Überraschende Rotation im Zentralbereich
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
9. Mai 2014
Neue Beobachtungen von Kugelsternhaufen haben jetzt zu einem
überraschenden Ergebnis geführt: Die Haufen scheinen im Zentrum zu rotieren.
Bislang war man davon ausgegangen, dass es - angesichts des hohen Alters dieser
Objekte - eine solche Rotation nicht gibt. Die Astronomen konnten zudem einen Zusammenhang zwischen Rotation und Abflachung der Haufen
feststellen.

Der Zentralbereich des Kugelsternhaufens
Messier 13 in einer Aufnahme des
Weltraumteleskops Hubble.
Bild: NASA, ESA und das Hubble Heritage Team (STScI/AURA) [Großansicht] |
Kugelsternhaufen sind uralte Formationen, die es in fast allen Galaxien - auch
in unserer Milchstraße - gibt. Sie bestehen aus bis zu einer Million alter,
metallarmer Sterne, die durch ihre Schwerkraft in einem engen Verbund gehalten
werden. Aufgrund ihres Alters und ihrer einfachen, sphärischen Form - mit einer
starken Konzentration der Sterne in Richtung Zentrum - wurden sie in der
Vergangenheit meist als dynamisch und entwicklungsgeschichtlich recht einfache
Systeme angesehen. Neuere Beobachtungen führen jedoch immer wieder zu
überraschenden Ergebnissen.
"Bei allen Kugelsternhaufen, die wir beobachtet haben, finden wir ein
Rotationssignal im Zentrum", sagt Maximilian Fabricius vom Max-Planck-Institut
für extraterrestrische Physik (MPE), der die jetzt vorgestellte Studie leitete.
"Wir haben das nicht erwartet; ursprünglich wollten wir bei diesen
Kugelsternhaufen ihre zentrale Geschwindigkeitsdispersion messen."
Die Geschwindigkeitsdispersion ist ein Maß für die zufälligen Bewegungen der
Sterne in einem Haufen. Rotation bedeutet aber, dass der Haufen tatsächlich eine
Drehachse besitzt, um die mehr Sterne in einer Richtung kreisen als in der
anderen. "Theorie und numerische Simulationen von Kugelsternhaufen zeigen, dass
jegliche zentrale Rotation auf relativ kurzen Zeitskalen verloren gehen sollte",
erklärt Teammitglied Eva Noyola von der Universität von Texas in Austin. "Da
diese Kugelsternhaufen aber bereits vor Milliarden von Jahren entstanden, würden
wir heute keine Rotationssignatur mehr erwarten. Frühere Messungen zeigten zwar
eine gewisse Rotation bei einer Handvoll von Systemen, dabei wurde aber nur die
Bewegung der Sterne in den Außenbereichen untersucht."
Die neuen Messungen von fast einem Dutzend Kugelsternhaufen waren nur mit
Hilfe des VIRUS-W-Instruments am Harlan J. Smith 2,7-Meter-Teleskop des
McDonald-Observatoriums in Texas möglich. Dieser am MPE entwickelte, so genannte
Integrale Feld-Spektrograph ermöglicht es den Wissenschaftlern, gleichzeitig
mehr als 260 Spektren in einem zweidimensionalen Sichtfeld aufzuzeichnen und
damit die Bewegung der Sterne mit einer Genauigkeit von einigen Kilometern pro
Sekunde zu bestimmen. So lassen sich die Zentren der Haufen schon in einigen
wenigen Stunden auf Rotation untersuchen. Ein derartiges Projekt war vor VIRUS-W
nicht möglich.
Traditionell bestimmen Astronomen die Geschwindigkeiten von Haufensternen
entlang der Sichtlinie jeweils einzeln mit hochauflösenden Spektrographen, mit
denen sich die Doppler-Verschiebung der Sterne bestimmen lässt. Dieses Verfahren
ist jedoch langwierig und kann aufgrund der großen Zahl von Sternen im Zentrum
eines Kugelsternhaufens nur sehr schwierig angewandt werden. Daher gab es bisher
keine systematischen Untersuchungen zur zentralen Kinematik von
Kugelsternhaufen.
Auch wenn das VIRUS-W-Instrument ursprünglich entwickelt wurde um die
Kinematik naher Galaxien zu untersuchen, ergab sich, dass die Kombination aus
dem großen Sichtfeld und der relativ hohen spektralen Auflösung dieses
Instruments sehr effizient auch für die Untersuchung von Kugelsternhaufen
eingesetzt werden kann.
In der Milchstraße existieren etwa 150 Kugelsternhaufen und für die Studie
wählten die Astronomen 27 aus, die vom McDonald-Teleskop (also am Nordhimmel)
beobachtet werden können. Von August 2012 bis August 2013 wurden die ersten elf
Kugelsternhaufen beobachtet. Jetzt präsentierte das Team seine überraschenden
Ergebnisse: alle Haufen zeigen ein Rotationssignal.
Darüber hinaus steht die Rotation in sehr enger Beziehung zu der relativ
schwachen Abflachung der Kugelsternhaufen. Dies deutet darauf hin, dass es die
Rotation ist, die für die Abflachung dieser Haufen verantwortlich ist und nicht
zum Beispiel der Einfluss des Gezeitenfeldes der Milchstraße. Diese Ergebnisse
werfen interessante Fragen in Bezug auf die Entstehungsgeschichte und die
Entwicklung der Kugelsternhaufen auf - keines der aktuellen theoretischen
Modelle sagt eine derart weit verbreitete Rotation voraus.
Die Forscher weisen allerdings darauf hin, dass unter den vorliegenden
Messungen keine Kugelsternhaufen sind, bei denen ein sogenannter "Kernkollaps"
stattgefunden hat. Es sei daher vorstellbar, dass bei diesem Prozess die
Rotation verloren geht. Sie hoffen, dass sich bei künftigen Beobachtungen der
restlichen Haufen auch weitere Fragen beantworten lassen werden, wie etwa die
nach einer möglichen Korrelation zwischen der Rotation und der Position eines
Kugelsternhaufens in unserer Milchstraße.
Über ihre aktuellen Beobachtungen berichten die Astronomen in der
Fachzeitschrift The Astrophysical Journal Letters.
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