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Starke Eruptionen auf der Sonne haben unter Umständen auch Einfluss auf die Erde. Hier können sie im ungünstigsten Fall Kommunikations- und Stromnetze lahmlegen. Schweizer Physiker haben nun mithilfe eines Computermodells neuen Einblicke in den Entstehungsprozess dieser gigantischen Ausbrüche gewonnen, deren Vorhersage bislang noch in den Kinderschuhen steckt.
Je weniger Zeit zwischen zwei Explosionen in der Sonnenatmosphäre verstreicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der zweite Ausbruch stärker ist als der erste. Dies haben Professor Hans Jürgen Herrmann der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) und sein Team mit Hilfe von Modellrechnungen gezeigt. Bei Sonneneruptionen werden ungeheure Energiemengen freigesetzt, die millionenfach grösser sind als bei Vulkanexplosionen. Bei starken Explosionen kommt es oft zu einem Masseausstoß aus dem äußersten Teil der Sonnenatmosphäre, der Korona. Trifft ein solcher koronaler Massenauswurf auf die Erde, kann er einen geomagnetischen Sturm auslösen. Schwere Stürme können Satelliten, den Funkverkehr und elektrische Anlagen stören. Als im Herbst 2003 einige der bisher stärksten Eruptionen auf der Sonne registriert wurden, fiel in Südschweden der Strom aus, und Flugrouten mussten umgeleitet werden, weil Kommunikationsverbindungen über den Polregionen zusammenbrachen. Die ETH-Forscher haben untersucht, was bei den Explosionen auf der Sonne geschieht. In einem Computermodell konnten sie die statistische Größenverteilung und zeitliche Abfolge der Eruptionen korrekt nachbilden. "Die Übereinstimmung mit Satellitenmessungen ist beeindruckend", so die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Nature Communications.
Die Sonne sei eigentlich gar nicht sein Thema, sagt Herrmann, Professor am Institut für Baustoffe. Der theoretische Physiker ist Fachmann für Computerphysik und hat eine Methode entwickelt, mit der sich Phänomene aus verschiedensten Gebieten untersuchen lassen. Ähnliche Muster wie bei Sonneneruptionen findet man bei Erdbeben, Lawinen oder dem Börsenmarkt. "Natürlich haben die Sonnenexplosionen keinen Zusammenhang mit den Börsenkursen", sagt Herrmann. Doch im Kern zeigen diese Systeme alle ein ähnliches Verhalten: Sie können sich verhaken, bis ein bestimmter Schwellenwert erreicht ist. Dann entladen sie sich. Die Masse oder Energie, die man in ein System stecke, werde also nicht kontinuierlich wieder abgegeben, sondern stoßweise, erklärt Herrmann. Die Fachleute sprechen von selbstorganisierter Kritizität. Ein Beispiel dafür ist ein Sandhaufen, auf den Körner herabrieseln. Der Haufen wächst, bis sich ab und zu eine Lawine löst. Kleinere Rutschungen sind häufiger, große seltener. Über lange Zeiten betrachtet bleibt der Haufen gleich hoch, er organisiert sich selbst um einen kritischen Zustand. Bei Sonneneruptionen wird magnetische Energie, die sich aufgestaut hat, plötzlich frei gesetzt. Die Sonne besteht aus einem heißem Plasma aus Elektronen und Ionen. Aus der Sonnenoberfläche, Photosphäre genannt, wachsen Magnetfeldlinien bis in die Sonnenkorona heraus. Es bilden sich Bündel aus Feldlinien, sogenannte Magnetfeldschläuche, die sich bewegen und verdrehen. Überkreuzen sich zwei Schläuche, so vereinigen sie sich (Physiker sprechen von einer Rekombination), und es kommt zu einer Explosion, bei der große Mengen elektromagnetischer Strahlung entweichen. Das betreffende Gebiet auf der Sonne leuchtet hell auf als sogenannter Solar Flare. Die Strahlung erstreckt sich über das gesamte elektromagnetische Spektrum von Radiowellen über sichtbares Licht bis zu Röntgen- und Gammastrahlen. Aus Beobachtungen weiß man, dass die Größenverteilung der Solar Flares statistisch einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgen: "Es gibt beliebig große Ereignisse, diese sind aber beliebig selten", erklärt Herrmann. Mathematisch ausgedrückt handelt es sich um eine skalenfreie Energieverteilung, die einem Potenzgesetz folgt. Bisherige Computermodelle konnten diese statistische Größenverteilung zwar qualitativ nachbilden, sie erlaubten aber keine quantitativen Aussagen. Ein Modell, das auf der Kreuzung der Magnetschläuche und damit auf der selbstorganisierten Kritizität basierte, vernachlässigte eine wichtige Tatsache, sagt Herrmann: "Das System ist turbulent." Die Magnetfeldlinien bewegen sich in der Sonnenkorona nicht zufällig, sondern sind im turbulenten Plasma der Photosphäre verankert, dessen Verhalten sich mit der Fluiddynamik, der Wissenschaft von der Bewegung von Flüssigkeiten und Gasen, beschreiben lässt. Berechnungen, die sich ausschließlich auf die Turbulenz des Plasmas stützten, konnten die beobachteten Muster beim Auftreten der Solar Flares allerdings auch nicht vollständig reproduzieren. Herrmann und sein Team kombinierten deshalb selbstorganisierte Kritizität und Fluiddynamik und schafften damit den Durchbruch. "Uns ist es gelungen, das gesamte Bild, wie die Solar Flares auftreten, wiederzugeben", so der Forscher. Mit wochenlangen Rechnungen auf einem Supercomputer konnte das Team zeigen, dass sein Modell immer korrekte Resultate lieferte, auch wenn Details wie beispielsweise die Zahl der Magnetschläuche oder die Energie des Plasmas geändert wurden. Im Gegensatz zu den früheren Versuchen anderer Forscher stimmten die Resultate auch quantitativ mit den Beobachtungen überein. Aus ihren Berechnungen schließen die Wissenschaftler: "Die Turbulenz und die Wechselwirkung zwischen den Magnetschläuchen sind die wesentlichen physikalischen Bestandteile, die das Auftreten der Solar Flares kontrollieren." Dieser Nachweis von zeitlich-energetischen Zusammenhängen sei der erste Schritt für ein Vorhersagemodell. Doch Herrmann warnt: "Unsere Aussagen sind statistisch." Man könne deshalb nur Wahrscheinlichkeiten voraussagen. Prognosen einzelner Ereignisse seien nicht möglich.
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