Zwerggalaxien bleiben rätselhaft
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Wien astronews.com
12. Juni 2014
Unsere Milchstraße und auch die Andromedagalaxie sind von
Systemen aus Zwerggalaxien umgeben, die den Forschern schon seit einiger Zeit
Kopfzerbrechen bereiten. Ihre Verteilung könnte nämlich dem allgemein
akzeptierten kosmologischen Modell widersprechen. Eine Studie liefert jetzt ein
neues Geburtsszenario für diese Satellitengalaxien.
Das
filamentartige kosmische Netz aus Dunkler Materie
in der Millennium-Simulation.
Bild: The Millennium Simulation Project |
Kosmologen berufen sich zur Erklärung vieler dynamischer Phänomenen auf die
Existenz der sogenannten Dunklen Materie. "Dennoch ist bislang nicht direkt
nachgewiesen, dass es diese rätselhafte Substanz überhaupt gibt", erläutert
Gerhard Hensler, Astrophysiker an der Universität Wien. Und nicht nur er ist
überzeugt davon, dass selbst wenn es sie gäbe, sich längst nicht alle
Abweichungen oder Widersprüche zwischen den Messungen und den theoretischen
Vorhersagen beseitigen lassen würden.
Ein Beispiel dafür sind die Zwerggalaxien: Das heute unter den meisten
Astrophysikern akzeptierte Standardmodell, das sogenannte "Lambda Cold Dark
Matter Model" (CDM) besagt, dass Satellitengalaxien, die als massearme Systeme
große Muttergalaxien wie die Milchstraße und die Andromedagalaxie umgeben,
bestimmte Eigenschaften zeigen sollten: "Die leuchtenden Sternsysteme müssen
selbst in CDM eingebettet sein, zu Tausenden weit verteilt und unorganisiert die
Muttergalaxien umlaufen", so Marcel Pawlowski von der Case Western Reserve
University in Cleveland. "Wir beobachten aber etwas anderes: Die
Satellitengalaxien sind auf riesige Scheiben konzentriert und bewegen sich darin
in die gleiche Richtung, so wie die Planeten die Sonne umkreisen. Dieser Befund
ist unerwartet und stellt ein wirkliches Problem dar."
Um die Milchstraße herum sind die Satellitengalaxien in einer fast polaren,
dünnen, sogenannten "Disk of Satellites" (DoS) angeordnet und bilden mit
Sternhaufen und Sternströmen die "Magellansche Ebene", die die Autoren "Vast
Polar Structure" nennen. Um Andromeda liegt die Hälfte aller Satelliten in dem
"Great Plane of Andromeda".
Pawlowski und sein Team aus sechs verschiedenen Ländern haben sich in ihrer
Studie nun mit einem anderen, ebenfalls aus dem CDM-Szenario stammenden Prozess
auseinandergesetzt, von dem drei verschiedene internationale Autorenteams
schließen, dass diese planare Verteilung der Satelliten doch mit dem
Standardmodell vereinbar ist. Hierbei geht es darum, dass einzelne Strömungen,
"Streams", aus Dunkler Materie auftreten, die in die Gravitationssenken von
Galaxien bis zu Galaxienhaufen einfallen und somit auch aus Gas bestehen und
hypothetisch Zwerggalaxien produzieren sollten. Es wird heute angenommen, dass
alle Scheibengalaxien, wie unsere Milchstraße, auf diese Weise ihre Rotation
erhalten haben.
"Als wir die Simulationen unter Benutzung der Daten dieser anderen Arbeiten
mit den Beobachtungen verglichen, fanden wir eine grundlegende Diskrepanz",
berichtet Pawlowski. Am Computer simulierte Beobachtungsmodelle um Tausende
milchstraßenähnliche Objekte in kosmologischen Simulationen zeigten den Autoren
nur einen Fall aus Tausenden, der der beobachteten Satellitenverteilung um die
Milchstraße entspricht.
"Die Wahrscheinlichkeit, das gleiche Phänomen um zwei nahe Galaxien, also
Milchstraße und Andromeda, vorzufinden, ist sogar geringer als 1:100.000",
erklärt Hensler. Die Forscher halten daher die Schlussfolgerungen ihrer Kollegen
in den vorangegangenen Studien für falsch und schlagen für die Satellitensysteme
ein anderes Entstehungsszenario vor: Die Kollision zweier großer Galaxien sehr
früh im Universum.
"Von 'heutigen' Galaxienkollisionen und -verschmelzungen wissen wir, dass
weite Gezeitenarme entstehen, in denen Gas und Sterne herausgerissen werden,
wobei das Gas zu kleinen Galaxien klumpen und neue Sterne entstehen lassen kann.
Diese Gezeiten-Zwerggalaxien bewegen sich zwangsläufig in einer gemeinsamen
Bahnebene, bergen aber viele Geheimnisse“, erklärt Hensler.
Die Forschung rund um die Zwerggalaxien könnte also deutliche Konsequenzen
für unser physikalisches Bild vom Universum haben. Die mögliche Koexistenz von
zwei Typen von Zwerggalaxien, die wir heute beobachtungsmäßig aber nicht kennen,
nämlich die einen mit CDM und die anderen ohne, sei "ein gravierender Konflikt",
so Hensler.
Über ihre Resultate berichteten die Forscher in der
Wissenschaftszeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
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