Erster Wissenschaftsflug über Europa
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
17. September 2019
Die fliegende Sternwarte SOFIA ist wieder in Europa und
startet morgen von Stuttgart aus zum ersten Wissenschaftsflug über dem
Kontinent. SOFIA wird bei ihrem Forschungsflug unter anderem Beobachtungen zu
den Themen Schwarze Löcher und Dunkle Energie machen. Parallel dazu findet in
der Landeshauptstadt Baden-Württembergs die Herbsttagung der Astronomischen
Gesellschaft statt.

SOFIA, das fliegende Weltraumobservatorium,
ist am Montag, 16. September 2019, um 4:03 Uhr
auf dem Flughafen Stuttgart gelandet. Von dort
aus soll das Forschungsflugzeug am 18. September
zu seinem ersten Wissenschaftsflug über Europa
abheben.
Bild: Heinz Hammes / DLR [Großansicht] |
Gestern um 4:03 Uhr ist die fliegende Sternwarte SOFIA (Stratosphären
Observatorium Für Infrarot-Astronomie) – ein Gemeinschaftsprojekt der
US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA und dem Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) – auf dem Flughafen Stuttgart gelandet. Von dort aus wird SOFIA
morgen um 19:40 Uhr zu ihrem ersten Wissenschaftsflug über Europa abheben und
dabei gleich zwölf Länder überqueren. Der Vorteil: Während ihrer Europa-Mission
fliegt SOFIA deutlich nördlicher als bei einem Start von ihrer südkalifornischen
Heimatbasis in Palmdale. Je näher an den Polen die Infrarotsternwarte fliegt,
desto weniger Wasserdampf ist in der Atmosphäre über ihr vorhanden – und desto
besser sind die Beobachtungsbedingungen.
"Es ist etwas ganz Besonderes, dass die fliegende Sternwarte SOFIA von
Stuttgart aus zu ihrem ersten europäischen Wissenschaftsflug antreten wird.
Spannende Beobachtungen erwarten die Forscher auf dieser knapp zehnstündigen
Forschungsreise", freut sich die Vorstandsvorsitzende des DLR, Prof. Pascale
Ehrenfreund. "Die Wissenschaftler an Bord des Flugzeuges erkunden die Umgebung
von Schwarzen Löchern und gehen der Frage nach, ob Dunkle Energie unser
Universum wirklich immer schneller auseinandertreibt."
Vor 50 Jahren betraten nicht nur die ersten Menschen den Mond. 1969 fanden
Wissenschaftler der NASA auch – eher zufällig – eine ganz besondere Galaxie. Im
Sternbild Großer Bär liegt Markarian 231 (Mrk 231), die rund 600 Millionen
Lichtjahre von unserer Erde entfernt ist. Damit ist sie zirka 300-mal weiter
entfernt als die Andromeda-Galaxie, die unserer Milchstraße am nächsten liegt.
Trotzdem ist Mrk 231 einer der Erde am nächsten gelegenen, extrem hellen aktiven
Galaxienkerne. Seine Leuchtkraft im Infrarot-Bereich macht Mrk 231 zu einer der
hellsten und bekanntesten ultraleuchtstarken Infrarot-Galaxien.
Um ihr Zentrum kreisen gleich zwei Schwarze Löcher. Eines davon ist mit vier
Millionen Sonnenmassen eher klein, das andere mit 150 Millionen Sonnenmassen
schon deutlich größer. Für die Umgebung dieser Schwarzen Löcher interessieren
sich die Forscher auf dem ersten europäischen SOFIA-Wissenschaftsflug. Denn um
sie herum versammelt sich eine Masse aus Gas und Staub – der Staubtorus. Diese
Donut-förmige Region befindet sich in jedem aktiven Galaxienkern. Unklar ist
aber, welche Rolle sie in der Erzeugung von Radiojets spielen. Diese zwei
senkrechten Plasmastrahlen werden von Schwarzen Löchern im Zentrum des aktiven
Galaxienkerns gebildet, indem sie Plasma mit Lichtgeschwindigkeit ins All
ausblasen. Doch nicht jeder aktive Galaxienkern hat auch diese Radiojets. Das
zeigen radioastronomische Beobachtungen.
Vorausgegangene Studien mit SOFIA weisen darauf hin, dass das Magnetfeld in
diesem staubhaltigen Torus helfen könnte, diese Radiojets auszulösen. Lässt sich
die Entstehung der Jets aber tatsächlich auf die Präsenz – beziehungsweise das
Ausbleiben – eines Magnetfelds zurückführen? Eine wichtige Frage, auf die
Astronomen bislang keine Antwort gefunden haben. Da nur das
Ferninfrarot-Instrument HAWC+ (High-resolution Airborne Wide-band Camera) auf
SOFIA Magnetfelder in diesem Wellenlängenbereich vermessen kann, möchten die
SOFIA-Forscher den Zusammenhang zwischen diesen Feldern und den Radiojets
entschlüsseln.
Begonnen haben sie mit ihren Beobachtungen zum aktiven Galaxienkern von
Cygnus A während eines Fluges über Südkalifornien im Jahr 2018. "Die erste
Europa-Mission von SOFIA soll diese Forschung nun fortsetzen, um dieses
astronomische Rätsel um die Radiojets endlich zu lösen", sagte Dr. Alessandra
Roy, deutsche SOFIA-Projektwissenschaftlerin im DLR Raumfahrtmanagement, welches
die fliegende Sternwarte gemeinsam mit der NASA betreibt.
Eine weitere Fragestellung des SOFIA-Forschungsflugs über Europa betrifft die
Ausdehnung unseres Universums. Es dehnt sich seit dem Urknall kontinuierlich
aus, eine Entdeckung, die von Edwin Hubble 1920 gemacht wurde. Doch dann kamen
Ende der 1980er-Jahre die nobelpreisgekrönten Astrophysiker Saul Perlmutter,
Adam Riess und Brian Schmidt. Sie beobachteten Supernovae vom Typ Ia. Diese
Sternenexplosionen als sogenannte kosmische Leuchttürme sind weit sichtbar und
immer gleich hell. Damit lassen sich die Entfernungen dieser Sternenexplosionen
klar bestimmen: Je heller diese Supernovae Typ Ia erscheinen, desto näher sind
sie uns.
Bestimmt man nun die Helligkeiten vieler Supernovae, kann man ermitteln, ob
sich die Ausdehnung des Universums beschleunigt. Das Ergebnis war überraschend:
Die beobachteten Sternenexplosionen waren blasser als erwartet. Damit war für
die drei Forscher klar: Das Universum nimmt Fahrt auf und wird mit wachsender
Geschwindigkeit von einem rätselhaften, unbekannten Beschleuniger namens Dunkler
Energie immer weiter auseinandergetrieben.
Doch ist das wirklich so? Liegt die Abnahme der Helligkeit wirklich an einem
schnelleren Auseinanderdriften des Universums? Oder hatten die Teleskope
vielleicht einfach Staub vor der Linse, der die Helligkeit der Aufnahmen
verblassen ließ? "Genau diesen Fragen gehen Forscher aus Austin im
US-Bundesstaat Texas nach, indem sie mit dem Instrument HAWC+ auf SOFIA den
Staub in den Heimatgalaxien einer Supernovae Typ Ia beobachten. Dafür messen sie
den Staubanteil in der Region um die Sternenexplosion herum.
Auch das Weltraumteleskop Euclid der europäischen
Weltraumorganisation ESA, das im Jahr 2022 starten soll, wird sich auf die Suche
nach Dunkler Energie begeben. "Nach diesen Beobachtungen werden wir vielleicht
genauer wissen, ob die Ausdehnung des Universums wirklich durch die Dunkle
Energie beschleunigt", erklärt Roy, die neben SOFIA auch an der Euclid-Mission
beteiligt ist.
Insgesamt hat SOFIA für diesen zehnstündigen Flug noch weitere
wissenschaftliche Beobachtungen vorgesehen. So nehmen die Astronomen vom
Smithsonian Astrophysical Observatory im US-amerikanischen Cambridge auch die
Region Serpens South im Sternbild Schlange vom Himmel über Frankreich aus ins
Visier – eine Formation extrem junger Sterne. Bei diesen drei bis vier Millionen
Jahre jungen Sternen können die Forscher Sternenentstehung fast von ihrem Beginn
an verfolgen und mehr über diesen Prozess herausfinden.
Die nächste Beobachtung konzentriert sich auf die Sternenformation L 1495 im
sogenannten Taurus Filament. Die Forscher der Universität Berkeley wollen dabei
herausfinden, welche Rolle die Dynamik von Magnetfeldern auf den Formungsprozess
von Filamentwolken hat. "Das wird die längste Einzelbeobachtung von SOFIA auf
Ihrem ersten Flug in Europa sein, welche südlich der schwedischen Küste in der
Ostsee beginnt und über Polen, Tschechien, Österreich, Slowenien, Kroatien, der
Adria, Italien bis kurz vor Sizilien führt", zeigt Clemens Plank,
Projektingenieur für SOFIA beim DLR Raumfahrtmanagement, am Flugplan, welcher
vorab mit allen europäischen Luftverkehrsbehörden abzustimmen war.
Auf dieser spannenden Forschungsreise werden nicht nur Wissenschaftler mit an
Bord sein. Ein Team der "Sendung mit der Maus" wird in einer Spezialausgabe
"Teleskope und die Infrarotastronomie" dem Mauspublikum Einblicke in den
Forschungsflug von SOFIA geben. Außerdem wird ein Preisträger des
Forschernachwuchswettbewerbes "Jugend forscht" bei der Europa-Prämiere von SOFIA
mitfliegen dürfen.
Die Tagung der Astronomischen Gesellschaft, bei der SOFIA natürlich auch
Thema ist und die vom Deutschen SOFIA-Institut in Stuttgart organisiert wird,
läuft noch bis Freitag. Die 1500 Tickets, die das Deutsche SOFIA-Institut für
die Öffentlichkeit zur Besichtigung zur Verfügung gestellt hatte, waren
innerhalb weniger Sekunden vergriffen. SOFIA wird auch Thema des im Rahmen der
AG-Tagung organisierten öffentlichen Abendvortrags sein, der am Donnerstag, 19.
September 2019, stattfindet. Der Vortrag "Blick ins versteckte Universum -
Highlights der fliegenden Sternwarte SOFIA" beginnt um 20 Uhr im Evangelischen
Bildungszentrum Hospitalhof in Stuttgart.
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