Das Schmelzen eines
antarktischen Gletschers
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
5. Februar 2019
Allein das komplette Schmelzen des großen Thwaites-Gletschers
in der Antarktis könnte den Meeresspiegel um mehr als 65 Zentimeter steigen
lassen. Die detaillierte Entwicklung dieses eisigen Giganten lässt sich nur
mithilfe von Satelliten erforschen. Daten der beiden deutschen Radarsatelliten
TerraSAR-X und TanDEM-X lieferten dazu nun einen wichtigen Beitrag.
TanDEM-X Höhenmodell vom 15. Juli 2014 über
dem Schelfeis des Thwaites-Gletschers in der
Westantarktis: deutlich erkennbar sind die
abgelösten und im Meereis festgefrorenen
Tafeleisberge.
Bild: DLR (CC-BY 3.0) [Großansicht] |
Der Thwaites-Gletscher gehört zu den fragilsten Gletschern der Westantarktis
und schmilzt mit zunehmender Geschwindigkeit unaufhaltsam in die Amundsensee.
Bislang ist er für rund vier Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs
verantwortlich und kann mit seinen verbleibenden Eismassen die Ozeane künftig um
mehr als 65 Zentimeter steigen lassen.
Mithilfe der deutschen Radarsatelliten TerraSAR-X und TanDEM-X
ist es erstmals möglich, den Thwaites-Gletscher und andere Polgebiete
flächendeckend mit hoher Auflösung dreidimensional zu vermessen und regelmäßig
zu beobachten. Um die Schmelzprozesse und Veränderungen des Thwaites-Gletschers
besser verstehen und vorhersagen zu können, haben Wissenschaftler des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) spezielle TanDEM-X-Höhenmodelle erstellt.
Ein gigantischer Hohlraum, ein 350 Meter großes Loch, klafft im Boden des
antarktischen Gletschers und frisst sich mit dem von unten eindringenden
Meerwasser immer weiter in das Eis hinein. Die Experten hatten schon seit Jahren
den Verdacht, dass Thwaites nicht fest mit seinem Untergrund verbunden ist. Die
Größe des Hohlraums sowie die Ausbildung von subglazialen Rinnen ist jedoch so
überraschend wie besorgniserregend: Insgesamt 14 Milliarden Tonnen Eis sind so
bereits ausgewaschen worden – vorwiegend in den letzten drei Jahren, wie aus den
Satellitendaten der amerikanischen, deutschen und italienischen
Forschungspartner hervorgeht.
Anhand der TanDEM-X-Aufnahmen konnte dabei die Schmelzrate bestimmt
werden. Darüber hinaus offenbaren die TanDEM-X-Höhenmodelle die
besondere Dynamik des Gletschers: Die Hebungen und Senkungen der Eisoberfläche
wurden genau vermessen und gaben damit wichtige Rückschlüsse auf die
darunterliegenden Schmelzprozesse. Mit Aufnahmen der italienischen Cosmo-Skymed-Satelliten
konnte auch die Wanderung der "Aufsetzlinie" des Gletschers - welche den
Übergang markiert, an dem die Eismasse kein Festland mehr unter sich hat und
beginnt auf dem Meer zu schwimmen - im Zeitverlauf genau beobachtet werden.
So kamen die Wissenschaftler zu der neuen Erkenntnis, dass sich zwar die
Gletscheroberfläche hebt, die Eisdicke aber insgesamt abnimmt. Die
Wechselwirkungen zwischen Eismasse und eindringenden Meerwasser haben
weitreichendere Folgen als bisher angenommen. Um die Auswirkungen der
Gletscherschmelze auf den globalen Meeresspiegel genauer vorhersagen zu können,
sind diese und weitere Erkenntnisse daher essenziell.
Die aktuelle Studie zeigt, welche entscheidende Rolle innovative
Radarsatellitentechnologien dabei spielen. Für die detaillierten
Zeitreihen-Analysen nutzten die DLR-Experten insgesamt 120 TanDEM-X-Aufnahmen
im Zeitraum 2010 bis 2017. Mithilfe des globalen TanDEM-X-Geländemodells
wurde daraus eine Zeitreihe von Höhenmodellen erstellt.
"Diese einzigartige Fähigkeit von TanDEM-X ermöglicht die präzise
Beobachtung von Änderungen in der Oberflächentopographie und damit derart
fundierte Analysen von Schmelzprozessen in den Polkappen", sagt Dr. Paola
Rizzoli vom DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme. Die
detaillierte Bestimmung der Gletscherstruktur gelingt dank einer hochgenauen
interferometrischen Prozessierung, Geokodierung und Kalibrierung der TanDEM-X-Aufnahmen,
die am DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme implementiert
wurde. Die Eingangsdaten liefert die automatisierte TanDEM-X-Prozessierungskette
des DLR-Instituts für Methodik der Fernerkundung.
Aufgezeichnet werden die Daten von TerraSAR-X und TanDEM-X
vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum an seinen Stationen in Neustrelitz,
Inuvik (kanadische Arktis) und GARS O’Higgins (Antarktis). Das Deutsche
Raumfahrtkontrollzentrum ist am DLR in Oberpfaffenhofen für den Betrieb der
Zwillingssatelliten verantwortlich. Dank der neuen Technologien und Methoden der
Radarfernerkundung können Wissenschaftler die kritischen Klimaprozesse noch
gezielter untersuchen und Vorhersagemodelle weiter verbessern.
Eine mögliche Nachfolgemission zu TanDEM-X hat das DLR auch bereits
entworfen: Das Tandem-L-Missionskonzept sieht zwei Radarsatelliten vor,
die im L-Band (23,6 Zentimeter Wellenlänge) arbeiten und dynamische Prozesse auf
der Erdoberfläche wie das Abschmelzen des Thwaites-Gletschers global und
systematisch erfassen sollen. Ziel von Tandem-L ist es, die Landmasse
der Erde im Wochenrhythmus abzubilden.
Die Mission wird neue Maßstäbe in der Erdbeobachtung setzen, den globalen
Wandel mit einer neuen Qualität beobachten und wichtige Handlungsempfehlungen
ermöglichen. Mit der neuen Technologie könnten die dreidimensionalen Strukturen
von Vegetations- und Eisgebieten erfasst werden sowie die großflächige
Vermessung von Deformationen mit Millimetergenauigkeit erfolgen.
Die Ergebnisse der von der jetzt vorgestellten und von der NASA geleiteten
Studie ist in der Zeitschrift Science Advances erschienen.
|