Satellit stellt Einstein auf den Prüfstand
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation (ZARM) astronews.com
15. April 2016
Mit der Mission MICROSCOPE soll ab Ende April das
sogenannte Äquivalenzprinzip experimentell mit hoher Genauigkeit überprüft
werden. Das Prinzip ist eine Basisannahme der klassischen Mechanik und einer der
Grundpfeiler der Allgemeinen Relativitätstheorie. Könnte man mit dem Satelliten
Abweichungen nachweisen, hätte dies weitreichende Folgen für unser
physikalisches Weltbild.

Künstlerische Darstellung des
MICROSCOPE-Satelliten.
Bild: CNES / D. Ducros [Großansicht] |
In dieser Woche beginnen die finalen Startvorbereitungen für eine höchst
anspruchsvolle Raumfahrtmission, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der
Universität Bremen seit mehr als 15 Jahren arbeiten. Die Erwartungen sind hoch:
die Mission könnte beweisen, dass Einstein falsch lag und damit alternativen
physikalischen Theorien den Weg ebnen.
Der Missionsname MICROSCOPE steht für "MICRO Satellite à traînée
Compensée pour l'Observation du Principe d'Equivalence" und soll am 22. April
2016 vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana starten. Ziel dieser etwa
zwei Jahre dauernden Satellitenmission ist die experimentelle Überprüfung des
Äquivalenzprinzips, welches besagt, dass auf der Erde alle Körper im Vakuum
gleich schnell fallen, unabhängig davon aus welchen Materialien diese bestehen -
vorausgesetzt, alle Störkräfte, wie beispielsweise magnetische Kräfte, sind
ausgeschaltet.
Dieses Prinzip ist nicht nur eine Basisannahme in der klassischen Mechanik,
sondern vor allem einer der Grundpfeiler der Allgemeinen Relativitätstheorie,
deren einhundertjähriges Jubiläum im vergangenen Jahr gefeiert wurde. Eine
derart grundlegende Aussage wie das Äquivalenzprinzip muss immer wieder auf den
Prüfstand gestellt werden. Eine genauere experimentelle Bestätigung könnte auch
Antworten auf eine in der modernen Physik noch ungelöste Frage liefern, nämlich
wie man die beiden grundlegenden Theorien der Physik, die Quantentheorie und die
Gravitationstheorie, in einheitlicher Weise beschreiben kann.
Eine Verletzung des Äquivalenzprinzips würde einen Hinweis auf eine solche
alternative Theorie liefern, wie zum Beispiel die Quantengravitationstheorie.
Schon im 19. Jahrhundert wurde das Äquivalenzprinzip mit sogenannten Drehwaagen
bis auf eine Genauigkeit von 10-8 , also bis auf die achte
Kommastelle genau, bestätigt. Bis heute wurde das Ergebnis mithilfe einer
Vielzahl verschiedener Experimente auf eine Genauigkeit von 10-13
verfeinert. Die Möglichkeit mit MICROSCOPE ein Experiment im Weltraum
durchzuführen, bedeutet eine um den Faktor 100 höhere Messgenauigkeit (10-15
oder ein Billiardstel).
Ein Satellit, der sich auf einer Umlaufbahn um die Erde bewegt, befindet sich
dauerhaft im freien Fall. So auch der an Bord befindliche Experimentaufbau, der
zwei Testkörper aus unterschiedlichen Materialien beherbergt, die auf exakten
Positionen im Satelliten festgehalten werden. Gilt das Äquivalenzprinzip, ändert
sich die Position der Testkörper im Satelliten nicht.
Sollten sich die beiden Körper allerdings nicht absolut identisch verhalten,
muss das System unterschiedliche Rückstellkräfte zur Beibehaltung der jeweiligen
Positionen aufwenden, woraus man schließen kann, dass die aus unterschiedlichen
Materialien gefertigten Testkörper auch unterschiedlich von der
Erdanziehungskraft beeinflusst werden und somit das Äquivalenzprinzip verletzt
wäre.
Gleichgültig, welches Ergebnis MICROSCOPE liefert, ist das Resultat
für die theoretische Physik von höchster Relevanz: Eine Verletzung des
Äquivalenzprinzips, das seit über 100 Jahren einen festen Bestandteil unseres
physikalischen Wissens darstellt, wäre eine echte Sensation und würde die
Grundlagen unseres heutigen Verständnisses von Raum und Zeit kräftig
erschüttern.
Aber auch eine Bestätigung des Äquivalenzprinzips mit höherer Genauigkeit als
bisher wäre ein großer Erfolg, da hiermit starke Einschränkungen für bestimmte
verallgemeinerte Theorien gesetzt werden. Aus diesem Grund besteht ein breites
internationales Interesse an einem verbesserten Test des Äquivalenzprinzips. Als
das Projekt 2011 aus finanziellen Gründen auf der Kippe stand, sicherte eine
internationale Petition von Professorinnen und Professoren die weitere Förderung
der langjährigen Entwicklungsarbeit.
MICROSCOPE wurde von den französischen Forschungseinrichtungen ONERA
(Office national d'études et de recherches aérospatiales) und OCA (Observatoire
de la Côte d’Azur) initiiert und wird zum größten Teil von der französischen
Raumfahrtagentur CNES finanziert. Einziger internationaler wissenschaftlicher
Partner ist das ZARM, dessen Projektanteil vom Raumfahrtmanagement im Deutschen
Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) gefördert wird.
Ein wesentlicher Teil der Entwicklungsarbeit bestand in Tests des
Experimentaufbaus unter Schwerelosigkeit, die im Fallturm am ZARM der
Universität Bremen erfolgten: ZARM-Mitarbeiter Hanns Selig hat in enger
Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen von ONERA den Experimentaufbau
im Fallturm Bremen im freien Fall getestet und so die Funktionstüchtigkeit der
Instrumente unter Weltraumbedingungen nachgewiesen.
Nun bereitet sich das Bremer MICROSCOPE-Team darauf vor, die vom
Satelliten gelieferten Daten auszuwerten, auf die sie gemeinsam mit den
französischen Projektpartnern Erstzugriff haben. In Vorbereitung darauf, wurden
in den letzten Jahren Computer-Simulationen entwickelt und die Datenauswertung
getestet.
Wenn der Satellitenstart am 22. April 2016 perfekt gelingt und MICROSCOPE
in den nachfolgenden fünf Stunden seine vorgesehene Umlaufbahn erreicht, wird
die Geduld des ZARM-Teams noch einmal auf die Probe gestellt: Erst am 27. April
nämlich wird das Experiment aktiviert und die Datenübertragung gestartet. Dann
beginnt für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler endlich die Suche nach
Indizien zur Beantwortung einer der größten offenen Fragen der Physik.
|