Kindersicherung für planetare Babys
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
10. Oktober 2019
Junge Planetensysteme sorgen offenbar auf ganz natürliche
Weise dafür, dass gerade entstandene Planeten nicht in ihren Mutterstern
stürzen. Dies ergaben jetzt vorgestellte numerische Simulationen. Ähnliche
Prozesse ermöglichen die Geburt von Planeten in direkter Nähe von Sternen – aus
kleinen Felsbrocken, die sich in einer Region nahe dem Stern sammeln.

Ein junger Planet nahe der "Kindersicherung"
in der Scheibe, die den jungen Stern umgibt.
Bild: MPIA-Grafikabteilung [Großansicht] |
Eltern von Säuglingen oder Kleinkindern stellen üblicherweise sicher, dass
ihr Zuhause kindersicher ist – sobald sich ein Baby bewegen kann, sollten
Sicherheitsbarrieren es von gefährlichen Bereichen fernhalten. Neue Forschungen
zur Planetenentstehung zeigen, dass in jungen Planetensystemen etwas sehr
Ähnliches passiert.
Planeten entstehen rund um einen jungen Stern, der von einer Scheibe aus Gas
und Staub umgeben ist. In dieser protoplanetaren Scheibe kleben Staubkörner
zusammen und werden immer größer. Nach einigen Millionen Jahren haben die
betreffenden Brocken einen Durchmesser von einigen Kilometern erreicht. Ab dann
ist die Schwerkraft stark genug, um solche Objekte zu Planeten zusammenzuziehen,
also zu runden Objekten, solide oder zumindest mit einem festen Kern, mit
Durchmessern von einigen tausend Kilometern oder mehr.
Wie ältere Babys oder Kleinkinder neigen feste Objekte in einem so jungen
Planetensystem dazu, sich in alle Richtungen zu bewegen – nicht nur um den Stern
herum, sondern auch auf ihn zu oder von ihm weg. Das kann fatal enden, nämlich
dann, wenn ein Planet in seinen Stern hineinfällt. In der Nähe des Sterns
begegnen wir nur terrestrischen, also erdähnlichen Planeten. Die haben eine
feste Oberfläche, wie bei unserer Erde. Planetenkerne können nur dann große
Mengen an Gas einfangen und halten, wenn sie sich deutlich weiter entfernt vom
Stern befinden. Nur dort entstehen sogenannte Gasriesen wie Jupiter.
Die einfachste Art der Berechnung der Bewegung eines Planeten im Gas einer
protoplanetaren Scheibe in der Nähe des Sterns lässt bei Planetenfreunden
Alarmglocken klingeln: Sie zeigen, dass ein solcher Planet kontinuierlich nach
innen driften und auf einer Zeitskala von weniger als einer Million Jahren in
den Stern fallen sollte. Dieser Zeitraum ist viel kürzer als die Lebensdauer der
protoplanetaren Scheibe.
Würde dies alles so ablaufen, dann müsste uns sehr wundern, dass der
NASA-Satellit Kepler bei seinen Untersuchungen sonnenähnlicher Sterne
etwas ganz anderes gefunden hat: zahlreiche Sterne nämlich, die eng von
sogenannten Super-Erden umkreist werden, also von Felsplaneten, die deutlich
mehr Masse besitzen als unsere Erde. Besonders häufig sind Planeten mit
Umlaufzeiten von rund zehn bis zwölf Tagen. Für unsere Sonne würde das einem
Planeten entsprechen, der die Sonne im Abstand von nur 0,1 Astronomische
Einheiten umkreist. Das ist nur etwa ein Viertel des Sonnenabstands des Merkurs,
des in unserem Planetensystem sonnennächsten Planeten.
Diesen scheinbaren Widerspruch aufzuklären nahm sich Mario Flock vor, ein
Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Astronomie, gemeinsam mit Kollegen vom
Jet Propulsion Laboratory, der University of Chicago und der
Queen Mary University in London. Die beteiligten Forscher sind Experten
für die Simulation der komplexen Umgebung, in der Planeten entstehen, sowie für
die Modellierung der Strömungen und Wechselwirkungen von Gas, Staub,
Magnetfeldern, untereinander und mit Planeten und deren Vorstufen.
Angesichts des scheinbaren Paradoxons der nahen Kepler-Super-Erden
machten sie sich daran, die Planetenbildung in der Nähe sonnenähnlicher Sterne
im Detail zu simulieren. Ihre Ergebnisse erklären in der Tat, warum Kepler
so viele sternnahe Super-Erden findet – und liefern sogar gleich zwei
physikalische Mechanismen dafür. Erstens zeigte sich, dass solche frühen
Sternensysteme zumindest für Gesteinsplaneten mit einer bis zu 10-fachen
Erdmasse ("Super-Erde" oder "Mini-Neptun") eine natürliche "Kindersicherung"
aufweisen.
Wie bei vielen herkömmlichen Kindersicherungen gibt es dabei eine Barriere
kurz vor der Gefahrenzone. Bei jungen Sternen funktioniert dies wie folgt: Je
näher wir dem Stern kommen, desto intensiver ist die Strahlung des Sterns. Ab
einem gewissen Abstand zum Stern ist es so heiß in der Scheibe, dass
Staubpartikel zu Gas werden - die sogenannte Silikat-Sublimationsgrenze. Das
extrem heiße Gas in diesem Bereich ist äußerst turbulent. Diese Turbulenz
transportiert das Gas mit hoher Effektivität in Richtung Stern und dünnt dabei
den inneren Bereich der Scheibe aus.
Wenn eine junge Super-Erde durch das Gas reist, wird sie typischerweise von
Gas begleitet, das zusammen mit dem Planeten in einer hufeisenähnlichen
Anordnung um den Stern kreist. Wenn der Planet nach innen driftet und die
Silikat-Sublimationsgrenze erreicht, verpassen die Gaspartikel, die sich vom
heißen, dünneren Gas innerhalb der Grenze zum etwas dichteren Gas außerhalb
bewegen, dem Planeten jeweils einen kleinen Kick. Insgesamt übt das Gas dabei
einen Einfluss auf den Planeten aus, der ihn von der Grenze zurückschiebt. Die
Grenze wird auf diese Weise zur Sicherheitsbarriere, die verhindert, dass junge
Planeten in den Stern stürzen. Ihre Position entspricht für sonnenähnliche
Sterne genau den Umlaufzeiten, die auch das Kepler-Teleskop gefunden
hat. "Warum gibt es so viele Super-Erde in engen Umlaufbahnen, wie Kepler es uns
gezeigt hat? Weil junge Planetensysteme eine eingebaute Kindersicherung haben!,"
so Flock.
Es gibt noch eine weitere Erklärung für die eng umlaufenden Supererden.
Verfolgt man in der Simulation kleine, kieselsteinähnliche Felsbrocken mit
Durchmessern von wenigen Millimetern oder Zentimetern, dann zeigt sich, dass
sich solche Brocken direkt hinter der Silikat-Sublimationsgrenze ansammeln.
Hintergrund ist, dass das Gas diesseits und jenseits der Grenze im
Kräftegleichgewicht sein muss, denn andernfalls würde sich die Grenze
verschieben.
Da ein Teil der Stabilisierung über die Zentrifugalkraft erfolgt, muss das
dünne Gas im Übergangsbereich besonders schnell rotieren. Insbesondere rotiert
das Gas damit schneller als die sogenannte Kepler-Geschwindigkeit, nämlich die
Umlaufgeschwindigkeit eines einzelnen Teilchens, das einen Stern der
betreffenden Masse umkreist. Bei der Kepler-Geschwindigkeit halten sich aus
Sicht des kreisenden Teilchens die Anziehungskraft des Sterns und die
Zentrifugalkraft gerade die Waage.
Ein Felsbrocken, der in diese Übergangsregion eintritt, wird nun aber vom Gas
mitgerissen und kreist damit schneller als mit der Kepler-Geschwindigkeit. Bei
so hoher Geschwindigkeit überwiegt die Zentrifugalkraft, und der Felsbrocken
wird nach außen gedrückt –wie ein kleines Kind, das auf der Plattform eines sich
drehenden Karussells nach außen rutscht. Im Endeffekt sammeln sich Felsbrocken
damit außerhalb der Übergangsregion – weiter außen befindliche Brocken driften
nach innen, und was in die Übergangsregion driftet wird gleich wieder nach außen
befördert.
Die Ansammlung bietet ideale Bedingungen dafür, dass aus den Felsbrocken
außerhalb der Übergangsregion eine neue Super-Erde entsteht – eine weitere
Erklärung dafür, warum man genau dort besonders viele Super-Erden findet. Diese
Ergebnisse kamen für die Forscher nicht ganz überraschend. Tatsächlich hatten
sie zuvor bereits eine ähnliche Felsbrocken-Falle in Modellen von viel
massereicheren Sternen gefunden, allerdings in viel größerer Entfernung zum
Stern. Die neuen Forschungen erweitern den Mechanismus auf sonnenähnliche Sterne
und fügen die Kindersicherung für neugeborene Planeten hinzu.
Darüber hinaus ist die jetzt vorgestellte Studie die erste, der einen
systematischen Vergleich mit statistischen Daten des Kepler-Weltraumteleskop
zieht – und dabei sorgfältig berücksichtigt, dass Kepler aufgrund
seiner spezifischen Beobachtungsmethode, der Tansitmethode, prinzipiell nur
einen Teil der betreffenden Systeme identifizieren kann.
Interessanterweise hätte unser eigenes Sonnensystem nach diesen Kriterien
auch einen erdähnlichen Planeten beherbergen können, der der Sonne näher ist als
der derzeit innerste Planet, der Merkur. Ist die Tatsache, dass es einen solchen
Planeten im heutigen Sonnensystem nicht gibt, ein statistischer Zufall, oder
existierte ein solcher Planet und wurde irgendwann aus dem Sonnensystem
ausgestoßen? Das ist eine interessante Frage für die weitere Forschung. "Nicht
nur, dass unser Sonnensystem früher eine Kindersicherung besaß – es ist durchaus
möglich, dass das damalige Baby inzwischen erwachsen geworden und ausgezogen
ist", spekuliert Flock.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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