthullen"-Meteorit mit einem Gewicht
von 17,25 Kilogramm der Rekordhalter. Die Dichte von ‚Blaubeuren‘ wurde mit 3,34
Gramm pro Kubikzentimeter bestimmt, was von einem signifikanten Anteil an Eisen
und Nickel herrührt.
Die Geschichte von "Blaubeuren" ist außergewöhnlich. Zunächst fristete der
Stein, der beim Ausheben des Kabelgrabens ein Hindernis darstellte und schlicht
aus dem Weg geräumt werden musste, ein stiefmütterliches Dasein. Selbst ein
Profi hätte beim ersten Blick auf den stark verwitterten Brocken kaum auf einen
Meteoriten geschlossen. Denn bei potentiellen Meteoriten erwartet man eine
charakteristische dunkle Schmelzkruste, verursacht durch den Abrieb beim
Hochgeschwindigkeitsflug durch die Atmosphäre.
Bis 2015 lag der Meteorit im Garten des Finders – immer der Verwitterung
ausgesetzt. Dann hätte ihn der Finder beinahe mit anderem Abraum entsorgt:
"Eigentlich lag der Brocken schon auf dem Anhänger, um ihn wegzuschaffen", sagte
er. Zum Glück überlegte er es sich anders und bewahrte den Stein seit 2015
trocken im Keller des Hauses in einem Schrank auf.
Im Januar 2020 wollte der Finder doch Gewissheit haben über die Natur und
Herkunft seines besonderen Steinfundes und kontaktierte das DLR: Professor Heike
Rauer, Leiterin des DLR-Instituts für Planetenforschung, und Professor Jürgen
Oberst, der das Meteor-Feuerkugelnetz des DLR überwacht, vermittelten den Finder
an Dieter Heinlein in Augsburg, dem Meteoritenexperten des DLR. Für potentielle
Meteoritenfunde unterhält das DLR-Institut eine Webseite mit Hinweisen und einer
Prüfliste zur Identifizierung von Meteoriten, sowie eine Meldeadresse für
Meteorsichtungen.
Nach einem Telefonat und dem Übersenden zahlreicher Fotos schickte der
Finder ein 23,4 Gramm schweres, abgeschlagenes Fragment an Heinlein. Der
Fachmann tippte nach einer Prüfung durch Augenschein zunächst auf Eisenerz, doch
dann griff er zur Diamantsäge und schnitt das kleine Stück auf – und staunte
nicht schlecht: Heinlein erblickte eine für Steinmeteorite typische Matrix aus
Millimeter kleinen Chondren, Kügelchen, die bei der Entstehung des Sonnensystems
vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden und die Urbausteine aller Planeten
darstellen. Auch entdeckte er typische Einschlüsse von Metallen.
"Das war das Bruchstück eines Meteoriten, da war ich mir sofort ziemlich
sicher", so das erste Urteil des DLR-Experten. Am 9. Februar 2020 übergab der
Finder den Hauptbrocken dem DLR treuhänderisch für weitere Untersuchungen, wie
z. B. eine präzise Dichtebestimmung des Materials. Wenig später wurde im Garten
des Finders ein weiteres, 410 Gramm schweres, Fragment gefunden. Auch dieser
"Beifang" wurde wissenschaftlich intensiv untersucht.
Das über 30 Kilogramm schwere, äußerlich stark verwitterte Hauptstück wurde
in Absprache mit dem Finder angeschnitten, um das chondritische Gefüge des
Meteoriten und seine Einschlüsse näher untersuchen zu können. Da war selbst
Heinlein mit seinen Spezialwerkzeugen überfordert, "einen so großen Brocken
hatte ich natürlich noch nie im Labor!" Heinlein fand einen Fachbetrieb, die
Werkstatt des Allgäuer Steinmetz- und Bildhauermeisters Peter Fraefel in
Mindelheim. Dort wurde nach intensiven Planungen und Vorbesprechungen ein 576
Gramm schweres Eck des Meteoriten abgesägt. Am 30. Mai 2020 wurde die
Diamantsäge angesetzt.
Die chemische und mineralogische Analytik fand – sehr diskret, denn Heinlein
und das DLR ahnten um die Brisanz des Fundes – in drei unterschiedlichen,
spezialisierten Laboren statt: Am Naturhistorischen Museum Bern wurden von Dr.
Beda Hofmann mit einem Röntgenfluoreszenzspektrometer die Konzentrationen an
Barium- und Strontiumisotopen bestimmt, die bestätigten, dass der Stein nach
seinem Fall im schwäbischen Juraboden verwitterte. Die Untersuchungen zeigten: "Blaubeuren"
ist definitiv ein Schwabe.
Im Felsenkellerlabor der VKTA – Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung
Rossendorf e. V. wurden von Dr. Detlev Degering Messungen der
Radioisotopengehalte im Material der Meteoriten-Hauptmasse und des Nachfunds
durchgeführt und gleichzeitig Bodenproben aus dem Garten der Finderfamilie
gemessen. Damit lassen sich die Anteile der kosmogenen, irdischen und
anthropogenen (also durch menschlichen Einfluss eingetragenen)
Radioisotopenkomponenten bestimmen. Ziel ist es, herauszubekommen, wann ungefähr
der Meteorit auf die Erde fiel. Dies könnte nach dem Verwitterungszustand zu
urteilen schon vor mehreren Jahrhunderten passiert sein; ein diesbezügliches
Ergebnis steht noch aus.
Am Institut für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
(WWU) wurden schließlich Dünnschliffe angefertigt, um unter dem
Durchlicht-Polarisationsmikroskop die chemische, mineralogische und
petrologische Zusammensetzung des Objektes zu bestimmen. "'Blaubeuren' ist ganz
offensichtlich eine so genannte Brekzie, ein Gestein, das aus Bruchstücken
zusammengebacken wurde. Der Blaubeuren-Meteorit hat in der Vergangenheit
mindestens eine heftige Kollision erlebt. Das sehen wir bei H4- und
H5-Chondriten häufig", erläutert Professor Addi Bischoff. Dahinter verbirgt sich
das Eisen- und Magnesiumsilikat Olivin, das fast drei Viertel der
mineralogischen Bestandteile des Meteoriten ausmacht. Nach diesen Untersuchungen
wurde "Blaubeuren" am 16. Juni 2020 von Kerstin Klemm von der WWU beim
Nomenklaturkomitee der Meteoritical Society eingereicht: Schon drei Wochen
später wurde er als Meteorit anerkannt.
Für die Erforschung der frühen Entwicklung des Sonnensystems spielen
Meteorite eine herausragende Rolle. Schließlich gelangen sie von ganz alleine
und "kostenlos" auf die Erde. Die meisten stammen ursprünglich aus dem
Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, bevor sie in ihrer Bahn gestört auf
einen Kollisionskurs mit der Erde geraten. Sie treten mit hoher Geschwindigkeit
in die Atmosphäre ein. Daher ist es selbst bei schweren Brocken aus Stein oder
Eisen oft nur ein kleiner Rest, der als Meteorit auf die Erde gelangt.
Zunächst verbleibt Blaubeuren noch beim Finder. Es ist der Wunsch des
Eigentümers, dass der größte Steinmeteorit Deutschlands in einem Museum
dauerhaft ausgestellt wird, so dass die Öffentlichkeit einen Blick auf diesen
"Schwaben, der vom Himmel fiel" werfen kann.
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