Ein riesiges Wurmloch in der Milchstraße?
von Stefan Deiters astronews.com
22. Januar 2015
Es hört sich an wie Science Fiction, ist aber, so glauben
einige Astronomen, zumindest eine theoretische Möglichkeit: In unserer
Heimatgalaxie, der Milchstraße, könnte es ein Wurmloch geben, das verschiedene
Bereiche der Raumzeit miteinander verbindet. Dieses Wurmloch wäre sogar
passierbar und könnte genauso groß wie die Milchstraße selbst sein.

Gibt es in
unserer Milchstraße ein Wurmloch, das entfernte
Bereiche miteinander verbindet? Einige Astronomen
halten dies zumindest theoretisch für möglich.
Bild: SISSA (Salucci) [Großansicht] |
"Wenn wir die Karte der Dunklen Materie in der Milchstraße mit den
aktuellsten Urknall-Modellen kombinieren und zudem die Existenz von
Raumzeit-Tunneln für möglich halten, ergibt sich, dass es auch in unserer
Milchstraße einen dieser Tunnel geben könnte und dass der Tunnel sogar so groß
sein könnte, wie die Milchstraße selbst", beschreibt Paolo Salucci,
Astrophysiker an der Scuola Internazionale Superiore di Studi Avanzati (SISSA)
im italienischen Triest, das Ergebnis einer jetzt vorgestellten Studie. "Wir
könnten sogar durch diesen Tunnel reisen, weil er nach unseren Berechnungen
passierbar sein sollte. Ganz ähnlich wie wir es jüngst in dem Film Interstellar
gesehen haben."
Salucci beschäftigt sich hauptsächlich mit Dunkler Materie, also jenem Stoff,
dessen Gravitationswirkung sich etwa in der Dynamik von Galaxien bemerkbar
macht, der jedoch nicht zu sehen oder direkt zu messen ist. Die Suche nach einer
Antwort auf die Frage, um was es sich
bei der Dunklen Materie handelt, ist eines der wohl spannendsten Gebiete der
aktuellen astrophysikalischen Forschung.
"Natürlich behaupten wir nicht, dass es sich bei unserer Galaxie um ein
Wurmloch handelt", stellt Salucci klar, "allerdings ist dies eine Hypothese, die
nach den theoretischen Modellen möglich erscheint." Ein Test der Hypothese
könnte durch den präzisen Vergleich der Milchstraße mit einer anderen
nahegelegenen Galaxie erfolgen, etwa mit der Großen Magellanschen Wolke. "Wir
sind aber noch weit davon entfernt, über die Möglichkeiten für einen
solchen Vergleich zu verfügen."
Ihre Schlussfolgerungen basieren auf der Verknüpfung einer sehr detaillierten Karte über die
Verteilung der Dunklen Materie in der Milchstraße mit den Gleichungen der
allgemeinen Relativitätstheorie. Die Karte ist das Ergebnis einer umfassenden
Untersuchung, die die Wissenschaftler im Jahr 2013 durchgeführt hatten.
"Abgesehen von der Science-Fiction-Hypothese ist unsere Arbeit auch deshalb
interessant, weil darin einige komplexere Überlegungen zum Thema Dunkle Materie
behandelt werden", so Salucci.
Wissenschaftler hätten, so der Astrophysiker, lange versucht, die Dunkle
Materie durch die Existenz eines Teilchens, dem Neutralino, zu erklären. Bislang
sei es allerdings nicht gelungen, es in Teilchenbeschleunigern wie dem CERN oder
irgendwo im Universum zu beobachten.
Es gäbe auch andere Theorien zur Erklärung der Dunklen Materie, die nicht auf
der Existenz dieses Teilchens beruhen. "Vielleicht ist es an der Zeit für die
Wissenschaft, diese Dinge ernster zu nehmen", so Salucci. "Bei Dunkler Materie
könnte es sich um eine 'andere Dimension', vielleicht sogar um ein riesiges
galaktisches Transportsystem handeln. Auf jeden Fall müssen wir uns wirklich
anfangen zu fragen, was es ist."
Über ihre Untersuchung berichten Salucci und seine Kollegen aus Indien und
den USA in der Fachzeitschrift Annals of Physics.
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