Algen überlebten 16 Monate im All
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Fraunhofer-Gesellschaft astronews.com
9. Februar 2017
Nach 16 Monaten im All sind zwei Algen noch immer am Leben -
dies ist das nicht unbedingt erwartete Ergebnis eines Langzeit-Experiments auf
der Internationalen Raumstation ISS. Der Befund könnte nicht nur für
industrielle Anwendungen, sondern auch für eine mögliche Mission zum Mars
bedeutsam sein und die Panspermie-Theorie neu beleben.
Grün- und Blaualgen wurden in diesen
Halterungen auf der Außenseite der Raumstation
ISS über eineinhalb Jahre den Weltraumbedingungen
ausgesetzt.
Foto: ESA/ROSCOSMOS [Großansicht] |
Sie leben! Trotz extremer Temperaturschwankungen, Vakuum sowie starker
UV- und kosmischer Strahlung überlebten zwei Algen 16 Monate lang an der
Außenseite der Internationalen Raumstation ISS. Das ist das erstaunliche
Ergebnis eines Experiments, das von Dr. Thomas Leya vom Fraunhofer-Institut für
Zelltherapie und Immunologie IZI in Potsdam gemeinsam mit nationalen und
internationalen Partnern durchgeführt wurde.
Der aufwändige Test war Teil des groß angelegten Projekts BIOMEX (Biology and
Mars-Experiment), das Dr. Jean-Pierre de Vera vom Deutsche Luft- und
Raumfahrtzentrums (DLR) in Berlin-Adlershof koordiniert. Leya hatte die
Algenkulturen selbst gesammelt und für das Experiment präpariert.
Er wählte das Cyanobakterium Nostoc sp. (CCCryo 231-06), eine Blaualge aus
der Antarktis und die Grünalge Sphaerocystis sp. (CCCryo 101-99) aus
Spitzbergen. Sie gehören zu den kryophilen, also kälteliebenden Stämmen. Bei
Kälte und Trockenheit entwickeln sie besondere Anpassungsstrategien und sind
deshalb auch unter extremen Bedingungen noch überlebensfähig. Thomas Leya leitet
die Arbeitsgruppe Extremophilenforschung & Biobank CCCryo (Culture Collection of
Cryophilic Algae) am Potsdamer Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse IZI-BB
des Fraunhofer-Instituts.
Seit 18 Jahren beschäftigt sich die Arbeitsgruppe mit den
Überlebensstrategien kryophiler Algen, Cyanobakterien, Moosen, Pilzen und
Bakterien polarer Regionen. Dass Algen gegen lang andauernde Trockenheit,
extreme Temperaturen sowie UV-Strahlen weitgehend unempfindlich sind, hatten die
Forscher bereits im Labor herausgefunden. Doch die extremen Bedingungen im
erdnahen Orbit lassen sich dort nur bedingt simulieren.
"Für den Flug ins All haben wir die Algenstämme durch leichte Trocknung
vorbereitet", erläutert Leya. Am 23. Juli 2014 wurden die Organismen mit dem
Raumtransporter Progress auf die Reise geschickt, eine Sojus-Raumkapsel
brachte die Algenkulturen zurück. Dazwischen mussten sie rund 16 Monate an der
Außenseite der ISS ausharren, geschützt nur durch Neutralfilter, der die
einwirkende Strahlung dämpfte. Die Temperaturentwicklung sowie die Energiemenge
der kosmischen Strahlung wurden durch Sensoren gemessen und protokolliert.
Die Forscher wollten nicht nur wissen, ob die Algen den Aufenthalt im
erdnahen Orbit überstehen. Im Fokus stand darüber hinaus, wie die Präparate im
Vakuum auf die UV-A-, -B und -C-Strahlung reagieren würden. "Wir gingen davon
aus, dass die Organismen das Vakuum, die Temperaturschwankungen zwischen minus
20 Grad und plus 50 Grad sowie die UV-A und UV-B-Strahlung überleben würden. Als
überraschend erwies sich jedoch, dass auch ein Teil der extrem schädlichen
UV-C-Strahlung den Algenstämmen nichts anhaben konnte", so Leya. Zudem haben die
Grünalgen die Trockenheit überraschend gut überstanden.
Im nächsten Schritt prüfen die Forscher die Anpassungsstrategien der Blau-
und Grünalgen. Da UV-Strahlung die DNA des Menschen schädigen kann, untersucht
das DLR in Kooperation mit der TU-Berlin die DNA der ISS-Rückkehrer. Die
Wissenschaftler testen, ob und in welchem Umfang die DNA beeinträchtigt wurde.
Außerdem wird die Bio-Signatur der in den Algen enthaltenen Carotinoide mit
Spektroskopieverfahren analysiert.
Als Bio-Signatur bezeichnen Experten beispielsweise die Basenabfolge in der
DNA oder ihr Absorptionsverhalten bei bestimmten Wellenlängen. Bedeutsam sind
diese Erkenntnisse unter anderem für eine künftige Mission zum Mars. Sollten die
Menschen in ferner Zukunft den Roten Planeten besiedeln, wäre die Produktion von
Nahrungsmitteln auf dem Mars eine überlebensnotwendige Aufgabe. Algen
produzieren Sauerstoff und Proteine und lassen sich als Nahrungsquelle nutzen.
Besonders resistente Stämme könnten in speziellen Kulturhäusern oder
halbtransparenten Zelten als Nahrungsquelle kultiviert werden.
Ebenfalls interessant für die Forscher: Ist es möglich, dass das Leben auf
der Erde vor ein paar Millionen Jahren durch Organismen aus dem All entstanden
ist? Frühe Vorformen von Leben könnten durch einen Meteoriteneinschlag auf die
Erde gelangt sein. Diese sogenannte Panspermie-Theorie bekommt möglicherweise
durch die Algen-Experimente auf der ISS neuen Auftrieb.
Von den Ergebnissen des ISS-Versuchs profitiert auch die Industrie.
Kosmetikhersteller dürften schon bald in der Lage sein, UV-Schutz-Cremes mit
Algen-Komponenten herzustellen. Für die Lebensmittelindustrie sind Algen mit
ihren leistungsfähigen Reparaturmechanismen und dem hohen Gehalt an
Omega-3-Fettsäuren, wie etwa EPA, als Nahrungsergänzungsmittel attraktiv. Die
dafür nötigen Herstellungsverfahren sind derzeit noch sehr aufwändig, sie werden
jedoch in naher Zukunft verfügbar sein.
Nahezu 500 Algen und andere Organismen hat Thomas Leya in den Polargebieten
und anderen extremen Standorten der Erde bereits gesammelt. Doch insgesamt geht
man von weit über hunderttausend verschiedenen Arten aus, von denen bisher nur
ein Bruchteil bekannt ist. Die Chance ist also groß, dass diese unterschätzten
Organismen noch für die eine oder andere Überraschung sorgen.
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