Kalte und giftige Wolke über dem Südpol
von Stefan Deiters astronews.com
6. Oktober 2014
Auf der Südhalbkugel des Saturnmonds Titan beginnt langsam
der Winter. Daten der Sonde Cassini deuten darauf hin, dass sich die
Atmosphäre des Mondes hier bereits dramatisch abgekühlt hat. Über dem Pol ist
eine gewaltige Wolke in großer Höhe entstanden, in der Wissenschaftler jetzt
sogar gefrorene Blausäure-Partikel nachgewiesen haben.
Blick auf den Saturnmond Titan und den Wirbel
über dem Südpol.
Bild: NASA / JPL-Caltech / ASI / University
of Arizona / SSI / Leiden Observatory and SRON [Großansicht] |
"Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass die Atmosphäre auf der Südhalbkugel
des Titan sehr viel schneller abkühlt, als wir das erwartet hatten", meint Remco
de Kok von der Sternwarte im niederländischen Leiden und dem SRON
Netherlands Institute for Space Research. Der Saturnmond Titan ist der
einzige Mond im Sonnensystem, der in eine dichte Atmosphäre gehüllt ist.
Die Sonde Cassini, die bereits über zehn Jahre im Saturnsystem unterwegs ist,
versucht die Änderungen auf Titan zu erfassen, die sich mit dem Wechsel der
Jahreszeiten einstellen. Diese dauern auf dem Saturnmond deutlich länger als auf
der Erde: Herbstanfang war auf der Südhalbkugel des Titan im August 2009, Winteranfang
wird im Mai 2017 sein.
Im Mai 2012, also mitten im Herbst, hatte Cassini über dem Südpol des Mondes
Hinweise auf die Entstehung einer gewaltigen Wolke über dem Südpol entdeckt. Der
polare Wirbel hat
einen Durchmesser von mehreren Hundert Kilometern und scheint direkt mit dem Wechsel der Jahreszeiten in Verbindung zu stehen.
Was die Wissenschaftler am meisten verblüffte, war die Höhe, in der sich
die Wolke gebildet hatte, nämlich rund 300 Kilometer über der Titanoberfläche.
Hier sollte es eigentlich zu warm für die Entstehung solcher Wolken sein. "Wir
haben wirklich nicht erwartet, eine so gewaltige Wolke in dieser Höhe zu sehen",
so Kok.
Um hinter das Geheimnis der Wolke zu kommen, durchforsteten die
Wissenschaftler weitere Cassini-Daten und stießen in einem Spektrum der Region,
das mit dem Visual and Infrared Mapping Spectrometer (VIMS) an Bord der Sonde
aufgenommen wurde, auf einen entscheidenden Hinweis. "Das Licht, dass von dem
polaren Wirbel kam, zeigte bemerkenswerte Unterschiede zu den anderen Bereichen
der Titanatmosphäre", so Kok. "Wir konnten deutlich die Signatur von gefrorenen
HCN-Molekülen erkennen."
HCN, das auch als Cyanwasserstoff oder Blausäure bekannt ist, kommt als Gas in
geringen Mengen in der stickstoffreichen Titanatmosphäre vor. Die Entdeckung von
gefrorenen Molekülen war allerdings eine Überraschung, weil Cyanwasserstoff erst
bei Temperaturen von unter minus 148 Grad Celsius fest wird. Dies ist jedoch
rund 100 Grad Celsius kälter, als die Temperatur, die theoretische Modelle für die
obere Atmosphäre des Titan vorhersagen.
Um sicherzustellen, dass so tiefe Temperaturen hier wirklich möglich sind,
überprüfte das Team die Daten mithilfe von Beobachtungen des Composite Infrared Spectrometer (CIRS), mit dem sich die Temperatur in unterschiedlichen Höhen der
Atmosphäre ermitteln lässt. Die Messungen zeigten, dass sich die südliche
Hemisphäre des Mondes tatsächlich dramatisch abgekühlt hat, so dass die
Temperaturen ausreichend niedrig sind, um die Entstehung einer solchen giftigen
Wolke zu erlauben.
Offenbar sind durch die veränderte Zirkulation in der Atmosphäre seit Beginn
des Herbstes im Jahr 2009 große Mengen an Gas Richtung Südpol gelenkt worden, so
dass sich das Cyanwasserstoffgas hier ansammeln konnte. Dessen Moleküle
leuchteten hell im Infraroten und sorgten für eine Abkühlung der umgebenden
Luft. Zudem fällt durch den jahreszeitlichen Wechsel immer weniger Sonnenlicht
auf die Südhalbkugel des Titan.
"Diese faszinierenden Ergebnisse von einem Objekt, auf dem die Jahreszeiten
nicht in Monaten, sondern in Jahren gemessen werden, sind ein weiteres Beispiel
dafür, wie wertvoll die Langlebigkeit von Cassini und der Instrumente der Sonde
ist", so Earl Maize, der Cassini-Projektmanager am Jet Propolsion Laboratory der
NASA. "Wir sind schon gespannt auf die weiteren Entdeckungen, wenn wir uns
der Sonnenwende im Saturnsystem im Jahr 2017 nähern."
Über die neuen Resultate berichteten die Wissenschaftler in der vergangenen
Woche in der Wissenschaftszeitschrift Nature.
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