Lebensbausteine um sonnenähnliche Sterne
von Stefan Deiters astronews.com
12. Juni 2017
Mithilfe des Radioteleskopverbunds ALMA haben Astronomen
jetzt Methylisocyanat um ganz junge sonnenähnliche Sterne nachweisen
können. Es ist das erste Mal, dass dieses Molekül bei einem Protostern gefunden
wurde, der unserer Sonne in ihrer Frühphase gleicht. Methylisocyanat gilt als
ein Baustein für die Entwicklung von Leben.
Mithilfe von ALMA wurde im
Mehrfachsternsystem IRAS 16293-2422 das Molekül
Methylisocyanat nachgewiesen.
Bild: ESO / Digitized Sky Survey 2 / L.
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Die Entdeckung gelang zwei Astronomenteams mithilfe des Atacama Large
Millimeter/submillimeter Array (ALMA), eines Radioteleskopverbunds in der
chilenischen Atacamawüste. Die Forscher beobachteten das Mehrfachsternsystem
IRAS 16293-2422, das sich etwa 400 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild
Schlangenträger befindet. Die sehr jungen Sterne gehören zum
Sternentstehungsgebiet Rho Ophiuchi. Vor einigen Jahren waren um dieses
Mehrfachsystem bereits einfache Zuckermoleküle nachgewiesen worden.
"Dieses Sternsystem liefert immer wieder Neues! Nach der Entdeckung von
Zuckern, haben wir jetzt Methylisocyanat gefunden. Diese Art organischer
Moleküle ist an der Synthese von Peptiden und Aminosäuren beteiligt, die als
Proteine die biologische Basis für Leben bilden, wie wir es kennen", so Niels
Ligterink vom Sackler Laboratory for Astrophysics der Sterrewacht
Leiden in den Niederlanden und Audrey Coutens vom englischen University
College London.
Mit ALMA ist es den Teams gelungen, die Moleküle bei verschiedenen
charakteristischen Wellenlängen im Radiospektrum zu beobachten - und zwar in den
inneren Regionen des Kokons aus Gas und Staub, der die Sterne in der frühsten
Phase ihrer Entwicklung umgibt. Sie konnten die charakteristische Signatur von Methylisocyanat eindeutig identifizieren und führten anschließend
Modellrechnungen und Laborexperimente durch, um den Ursprung dieses Moleküls
besser zu verstehen.
Der Blick auf gerade entstehende Sternsysteme wie IRAS 16293-2422 ist für
Astronomen deshalb so interessant, weil sich auch die Erde und die anderen
Planeten des Sonnensystems vor rund 4,5 Milliarden Jahren einmal aus dem
Material gebildet haben, das von der Entstehung der Sonne übrig geblieben ist.
Schaut man sich also sonnenähnliche Protosterne an, kann man auch etwas über die
Vorgänge bei der Entstehung unserer Heimat im All lernen und vielleicht auch
darüber, wie und warum sich Leben auf der Erde entwickelt hat.
"Über das Ergebnis sind wir besonders erfreut, da diese Protosterne der Sonne
zu Beginn ihres Lebens sehr ähnlich sind und dieselben Bedingungen aufweisen,
die für die Entstehung erdgroßer Planeten förderlich sind", so Rafael Martín-Doménech
vom Centro de Astrobiología in Madrid und Víctor M. Rivilla vom
italienischen INAF-Osservatorio Astrofisico di Arcetri. "Die Entdeckung
präbiotischer Moleküle im Rahmen dieser Untersuchung könnte bedeuten, dass wir
ein weiteres Puzzlestück in der Frage gefunden haben, wie das Leben auf unseren
Planeten kam."
Eine wichtige Rolle haben dabei auch die Laborexperimente gespielt:
"Abgesehen von der Entdeckung von Molekülen wollen wir auch verstehen, wie sie
entstanden sind", unterstreicht Ligterink. "Unsere Laborexperimente zeigen, dass
sich Methylisocyanat auf Eispartikeln unter sehr kalten Bedingungen, die ähnlich
denen im interstellaren Raum sind, bilden kann. Das bedeutet, dass diese
Moleküle – und damit auch die Basis für Peptidbindungen – tatsächlich mit großer
Wahrscheinlichkeit in der Nähe der meisten neuentstandenen sonnenähnlichen
Sterne zu finden sind."
Über ihre Entdeckung und die damit zusammenhängenden Untersuchungen berichten
die Astronomen in zwei Fachartikeln, die in den Monthly Notices of the Royal
Astronomical Society erschienen sind.
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