Der Grundstoff für neue Sterne
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
4. Oktober 2013
Astronomen konnten jetzt beobachten, wie kalte Materieströme
aus Wasserstoff in eine ferne Galaxie fließen und dort als Grundstoff für die
Entstehung neuer Sterne dienen. Solche Ströme waren von Theoretikern
vorhergesagt worden, sind aber nur schwer zu beobachten. Zur Hilfe kam den
Astronomen jetzt die günstige Lage eines entfernten Quasars.

So könnte die
ferne Galaxie (Mitte) aussehen, in die kalte
Materieströme aus Gas fließen. Das Bild stammt
aus einer Computersimulation. Einer der
Materieflüsse wird von hinten von einem
entfernten Quasar beleuchtet (unten links) und
konnte erst dadurch beobachtet werden.
Bild: MPIA (G. Stinson / A. V.
Macciò) |
Um die Entstehung von Galaxien wie unsere Milchstraße zu erklären, gehen Kosmologen davon aus, dass diese Galaxien einst große Mengen an kosmischer
Materie aus riesigen Wasserstoff-Reservoirs aufgesammelt haben. Dieser
Wasserstoff treibt seit der Frühzeit des Universums in den Weiten des Raumes
zwischen den Galaxien.
Vor rund zehn Milliarden Jahren, als unser Kosmos nur rund ein Fünftel so alt
war wie heute, produzierten die damaligen Protogalaxien massenweise Sterne -
mehr als Hundert Mal so viel wie es für heutige Galaxien typisch ist. Da sich
Sterne aus Gas bilden, ist notwendige Vorbedingung für solche Rekordproduktion,
dass hinreichend Nachschub an Sternen-Rohmaterial zur Verfügung steht.
Über die letzten zehn Jahre hinweg haben Computersimulationen solcher
kosmischen Szenarien große Fortschritte gemacht. Sie verraten den Astronomen,
wie Galaxien an den "Treibstoff" für ihre Sternproduktion gelangt sein könnten:
Gas fließt demnach über schmale, kalte Materieströme in die Galaxien. Wie
Rinnsale aus der Schneeschmelze, die einen Bergsee speisen, findet auf diese
Weise immer wieder neues Rohmaterial für die Sternentstehung seinen Weg in die
Galaxien.
Nachzuprüfen, ob dieses Szenario auch tatsächlich der Wirklichkeit
entspricht, ist alles andere als einfach. Entsprechendes Gas in den Randregionen
und der unmittelbaren Umgebung einer Galaxie ist viel zu stark verdünnt, als
dass es nachweisbare Mengen von Licht aussenden würde. Astronomen suchen daher
systematisch nach einer ganz bestimmten und seltenen Konstellation, die es ihnen
möglich macht, mehr über das vermutete Gas zu erfahren. Dabei spielen Quasare
eine wesentliche Rolle.
Quasare sind Galaxien in einem kurzlebigen Zwischenstadium ihrer Entwicklung.
Angetrieben durch Prozesse rund um das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum
wird eine solche Galaxie zwischenzeitlich zu einem der hellsten Objekte im
Universum überhaupt. In einigen seltenen Fällen wird ein Quasar aus Sicht eines
irdischen Beobachters zufällig direkt hinter einer der gesuchten
intergalaktischen Gaswolken stehen. Dann absorbiert das Gas bestimmte Anteile
des Quasarlichts.
Muster und Formen der dadurch entstehenden Absorptionslinien geben den
Astronomen Informationen über Dichte, chemische Zusammensetzung und Temperatur
des Gases. Auf diese Weise hat jetzt ein Astronomenteam unter der Leitung von
Neil Crighton vom Max-Planck-Institut für Astronomie, der inzwischen an der
Swinburne University of Technology arbeitet, das bislang überzeugendste
Beispiel für Gas aus einem der intergalaktischen Reservoirs aufgespürt, das in
eine Galaxie fließt.
Die Galaxie mit der Katalognummer Q1442-MD50 ist so weit von uns entfernt,
dass ihr Licht elf Milliarden Jahre benötigt hat, um uns zu erreichen. Das
einströmende Gas befindet sich, nach galaktischen Maßstäben beurteilt, direkt in
der Nachbarschaft, nämlich nur 190.000 Lichtjahre von der Galaxie entfernt. Es
verrät seine Anwesenheit, indem es einen Teil des Lichts des noch deutlich
weiter entfernten Quasars QSO J1444535+291905 absorbiert.
Eine Besonderheit ist dabei, dass Crighton und seine Kollegen in der
Gaswolke Spuren von schwerem Wasserstoff, sogenanntem Deuterium, nachweisen
konnten. Die Atomkerne dieser und einiger weiterer Sorten von Elementen
entstanden nach heutigem Wissen wenige Minuten nach dem Urknall. Alle schwereren
Elemente, etwa Kohlenstoff oder Stickstoff, entstanden erst später, insbesondere
im heißen Inneren von Sternen.
Deuterium allerdings kann in Sternen nicht erzeugt werden. Im Gegenteil wird
bereits existierendes Deuterium unter den dort herrschenden Bedingungen sehr
schnell zerstört. Die Anwesenheit von Deuterium zeigt daher an, dass es sich
nicht um eine Wolke aus Gas handelt, die jemals Bestandteil eines Sterns war –
sondern wohl tatsächlich um ursprüngliches Gas: um Materie aus den großen
Wasserstoffreservoiren, die seit der Urknallphase chemisch so gut wie
unverändert geblieben sind.
"Dies ist nicht das erste Mal, das Astronomen mithilfe eines Quasars Gas in
der Nachbarschaft einer fernen Galaxie gefunden haben", so Crighton. "Aber es
ist das erste Mal, dass alle Teile des Puzzles zusammenpassen: In der Galaxie,
die wir beobachtet haben, entstehen gerade jetzt enorme Mengen von Sternen. Und
für das Gas konnten wir zeigen, dass es sich tatsächlich um urtümliches Gas aus
der Zeit direkt nach dem Urknall handelt."
Die Entdeckung des Systems gelang im Rahmen einer großangelegten
Durchmusterung, bei welcher gezielt nach Quasaren gesucht wurde, die am Himmel
in unmittelbarer Nähe von nähergelegenen Galaxien stehen. Koordiniert wird die
Durchmusterung von Joseph Hennawi, der am Max-Planck-Institut für Astronomie die
ENIGMA-Forschungsgruppe leitet. "Weil diese Entdeckung Teil einer systematischen
Suche ist, können wir darauf schließen, dass derartige kalte Materieströme
vergleichsweise häufig sind: Wir haben nämlich nur 12 Quasar-Galaxien-Paare
ausfindig machen müssen, um auf dieses Beispiel zu stoßen. Das entspricht grob
den Vorhersagen der Supercomputer-Simulationen - ein Grund zur Zuversicht, was
unser Verständnis der Entstehung dieser Art von Galaxien angeht", so Hennawi.
Ziel der Astronomen ist es jetzt, insgesamt rund zehn ähnliche Beispiele für
solche kalten Gasströme zu finden. Das würde noch wesentlich genauere Vergleiche
der Beobachtungen mit den Vorhersagen numerischer Simulationen erlauben. Für die
Suche nach weiteren Quasar-Galaxienpaaren nutzen die Forscher das Large
Binocular Telescope in Arizona und das Very Large Telescope der
Europäischen Südsternwarte in Chile.
"In früheren Studien haben wir Anzeichen für Gas gefunden, das aus Galaxien
hinausströmt. Aber mit Neils sehr viel genauerer Untersuchung können wir auch
Zeichen dafür sehen, dass urtümliches Gas in die Galaxien strömt, und wir können
nachvollziehen, wie viel Gas diese Galaxien zu welcher Zeit aufnehmen. Das ist
eine Schlüsselinformation für unser Verständnis der Galaxienentstehung",
erläutert J. Xavier Prochaska von der University of California at Santa Cruz,
der an der Durchmusterung mitarbeitet.
Die Beobachtungen freuen auch die Theoretiker: "Dies ist ein sehr
interessantes Resultat. Es passt zu der theoretischen Vorhersage - die sowohl
auf physikalischen Überlegungen als auch auf kosmologischen Simulationen beruht
- wie Galaxien bei hoher Rotverschiebung durch kalte Gasflüsse entlang des
kosmischen Materienetzes gefüttert werden", so Avishai Dekel von der Hebräischen
Universität Jerusalem, einer der Väter des Modells solcher kalten Gaszuflüsse
in Galaxien. "Die niedrige Metallizität macht dies zu einem deutlich
überzeugenderen Fall als in früheren Nachweisen."
Die Wissenschaftler berichten über ihre Beobachtungen in der Fachzeitschrift
The Astrophysical Journal Letters.
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