Die Strahlungsgürtel des Ringplaneten
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
2. November 2017
Mehr als 13 Jahre lang hat die Sonde Cassini das
Saturnsystem erforscht und dabei auch einmalige Daten über die Strahlungsgürtel
des Ringplaneten gesammelt. Deren Analyse ergab nun, dass sich die Gürtel des
Saturn deutlicher von denen der Erde unterscheiden als bislang angenommen worden
war. Insbesondere entwickeln sie sich unabhängig vom Sonnenwind.

Die von Cassini gemessene
Protonen-Strahlungsintensität.
Bild: MPS [Großansicht] |
Die Strahlungsgürtel von Erde und Saturn unterscheiden sich stärker als
bisher angenommen. In diesen "Gürteln" bewegen sich hochenergetische Teilchen
wie etwa Elektronen und Protonen mit hohen Geschwindigkeiten um den Planeten
herum – eingefangen von seinem Magnetfeld. Im Fall der Erde bestimmt in erster
Linie der Sonnenwind, ein Strom geladener Teilchen von der Sonne, der mal
stärker, mal schwächer ausfällt, auf direktem und indirektem Wege die Intensität
der Strahlungsgürtel.
Die Strahlungsgürtel des Saturns hingegen entwickeln sich völlig unabhängig
vom Sonnenwind, werden jedoch maßgeblich von den Monden des Gasriesen
beeinflusst. Zu diesem Ergebnis kommt eine Gruppe von Forschern unter führender
Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in der
bisher umfassendsten Studie zum Thema. Schlüssel zu den neuen Erkenntnissen sind
Messungen des Instruments MIMI-LEMMS an Bord der NASA-Raumsonde Cassini,
die vor ihrem Sturzflug in den Saturn am 15. September dieses Jahres mehr als 13
Jahre lang das Saturnsystem erforschte.
Die Aktivität der Sonne – und mit ihr die Stärke des Sonnenwindes – folgt
einem etwa elfjährigen Zyklus. Um den langfristigen Einfluss des Sonnenwindes
auf die Strahlungsgürtel eines Planeten zu untersuchen, braucht man somit einen
langen Atem. "Hätte Cassini tatsächlich – wie zunächst vorgesehen – nur
vier Jahre im Saturnsystem verbracht, wären wir nie zu den aktuellen Ergebnissen
gelangt", erklärt Dr. Elias Roussos vom MPS. Zum Glück wurde die Mission
mehrfach verlängert.
So konnte der Teilchendetektor MIMI-LEMMS (die Abkürzung
steht für "Magnetospheric Imaging Instrument – Low Energy Magnetospheric
Measurement System") an Bord von Cassini die Verteilung geladener
Teilchen in der Umgebung des Saturns über einen Zeitraum aufzeichnen, der einen
kompletten Sonnenzyklus umfasst. "Solch umfangreiche in-situ-Daten zum
Strahlungsgürtel eines Planeten gibt es ansonsten nur von der Erde", so
MPS-Forscher Dr. Norbert Krupp, der das MIMI-LEMMS-Team leitet.
Wie die Cassini-Daten zeigen, sind die Ausmaße der
Protonen-Strahlungsgürtel des Gasriesen gigantisch: Sie reichen vom innersten
Ring des Planeten bis zur Umlaufbahn des Mondes Tethys – und damit mehr als
285.000 Kilometer ins Weltall. Ein entscheidender Unterschied zur Erde: Während
unser Mond weit außerhalb der irdischen Magnetosphäre und der irdischen
Strahlungsgürtel seine Bahnen zieht, enthalten die des Saturns mehrere seiner
Trabanten – etwa die großen Monde Janus, Mimas und Enceladus.
"Die Saturnmonde prägen den Strahlungsgürtel entscheidend", so Krupp. Auf die
hochenergetischen Teilchen, besonders auf die Protonen, wirken sie wie eine Art
Grenzwall: Jegliche Protonen, die von ihrem Entstehungsort weiter nach innen
diffundieren, werden beim Zusammentreffen mit einem Mond absorbiert und somit
aufgehalten. "Auf diese Weise entstehen Bereiche im Strahlungsgürtel, die fast
völlig von einander isoliert sind", erklärt Roussos. Bei der Erde hingegen
speisen vor allem Teilchen, die weiter außen entstehen und dann nach Innen
wandern, den inneren Teil des Strahlungsgürtels.
Im Fall der Erde haben die hochenergetischen Teilchen, welche die
Strahlungsgürtel bilden, zweierlei Ursprünge. Einige werden direkt vom
Sonnenwind eingetragen. Andere lassen sich auf den Einfall kosmischer Strahlung
zurückführen. Trifft diese Strahlung auf die Atmosphäre des Planeten, setzt dies
eine Kette von Reaktionen in Gang, an deren Ende hochenergetische Elektronen und
Protonen entstehen. Da der Sonnenwind die kosmische Strahlung teilweise
abschirmt und so moduliert, spielt die Aktivität der Sonne auch bei diesem
Prozess eine entscheidende Rolle.
Im Saturnsystem ist dies anders: "Zwar konnten wir bereits in den ersten
Jahren der Cassini-Mission beobachten, dass der Sonnenwind dramatische
Veränderungen in der Magnetosphäre des Saturns bewirken konnte", berichtet Roussos. "Doch dieser direkte Einfluss endet abrupt an der Umlaufbahn des Mondes
Tethys." Dennoch deutete zunächst alles darauf hin, dass der Sonnenwind auch die
Strahlungsgürtel mitgestaltet – wenn auch nur indirekt: Die ersten Jahre der
Cassini-Mission fielen mit einem Abfall der Sonnenaktivität zusammen; die
Intensität der Strahlungsgürtel stieg wie erwartet an.
In der Zeit von 2010 bis 2012 zeigte sich jedoch ein deutlicher Abfall der
Intensität. Dieser lässt sich nicht auf den deutlich langsamer veränderlichen
Sonnenwind zurückführen. Und auch Sonnenstürme, heftige Teilchen- und
Strahlungsausbrüche von der Sonne, können nicht verantwortlich sein. Solche
Stürme sorgen zwar auf der Erde immer wieder für einen schlagartigen
Intensitätseinbruch. Wie umfangreiche Simulationen der Forscher zeigen, können
sie den beobachteten, jahrelangen Abfall jedoch nicht erklären.
Die Wissenschaftler machen vielmehr energiereiche ultraviolette Strahlung,
sogenannte EUV-Strahlung, von der Sonne für den Effekt verantwortlich. Diese
Strahlung kann die Atmosphäre eines Planeten lokal aufheizen. Die so
entstehenden turbulenten Winde übertragen diese Information in die Ionosphäre,
die ihrerseits durch das Magnetfeld des Planeten die Magnetosphäre beeinflusst.
Im Ergebnis verteilen sich die Protonen in den Strahlungsgürteln deutlich
effizienter als sonst um.
Beim Saturn treffen sie auf ihrem Weg nach Innen jedoch auf Monde, die sie
sozusagen "absaugen": Die Intensität der Strahlungsgürtel nimmt dadurch deutlich
ab. "Wir beobachten, dass der Intensitätsabfall in den
Protonen-Strahlungsgürteln des Saturn exakt mit starken Änderungen in der
EUV-Strahlung von der Sonne zusammenfällt", beschreibt Roussos die jüngsten
Ergebnisse. Es ist also möglich, dass die Sonne dem Strahlungsgürtel des
Gasriesen durchaus ihren Stempel aufdrückt – wenn auch nicht durch den
Sonnenwind.
"Unsere Analysen erinnern uns zudem, wie stark die Eigenschaften der
Strahlungsgürtel vom Aufbau des jeweiligen Planetensystems, also im Fall des
Saturns von der Lage und Anzahl der Monde, abhängen", so Roussos. Diese
Erkenntnis könnte auch für einen Blick über den Rand des Sonnensystems hinaus
hilfreich sein: Falls sich in Zukunft die Strahlungsgürtel eines Exoplaneten
aufspüren lassen, könnten diese Daten indirekt auch Informationen über den
Aufbau des Systems enthalten.
Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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