Wie molekulares Gas in Galaxien strömt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
7. Juli 2020
Das molekulare Gas in Galaxien ist in einer hierarchischen
Struktur angeordnet. Das Material in riesigen Gaswolken bewegt sich in einem
komplexen Netzwerk aus Gasfilamenten zu den Orten, wo daraus dann Sterne und
Planeten entstehen. Eine neue Studie zeigt nun, dass das Gas durch alle
Hierarchieebenen dynamisch miteinander verbunden ist.
Visualisierung der beobachteten
Geschwindigkeiten der Gasströme in der Spiralgalaxie
NGC 4321, gemessen mithilfe der Radioemission des
molekularen Gases (Kohlenmonoxid). Entlang der
vertikalen Achse zeigt dieses Bild die
Geschwindigkeiten des Gases, während die
horizontale Achse die räumliche Ausdehnung der
Galaxie darstellt. Die wellenförmigen
Schwingungen der Gasgeschwindigkeit sind in der
gesamten Galaxie sichtbar.
Bild: T. Müller / J. Henshaw / MPIA [Großansicht] |
Das molekulare Gas in Galaxien wird durch physikalische Prozesse wie
galaktische Rotation, Supernova-Explosionen, Magnetfelder, Turbulenzen und
Schwerkraft in Bewegung gesetzt und formt ein Netzwerk aus Gasströmen. Es ist
schwierig zu ermitteln, wie sich diese Bewegungen direkt auf die Stern- und
Planetenentstehung auswirken, da die Gasbewegung über viele räumliche
Größenordnungen gemessen und diese Bewegung dann mit den beobachteten Strukturen
in Verbindung gebracht werden muss. Moderne astrophysikalische Instrumente
kartografieren heute routinemäßig riesige Bereiche des Himmels, wobei einige
Karten Millionen von Pixeln enthalten, von denen jede Hunderte bis Tausende von
unabhängigen Geschwindigkeitsmessungen enthält. Folglich ist die Messung dieser
Bewegungen sowohl wissenschaftlich als auch technologisch anspruchsvoll.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, machte sich ein internationales
Forschungsteam unter der Leitung von Jonathan Henshaw vom Max-Planck-Institut
für Astronomie (MPIA) in Heidelberg daran, mithilfe von Beobachtungen des Gases
in der Milchstraße und einer nahen Galaxie die Gasbewegungen in einer Vielzahl
unterschiedlicher Umgebungen zu messen. Sie erfassten diese Bewegungen, indem
sie die scheinbare Änderung der Frequenz des von den Molekülen emittierten
Lichts maßen, die durch die relative Bewegung zwischen der Lichtquelle und dem
Beobachter verursacht wird; ein Phänomen, das als Dopplereffekt bekannt ist.
Durch den Einsatz neuartiger Software, die von Henshaw und dem Doktoranden
und Mitautor Manuel Riener (ebenfalls MPIA) entwickelt wurde, konnte das Team
Millionen von Messungen analysieren. "Diese Methode ermöglichte es uns, das
interstellare Medium auf eine neue Art und Weise zu sehen", erläutert Henshaw.
Die Forscher fanden heraus, dass die Bewegungen des kalten molekularen Gases in
der Geschwindigkeit zu fluktuieren scheinen, was an Wellen an der Oberfläche des
Ozeans erinnert. Diese Fluktuationen stellen Gasbewegungen dar. "Die
Schwankungen selbst waren nicht besonders überraschend. Wir wissen, dass sich
das Gas bewegt", so Henshaw.
"Was uns überraschte, war, wie ähnlich die Geschwindigkeitsstruktur dieser
verschiedenen Regionen aussah", unterstreicht Teammitglied Steve Longmore von
der Liverpool John Moores University. "Es spielte keine Rolle, ob wir eine ganze
Galaxie oder eine einzelne Wolke innerhalb unserer eigenen Galaxie betrachteten;
die Struktur war mehr oder weniger die gleiche."
Um die Eigenschaften der Gasströme besser zu verstehen, wählte das Team
mehrere Regionen für eine eingehende Untersuchung aus, wobei es fortschrittliche
statistische Techniken einsetzte, um nach Unterschieden zwischen den
Schwankungen zu suchen. Durch die Kombination einer Vielzahl verschiedener
Messungen konnten die Forscher feststellen, wie die
Geschwindigkeitsfluktuationen von der räumlichen Verteilung abhängen. "Ein
besonderes Merkmal unserer Analysetechniken ist, dass sie empfindlich für
periodische Schwankungen sind", erklärt Henshaw und führt aus: "Wenn in den
Daten periodische Muster auftreten, wie z. B. riesige Molekülwolken in gleichen
Abständen entlang eines Spiralarms, können wir direkt die Größenskala bestimmen,
auf der sich das Muster wiederholt."
Das Team identifizierte drei filamentartige Gasstränge, die, obwohl sie sehr
unterschiedliche Größenordnungen abbilden, alle eine Struktur zu zeigen
scheinen, die entlang ihres Verlaufs nahezu regelmäßig unterteilt ist, wie
Perlen auf einer Schnur. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um riesige
Molekülwolken entlang eines Spiralarms oder um winzige, dichte Kerne innerhalb
der Wolken handelt, die entlang eines Filaments Sterne bilden.
Das Team entdeckte, dass die Geschwindigkeitsschwankungen, die mit
gleichmäßig entfernten Strukturen verbunden sind, alle ein charakteristisches
Muster aufweisen. "Die Fluktuationen sehen aus wie Wellen, die entlang des
zentralen Grats der Filamente oszillieren. Sie haben eine eindeutig definierte
Amplitude und Wellenlänge", sagt Henshaw. "Der periodische Abstand der riesigen
Molekülwolken auf großen Skalen oder einzelner sternbildender Kerne auf kleinen
Dimensionen ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass ihre Mutterfilamente
durch die Schwerkraft instabil geworden sind. Wir sind der Ansicht, dass diese
oszillierenden Ströme die Signatur von Gas sind, das entlang der Spiralarme
strömt oder in Richtung der Verdichtungen zusammenströmt und neuen Treibstoff
für die Sternentstehung liefert."
Andererseits fand das Team heraus, dass die Geschwindigkeitsfluktuationen
nicht überall so geordnet sind. Innerhalb von riesigen Molekülwolken weisen sie
zwischen einzelnen Wolken und den winzigen Wolkenkernen keine charakteristische
Skala auf. Diederik Kruijssen von der Universität Heidelberg, der auch zum Team
gehörte, erklärt dazu: "Die Dichte- und Geschwindigkeitsstrukturen, die wir in
riesigen Molekülwolken sehen, sind maßstabsunabhängig. Die turbulenten
Gasströmungen, die diese Strukturen erzeugen, bilden eine chaotische Kaskade,
die bei näherer Betrachtung immer kleinere Fluktuationen offenbart – ähnlich wie
bei einem Romanesco-Brokkoli oder einer Schneeflocke. Dieses maßstabsfreie
Verhalten findet zwischen zwei wohldefinierten, geordneten Extremen statt: dem
großen Maßstab der gesamten Wolke und dem kleinen Maßstab der Wolkenkerne, die
einzelne Sterne bilden. Wir erkennen nun, dass diese beiden Extreme bestimmte
charakteristische Größen besitzen, aber dazwischen herrscht Chaos"
"Stellen Sie sich die riesigen Molekülwolken als einander gleich weit
entferne Megastädte vor, die durch Autobahnen miteinander verbunden sind",
erläutert Henshaw. "Aus der Vogelperspektive erscheint die Struktur dieser
Städte mit den Autos und den Menschen, die sich durch sie hindurchbewegen,
chaotisch und ungeordnet. Wenn wir jedoch einzelne Straßen betrachten, sehen wir
Menschen, die von weit her angereist sind und ihre einzelnen Bürogebäude in
geordneter Weise betreten. Die Bürogebäude stellen die dichten und kalten
Wolkenkerne aus Gas dar, aus denen Sterne und Planeten geboren werden."
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen für Studie Daten des
Atacama Large Millimeter/submillimeter Array, des Morita Atacama
Compact Array, des Five College Radio Astronomy Observatory, des
Institut de Radioastronomie Millimétrique Plateau de Bure Interferometer,
des Mopra Radio Telescope und des Weltraumteleskops Herschel.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in Nature
Astronomy erschienen ist.
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