Einstein und die Turbulenzen
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
27. März 2013
Turbulenzen kennt jeder aus dem Alltag. Sie entstehen zum
Beispiel, wenn man Milch in den Kaffee schüttet. Bis heute fehlt für sie
allerdings eine fundamentale mathematische Theorie. Zwei Wissenschaftler haben
nun Turbulenzen unter extremen Bedingungen untersucht. Sie hoffen dadurch
Hinweise auf eine grundlegende Beschreibung der Turbulenz zu finden.

Diese Momentaufnahme der Simulation einer
stimulierten Turbulenz in einem heißen Plasma
zeigt die Energiedichte. In den hellen Regionen
sind Energie und Temperatur jeweils am größten.
Bild: David Radice / Luciano Rezzolla
(AEI) |
Der amerikanische Physiknobelpreisträger Richard Feynman bezeichnete einmal
die Turbulenzen als "eines der wichtigsten ungelösten Probleme der klassischen
Physik", weil keine grundlegende Theorie für ihre Beschreibung existiert. Bis
heute gilt dies als eines der sechs wichtigsten Probleme der Mathematik.
David Radice und Luciano Rezzolla vom Potsdamer Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) haben jetzt einen
entscheidenden Beitrag zur Lösung des Problems geleistet: Mit einem neuen
Computercode gelangen ihnen erstmals relativistische Berechnungen, die es
erlauben, turbulente Prozesse im Umfeld astrophysikalischer Phänomene zu
verstehen.
Turbulenzen sind weit verbreitet und spielen eine große Rolle in der Dynamik
von Prozessen: Man begegnet ihnen im Alltag, wenn man zum Beispiel Milch in den
Kaffee schüttet. Aber auch im Benzin-Luft-Gemisch von Verbrennungsmotoren oder
im verdünnten heißen Plasma des intergalaktischen Mediums kommen sie vor.
Schon im 15. Jahrhundert untersuchte Leonardo da Vinci Turbulenzen in
Wasserstrudeln. Im 19. Jahrhundert formulierten Claude Navier und George Stokes
unabhängig voneinander Gleichungen, die Strömungen in Flüssigkeiten und Gasen
beschreiben. Diese Navier-Stokes-Gleichungen bilden auch Turbulenzen ab. Darauf
aufbauend, entwickelte der russische Mathematiker Andrey Kolmogorov während des
Zweiten Weltkriegs die bis heute gültige statistische Theorie für Turbulenzen.
Eine fundamentale mathematische Theorie dafür fehlt jedoch bis heute.
Die "Analyse von Existenz und Regularität von Lösungen der dreidimensionalen
inkompressiblen Navier-Stokes-Gleichungen" steht daher auf der Liste ungelöster
mathematischer Probleme, für deren Lösung das Clay Mathematics Institute
in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts im Jahr 2000 ein Preisgeld von
einer Million US-Dollar ausgelobt hat.
"Mit unseren Berechnungen haben wir das Problem zwar nicht gelöst, aber wir
zeigen, dass und wie die bisher gültige Theorie modifiziert werden muss. Damit
kommen wir einer grundlegenden Theorie zur Beschreibung von Turbulenzen einen
wichtigen Schritt näher", erklärt Rezzolla, der am AEI die Arbeitsgruppe
Numerische Relativitätstheorie leitet.
Rezzolla untersuchte zusammen mit seinem Kollegen Radice Turbulenzen in sehr
starken Gravitationsfeldern, etwa in der Umgebung eines Schwarzen Lochs oder bei
extrem hohen Energien; in beiden Fällen bewegen sich Teilchen nahezu mit
Lichtgeschwindigkeit. Die Forscher verwendeten ein virtuelles Labor, in dem sie
diese Situationen unter Berücksichtigung relativistischer Effekte simulierten.
Die entsprechenden nicht-linearen Differentialgleichungen der
relativistischen Hydrodynamik wurden auf den Großrechnern des AEI und des
Rechenzentrums in Garching gelöst. "Unsere Untersuchungen zeigen, dass
Kolmogorovs Gesetz für relativistische Phänomene modifiziert werden muss, denn
wir beobachten Abweichungen und neue Effekte", sagt Rezzolla.
"Interessanterweise scheint jedoch die wichtigste Aussage des Gesetzes
Gültigkeit zu behalten." Dieses sogenannte -5/3 Kolmogorov-Gesetz beschreibt,
wie die Energie eines Systems von großen auf kleine Wirbel übertragen wird.
Mit ihrer Arbeit wollen die Wissenschaftler auch dabei helfen, ein
übergreifendes Modell zu formulieren. "Den ersten Schritt haben wir nun getan",
ist Rezzolla überzeugt, "wir werden die Computercodes verbessern, um weitere
Erkenntnisse zu einer grundlegenden Theorie der Turbulenzen zu gewinnen." Die
Wissenschaftler berichten über ihre Untersuchung in der Fachzeitschrift
Astrophysical Journal Letters.
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