Ferne Welten interdisziplinär erforschen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
5. Juli 2018
In Bern haben Astrophysiker und Medizintechniker gemeinsam
eine neue Methode entwickelt, die eine einfachere Untersuchung von Spektren
extrasolarer Planeten erlaubt. Die ungewöhnliche Zusammenarbeit setzt auf
maschinelles Lernen, einem Teilgebiet der künstlichen Intelligenz. Ausprobiert
wurde das neue Verfahren an dem bekannten Exoplaneten WASP-12b.

Der extrasolare Planet WASP-12b umkreist
seinen Stern in nur geringer Entfernung und
erscheint äußerst dunkel.
Bild: NASA, ESA, und G. Bacon (STScI) [Großansicht] |
Der Astrophysiker Kevin Heng, Direktor des Center for Space and
Habitability (CSH) an der Universität Bern, war sofort fasziniert, als er
von der Arbeit von Raphael Sznitman, Professor am ARTORG Center for
Biomedical Engineering Research erfuhr. Sznitman und seine Gruppe nutzen
für ihre Medizintechnik-Forschung maschinelles Lernen. Es ermöglicht Computern,
aus Daten zu lernen, ohne dafür explizit programmiert werden zu müssen.
Die Medizintechniker verwenden maschinelles Lernen unter anderem, um
chirurgische Werkzeuge während Augenoperationen zu kontrollieren und um auf
Bildern Biomarker zu erkennen, die Krankheiten identifizieren können. "Raphael
Sznitmans Art, Bilder zu betrachten, gleicht der Vorgehensweise in der
Astronomie", stellt Heng fest: "Egal ob in der Astronomie oder in der
Medizintechnik, man versucht immer die Mängel der Bildgebungsverfahren zu
verstehen und sie zu verbessern."
Und die Analysemethoden, die in Sznitmans Gruppe entwickelt werden, sind auf
verschiedene Datenarten anwendbar. So beschlossen die beiden Wissenschaftler
eine sehr ungewöhnliche interdisziplinäre Zusammenarbeit: Erstmals wollten sie
maschinelles Lernen einsetzen, um damit die Atmosphäre von Planeten außerhalb
unseres Sonnensystems zu analysieren.
In der Astronomie wird das Licht eines Objekts in verschiedene Farben
zerlegt, um ein Spektrum zu erhalten. Das Spektrum eines Exoplaneten enthält
versteckte Informationen über die in seiner Atmosphäre vorhandenen Moleküle, die
physikalischen Bedingungen und die Existenz von Wolken. Durch die Analyse und
Interpretation des Spektrums können Astronominnen und Astronomen beispielsweise
Wasser in der Atmosphäre eines Planeten aufspüren und die Bewohnbarkeit
abschätzen.
Dazu vergleichen die Forschenden die Lichtspektren der Exoplaneten mit
Modell-Spektren und versuchen, eine möglichst ähnliche Kombination zu finden.
Dieser Prozess war bisher sehr zeitaufwendig und bot Raum für menschliche
Fehleinschätzungen. Deshalb wollte ihn das Team beschleunigen und
automatisieren. Mit Hilfe von Postdoktorand Pablo Marquez-Neila (ARTORG) und
Doktorandin Chloe Fisher (CSH) berechneten sie eine große Menge von Modellen und
verwendeten diese dann als Trainingsset für das maschinelle Lernen.
Mithilfe dieser Daten lernt der Computer, aus einem Spektrum die
Zusammensetzung der Exoplaneten-Atmosphäre zu bestimmen. Die Methode, mit der
der Computer das optimale Modell findet, heißt "Random Forest" (Zufallswald).
Sie wird traditionellerweise zur Klassifizierung von Objekten in Bildern
verwendet und funktioniert im Prinzip wie die Gesichtserkennung, die wir von
unseren Smartphones kennen.
"Der Computer lernt anhand der Daten zu erkennen, ob ein bestimmtes Merkmal
auf einem Bild vorhanden ist oder nicht. Weil sich das Verfahren aus sehr vielen
solcher Entscheidungsbäumen zusammensetzt, heißt es Random Forest", erklärt
Sznitman. "Wir mussten uns zuvor mehrmals zusammensetzen, bis wir das Problem
vollständig verstanden hatten", erinnert sich Sznitman: "Dann war uns klar, dass
Random Forest auch auf Lichtspektren angewandt werden kann und somit die Lösung
ist."
Um die Methode zu testen, wählten die Astrophysiker als Beispiel den
Exoplaneten WASP-12b, einen Jupiter-großen Planeten mit einer Temperatur von
mehr als 1000 Grad Celsius. Im beobachteten Spektrum musste der Computer nach
Mustern suchen. "Das menschliche Auge ist sehr gut darin, aufgrund von Mustern
Gesichter intuitiv zu erkennen", erklärt Heng: "Aber wenn es um sehr abstrakte
Muster geht, stößt der menschliche Verstand schnell an Grenzen."
Der Computer reüssierte im Fall des heißen Jupiters WASP-12b und zeigte, dass
die Random Forest-Methode viel schneller funktioniert als der reguläre Ansatz
ohne maschinelles Lernen. Diese neuartige Anwendung des maschinellen Lernens
eröffnet spannende Möglichkeiten für die Zukunft. "Wir haben nun bessere
Informationen, wenn es beispielweise darum geht, den Wassergehalt einer
Exoplaneten-Atmosphäre abzuschätzen", sagt Heng: "Das erhöht unsere Chancen im
internationalen Wettbewerb um die wertvolle Teleskopzeit. Und vielleicht können
wir sogar das Design künftiger Instrumente beeinflussen."
Das Team beabsichtigt, seine Software öffentlich zugänglich zu machen, so
dass Forschende künftig überall auf der Welt Spektren von Exoplaneten schneller
analysieren können. "Das demokratisiert die Analyse. Alle, die einen Computer
mit der Python-Software haben, können dieselben Analysen wie wir durchführen –
das dauert nicht länger als eine Kaffeepause", merkt Heng an.
Die erfolgreiche Zusammenarbeit wird zudem fortgesetzt und soll auch zur
Lösung medizinischer Probleme beitragen. In der Astronomie gibt es eine lange
Tradition im Umgang mit Bildverarbeitung und Modellrechnungen. "Medizinische
Bilder von Patientinnen und Patienten sind nicht immer ideal. Die große
Erfahrung der Astronominnen und Astronomen mit Modellrechnungen ist auch für die
Bildverarbeitung in der Medizin sehr interessant und könnte die Diagnose und
Behandlung der Patienten verbessern", glaubt Sznitman. Die Kooperation zwischen
Astrophysik und Medizintechnik ist ein gutes Beispiel für gelebte
Interdisziplinarität, von der alle Beteiligten profitieren.
Über ihr Verfahren berichten die Forscher in der Fachzeitschrift
Nature Astronomy.
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