Das Proton schrumpft erneut
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik astronews.com
11. Oktober 2017
Es war eine der Sensationen des Jahres 2010: Der Ladungsradius des Protons
erwies sich bei einer speziellen Form des Wasserstoffs als deutlich kleiner als der aus bisherigen
Messungen an gewöhnlichem Wasserstoff ermittelte Wert. Ein Hinweis auf eine
Abweichung vom Standardmodell? Neue Messungen mit normalem Wasserstoff ergaben
nun aber auch hier deutlich kleinere Werte.

Der Vakuumapparat, der zur Messung der
2S-4P-Übergangsfrequenz in atomarem Wasserstoff
genutzt wurde.
Foto: MPQ [Großansicht] |
Wasserstoff ist das einfachste aller chemischen Elemente. Nach dem 1913 von
Niels Bohr vorgeschlagenen Modell besteht es aus einem einzigen Proton und einem
darum kreisenden Elektron. Für die Energieniveaus dieses Systems liefert die
Quantenelektrodynamik Vorhersagen, die mittlerweile auf zwölf Dezimalstellen
genau sind. Wasserstoff spielt deshalb eine Schlüsselrolle für unser Verständnis
von der Natur. Aus seiner Untersuchung lassen sich fundamentale Größen wie die
Rydberg-Konstante und der Ladungsradius des Protons bestimmen. Wasserstoff ist
also das ideale Testobjekt, um die Naturgesetze zu überprüfen.
Deshalb erregten 2010 Messungen an myonischem Wasserstoff, die einen
unerwartet kleinen Protonenradius ergaben, höchste Aufmerksamkeit. Bei diesen am
Paul Scherrer-Institut im schweizerischen Villigen realisierten Experimenten
wird das Elektron im Wasserstoffatom durch sein Geschwisterteilchen, das 200-mal
schwerere und kurzlebige Myon, ersetzt. Laserspektroskopie an diesem myonischem
Wasserstoff ergab einen um vier Prozent kleineren Protonenradius als frühere
Messungen an gewöhnlichem Wasserstoff, und dies mit einer für eine Einzelmessung
extrem hohen Genauigkeit.
"Da das Myon 200-mal schwerer ist als das Elektron, kommt es dem Proton viel
näher und 'spürt' buchstäblich dessen Ausdehnung", erklärt Prof. Randolf Pohl,
der auf Seiten des MPQ maßgeblich an der Messung beteiligt war. "Der
Protonenradius hat deswegen einen um sieben Größenordnungen stärkeren Einfluss
auf die Spektrallinien als in regulärem Wasserstoff. Daraus ergibt sich die hohe
Präzision, mit der wir den Protonenradius bestimmen konnten."
Die hohe Diskrepanz zwischen den Messungen an regulärem Wasserstoff und
seiner exotischen Variante gab Anlass zu zahlreichen Debatten über die möglichen
Ursachen. "Allerdings stimmen einige der bisherigen Messungen durchaus mit dem
myonischen Wert überein. Denn der Einfluss des Protonenradius auf die
Energieniveaus in regulärem Wasserstoff ist sehr klein und selbst mit sehr hoher
Messpräzision kaum sichtbar. Die Diskrepanz wird erst dann signifikant, wenn
alle Messungen gemittelt werden", erklärt Lothar Maisenbacher, Doktorand am
Experiment. "Deshalb ist es für die Auflösung des 'Proton-Rätsels' besonders
wichtig, einzelne neue Messungen mit hoher Genauigkeit und, soweit möglich,
anderen experimentellen Ansätzen durchzuführen."
Um sowohl Rydberg-Konstante und als auch Protonenradius nur durch
Spektroskopie an regulärem Wasserstoff zu bestimmen, müssen zwei verschiedene
Übergangsfrequenzen gemessen werden. Als Eckpfeiler dient dabei die mit Abstand
schärfste Resonanz, der sogenannte 1S-2S-Übergang, dessen Frequenz vom MPQ-Team
2011 mit Laserspektroskopie auf 15 Dezimalstellen genau gemessen wurde. Diese
hohe Genauigkeit wurde nicht zuletzt durch die Entwicklung des Frequenzkamms
möglich, für den Hänsch 2005 den Physik-Nobelpreis erhielt.
Als zweiten Übergang wählte das MPQ-Team den sogenannten 2S-4P-Übergang, der
vom metastabilen 2S-Zustand in den deutlich kurzlebigeren 4P-Zustand führt. Im
Experiment wird dieser Übergang von einem Laser mit einer Wellenlänge von 486
Nanometer angeregt und die beim Zerfall des 4P-Zustand entstehende Fluoreszenz
wird als Signal detektiert. Der zuvor zur 1S-2S-Messung genutzte Apparat dient
als Quelle für Wasserstoffatome im 2S-Zustand.
Im Vergleich zu vorherigen Messungen, die bei Raumtemperatur arbeiteten,
haben die spektroskopisch untersuchten Atome dadurch eine deutlich niedrigere
Temperatur von 5,8 Kelvin und damit auch eine deutlich niedrigere
Geschwindigkeit. Zusammen mit weiteren eigens entwickelten Techniken kann somit
der Dopplereffekt, die größte Fehlerquelle für die Messung, stark unterdrückt
werden.
"Eine weitere Fehlerquelle bei diesem Experiment ist die sogenannte
Quanteninterferenz", erklärt Maisenbacher. "Könnten wir einen einzelnen,
isolierten Übergang anregen, wäre die natürliche Form der Spektrallinie
symmetrisch. Allerdings gibt es in unserem Fall zwei vom Laser angeregte obere
Zustände, nämlich 4P 1/2 und 4P 3/2. Dadurch werden die Spektrallinien leicht
asymmetrisch, und die Bestimmung der Linienmitte schwieriger. Der Effekt ist
zwar sehr klein, spielt aber angesichts der erreichten Genauigkeit von fast
einem Zehntausendstel der Linienbreite eine große Rolle."
Um den Einfluss der Quanteninterferenz zu beschreiben, führen die
Wissenschaftler detaillierte Simulationen durch, die sehr gut mit den
experimentellen Ergebnissen übereinstimmen. "In unserem Fall reicht aber auch
schon eine speziell hierfür hergeleitete, einfache Fitfunktion, um den Effekt
der Quanteninterferenz entfernen zu können", betont Vitaly Andreev, ebenfalls
Doktorand am Experiment. "Diese Fitfunktion benutzen wir auch zur
Datenauswertung. Wir müssen hier nur noch in Form kleiner Korrekturen von der
Größenordnung ~1 kHz auf die Simulation zurückgreifen."
Damit schafft es das MPQ-Team die Frequenz des 2S-4P-Übergangs in Wasserstoff
auf 2,3 Kilohertz genau zu bestimmen. Dies entspricht einer relativen
Messungenauigkeit von 4x10-12 und
stellt die zweitgenaueste Spektroskopiemessung nach der zuvor genannten Messung
des 1S-2S-Übergangs dar. Aus der Kombination dieser beiden Ergebnisse bestimmen
sich die Werte für die Rydberg-Konstante und den Protonenradius zu R∞ =
10973731.568076(96) m-1 und rp =
0.8335(95) fm.
"Unsere Messung ist fast so genau wie alle anderen bisherigen Experimente an
regulärem Wasserstoff zusammengenommen", resümiert Prof. Thomas Udem, Leiter des
Projekts. "Wir erhalten eine gute Übereinstimmung mit den Werten für myonischen
Wasserstoff, aber einen Unterschied von 3,3 Standardabweichungen zu den
Wasserstoff-Weltdaten, sowohl für die Rydberg-Konstante als auch für den
Protonenradius. Um die Ursachen für diese Diskrepanzen umfassend erklären zu
können, benötigen wir weitere Messungen mit vielleicht noch höherer Genauigkeit.
Denn man sollte nicht vergessen, dass viele neue Entdeckungen anfangs nur als
Diskrepanz in Erscheinung traten."
Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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