Von Schwarzen Löchern zum Webbrowser
von Stefan Deiters astronews.com
17. Februar 2014
Warum beschäftigt man sich eigentlich mit so etwas Abwegigem
wie der Dynamik von Schwarzen Löchern? Weil auch Grundlagenforschung wichtig
ist, mögen manche nun sofort antworten. Doch in diesem Fall lässt sich sogar
noch eine andere und zunächst überraschende Antwort geben: Mit den Folgen dieser Forschungsarbeiten
haben wir nämlich fast täglich zu tun, wenn wir im Internet surfen.
Larry Smarr ist
einer der Preisträger des Golden Goose Award
2014.
Foto: Golden Goose Award |
Wohl jeder Wissenschaftler, der sich mit Themenbereichen beschäftigt, deren
Nutzen sich für die Allgemeinheit nicht auf den ersten Blick
erschließt, kennt die Fragen: Wozu ist diese Forschung eigentlich gut? Sollte man
das Geld nicht lieber für andere Dinge verwenden, wo es konkrete
Anwendungsmöglichkeiten gibt? Lohnt der ganze Aufwand überhaupt?
Natürlich hat aber auch die Grundlagenforschung eine enorme Bedeutung für die
Weiterentwicklung der Wissenschaft. Außerdem lassen sich, und das wird häufig
vergessen, bahnbrechende Forschungsergebnisse und
technologische Umwälzungen nur schwer planen. In vielen Fällen führte
gerade die Beschäftigung mit scheinbar "abwegigen" Themen zu Entwicklungen, die
unser Leben entscheidend verändert haben - und dies manchmal auf einem komplett
anderen Gebiet.
Genau solche Forschung soll ein 2012 ins Leben gerufener Preis in den USA
würdigen, der von verschiedenen Universitäten sowie privaten und öffentlichen
Einrichtungen gestiftet wurde: der Golden Goose Award. Er zeichnet
Forscher
aus, die öffentliche Fördermittel in den USA erhalten haben und für deren Gebiet es zur
damaligen Zeit keine wirklichen praktischen Anwendungsbereiche gab, deren
Forschungen aber inzwischen
zu bedeutenden gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Umwälzungen
geführt haben. Am Wochenende wurde nun der erste Preisträger dieses
Jahres bekannt gegeben: der Physiker Larry Smarr.
Smarrs Geschichte ist ein faszinierender Beleg dafür, wie Forschung auf einem
recht abgelegenen Gebiet zu einer Entwicklung führen kann, die damals nicht
absehbar war und mit der heute jeder zu tun hat. Smarr, der inzwischen Professor an der
University of
California in San Diego und Direktor des California Institute for
Telecommunications and Information Technology ist, arbeitete in den 1980er
Jahren an der University of Illinois in Urbana-Champaign und beschäftigte sich
vor allem mit der Dynamik von Schwarzen Löchern.
Für seine theoretischen Untersuchungen benötigte er leistungsfähige Computer,
wie sie damals in den USA nicht in größerem Umfang für die akademische Forschung zur
Verfügung standen. Hier war man in Europa - dank moderner Hochleistungsrechenzentren
- bereits
weiter. Smarr beantragte daher bei der Nationalen Forschungsförderungsagentur
der USA Geldmittel zur Gründung eines Hochleistungsrechenzentrums, das an eine
akademische Institution angegliedert werden sollte und leitete damit eine wahre
Revolution in diesem Bereich ein.
Smarr war mit seinem Antrag erfolgreich und wurde Direktor des National
Center for Supercomputing Applications (NCSA) an der University of Illinois.
Hier gründete Smarr auch einen Bereich zur Entwicklung von Software, durch die Forscher mit
verschiedenen Anwendungen bei ihrer Arbeit unterstützt werden sollten. Zwei
Mitarbeiter dieser Gruppe, nämlich Eric Bina und Marc Andreessen, entwickelten
dabei ein Programm namens NCSA Mosaic, den ersten graphischen
Webbrowser, der sich einer größeren Verbreitung erfreute.
Andreessen gründete später die Firma Netscape, die den in der Mitte der
1990er Jahre dominierenden Browser zum Surfen im Internet entwickelte. Netscape
rief auch das Mozilla-Projekt ins Leben, das bis heute für den Browser
Firefox
verantwortlich ist. Doch auch der Microsoft Internet Explorer, der Netscape als
beliebtester Browser ablöste, hat seine Wurzeln bei Mosaic: Microsoft
lizensierte nämlich den Quellcode von Mosaic, so dass sich noch bis zur Version
6 im Internet Explorer der Hinweis "basiert auf NCSA Mosaic" fand.
"Der Golden Goose Award würdigt unerwartete Entdeckungen und dafür gibt es
wohl kein besseres Beispiel als das World Wide Web", sagte der demokratische
Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus Jim Cooper bei der Bekanntgabe des
ersten Golden-Goose-Preisträgers dieses Jahres anlässlich der Jahrestagung der
American Association for the Advancement of Science. "Das Web ist eine der größten
Errungenschaften der Menschheit und verwandelt den Planeten. Ohne die
unerwarteten Folgen der Forschungsarbeiten von Dr. Smarr, wären wir vielleicht
in Sachen Information in einem Schwarzen Loch gefangen. Sein Erfolg erinnert uns
daran, dass man nie wissen kann, wohin uns die Wissenschaft führt."
Die offizielle Verleihung des Golden Goose Awards an Smarr und die anderen
Preisträger dieses Jahres, die noch nicht bekannt sind, findet am 18. September
2014 in Washington statt.
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