Neue Rätsel um aktive Galaxienkerne
von Stefan Deiters astronews.com
23. Mai 2014
Warum können aktive supermassereiche Schwarze Löcher so
unterschiedlich aussehen? Bislang hatte man dafür eine einfache Erklärung: Es
kommt halt auf den Blickwinkel an, unter dem man diese Objekte betrachtet. Die
Auswertung von WISE-Daten von über 170.000 solcher Schwarzen Löcher lässt an
dieser Theorie aber nun Zweifel aufkommen.

Galaxien im
Fornax-Galaxienhaufen in einer bearbeiteten
WISE-Aufnahme: Könnten größere Halos aus Dunkler
Materie (lila dargestellt) irgendwie dafür
verantwortlich sein, dass die aktiven Schwarzen
Löcher im Zentrum nicht zu sehen sind?
Bild: NASA/JPL-Caltech |
In den Zentren praktisch aller Galaxien findet man ein supermassereiches
Schwarzes Loch. Verschlingt dieses gerade große Mengen an Material, spricht man
von einem aktiven Schwarzen Loch oder auch von einem aktiven Galaxienkern. Doch
warum können diese so unterschiedlich aussehen? Einige scheinen sich hinter
dichten Schwaden aus Staub zu verstecken, andere hingegen lassen sich problemlos
beobachten.
Zur Erklärung der so unterschiedlichen Erscheinungsformen dieser eigentlich
sehr ähnlichen Objekte entwickelten Astronomen Ende der 1970er Jahre eine Theorie,
die bis heute Gültigkeit hat: Danach haben aktive Galaxienkerne alle einen ähnlichen
Aufbau und sind von einem dicken Staubring umgeben. Je nachdem, wie wir nun
auf diese Objekte blicken - von oben durch die Öffnung des Rings oder aber
direkt in den Staubring - sehen wir zwei sehr unterschiedliche Objekte. Einmal ist das Zentrum deutlich zu erkennen, im anderen Fall ist
es durch
den Staubring verborgen.
Diese Theorie kann sehr elegant ganz unterschiedlich aussehende aktive
Galaxienkerne erklären. Jetzt aber sind Astronomen auf ein Problem gestoßen: Bei
der Auswertung von Daten des Wide-field Infrared Survey Explorer (WISE) der
NASA, der den gesamten Himmel im Infraroten erfasst hat, stellten sie fest, dass
es unter gewissen Umständen noch einen anderen Faktor geben könnte, der darüber
entscheidet, ob die zentralen Schwarzen Löcher zu
erkennen sind oder nicht.
Natürlich kann man Schwarze Löcher selbst nie direkt sehen. In einigen
Fällen lässt sich aber die Strahlung, die aus ihrer unmittelbaren Umgebung
kommt, sehr gut erfassen. In anderen Fällen wird diese Strahlung zum großen Teil
durch Staub verschluckt. Die Strahlung entsteht durch Material, das sich vor dem
endgültigen Verschwinden im Schwarzen Loch auf hohe Temperaturen aufheizt.
Dieses Material befindet sich in einer rotierenden Scheibe, der sogenannten
Akkretionsscheibe.
"Unsere Entdeckung offenbart ein neues Phänomen aktive Schwarze Löcher
betreffend, von dem wir zuvor nichts wussten und dessen Details uns auch noch
nicht bekannt sind", erklärt Lin Yan vom Infrared Processing and Analysis
Center (IPAC) der NASA am California Institute of Technology im
kalifornischen Pasadena. "Wir hoffen, dass unsere Arbeit weitere
Untersuchungen
initiiert, um diese faszinierenden Objekte besser zu verstehen."
Die Astronomen bleiben mit ihrer Aussage deswegen so vage, weil sie mithilfe
der WISE-Daten lediglich feststellen konnten, dass irgendetwas nicht zur
bisherigen Theorie passt, nicht aber, was genau dies ist. Das Team hatte sich
die über 170.000 von WISE erfassten aktiven supermassereichen Schwarzen Löcher
angeschaut und ermittelt, wie stark ausgeprägt die Haufenbildung bei den gut
sichtbaren und den verborgenen aktiven Galaxienkernen ist.
Wenn tatsächlich nur der Blickwinkel dafür verantwortlich ist, ob wir ein
verborgenes oder ein gut sichtbares Schwarzes Loch sehen, dann dürfte es bei
der Haufenbildung keine Unterschiede geben, da die Blickwinkel zufällig verteilt
sein sollten.
Die WISE-Daten lieferten nun aber eine Überraschung: Die verborgenen aktiven
Galaxienkerne zeigen im Mittel eine deutlich ausgeprägtere Haufenbildung als die sichtbaren.
Mit der Blickwinkel-Theorie allein ist dies nicht zu erklären.
"Der Hauptgrund für die einheitliche Theorie war es, dass wir einen ganzen Zoo von
verschiedenen aktiven Galaxienkernen mit nur einem Modell erklären konnten", so
Emilio Donoso, der mit Yan am IPAC gearbeitet hat, inzwischen aber am Instituto
de Ciencias Astronómicas, de la Tierra y del Espacio in Argentinien angestellt
ist. "Je tiefer wir in den WISE-Daten graben, desto komplexer wird jedoch das
Problem."
Die Entdeckung kann auch in Bezug auf die Dunkle Materie interpretiert
werden: Dunkle Materie ist zwar nicht zu sehen, beeinflusst aber durch ihre
Anziehungskraft die Bildung von Strukturen im Universum. So dürfte sich jede
Galaxie im Inneren eines gewaltigen Halos aus Dunkler Materie
befinden. Je größer dieser Halo ist, desto größer ist auch die Anziehungskraft
auf andere Galaxien.
Da nach den WISE-Daten die verborgenen Galaxienkerne zu einer größeren
Haufenbildung neigen, dürften sie sich im Inneren größerer Halos aus Dunkler
Materie befinden. Zwar kann diese Dunkle Materie nicht dafür sorgen, dass man
die Galaxienkerne nicht sieht, sie könnte aber vielleicht helfen, eine Erklärung
dafür zu finden, was genau hier passiert.
"Es sieht so aus, als wäre unser einfaches Modell etwas zu einfach", fasst
Daniel Stern vom Jet Propulsion Laboratory der NASA zusammen. "Wie Einstein
einst sagte: Modelle sollten so einfach wie möglich sein, aber nicht einfacher."
Über ihre Resultate berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift The Astrophysical Journal erscheinen wird.
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