Manchmal etwas komplizierter
von Stefan Deiters astronews.com
25. Februar 2013
Die Bewegung und die Position der Sterne in einem
Kugelsternhaufen sollte eigentlich nur von der Gravitation beeinflusst werden.
Als Astronomen nun aber den jungen Kugelsternhaufen NGC 1818 in der Großen
Magellanschen Wolke mithilfe des Weltraumteleskops Hubble genauer
untersuchten, wurde ihnen schnell klar, dass die Dinge manchmal etwas
komplizierter sind.
Der junge
Kugelsternhaufen NGC 1818.
Bild: Rebecca
Elson, Richard Sword (Cambridge, UK) und NASA/ESA
/ J. Westphal, Caltech |
Kugelsternhaufen sind große Ansammlungen von Sternen, die sich unter dem
Einfluss ihrer gegenseitigen Anziehungskraft bewegen. Aus diesem Grund lässt
sich - ausgehend von den bekannten Gravitationsgesetzen - auch die dynamische
Entwicklung von Kugelsternhaufen vorhersagen: So sollten beispielsweise
massereichere Sterne durch Wechselwirkungen mit anderen Sternen ins Zentrum der
Haufen wandern, während masseärmere Sonnen in die äußeren Regionen migrieren.
Astronomen nennen dieses Phänomen "Massensegregation".
Jetzt haben sich Wissenschaftler vom Kavli Institute for Astronomy and
Astrophysics (KIAA) an der Universität Peking unter Leitung von Professor
Richard de Grijs die Doppelsternsysteme im Kugelsternhaufen NGC 1818 genauer
angeschaut. Bei dem Haufen handelt es sich um einen sehr jungen Kugelsternhaufen
in der Großen Magellanschen Wolke, einer Nachbargalaxie der Milchstraße.
Man nimmt heute an, dass viele Sterne ursprünglich als Doppel- oder
Mehrfachsysteme entstehen. In Sternhaufen ist ihr Abstand voneinander aber
mitunter so gering, dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Dadurch können sich
Doppelsternsysteme auflösen oder zwei Doppelsterne einfach die Partner tauschen.
Astronomen waren allerdings bislang davon ausgegangen, dass sich durch die
Massensegregation auch Doppelsterne bevorzugt im Haufenzentrum finden lassen
sollten, da sie durch die kombinierte Masse von zwei Sternen schließlich zu den
massereicheren Objekten des Haufens zählen sollten.
Eine Analyse von Hubble-Beobachtungen von NGC 1818 zeigte allerdings
ein überraschend anderes Bild: Die Forscher fanden mehr Doppelsterne in den
Außenbereichen des Haufens, haben jedoch inzwischen auch eine Erklärung für
diesen unerwarteten Befund parat: Bei den Doppelsternen in den Außenbereichen
handelt es sich vermutlich um sogenannte "weiche Doppelsterne", also um Objekte,
die sich in relativ großem Abstand umkreisen.
Diese weichen Doppelsterne aber werden im dichten Haufenzentrum sehr viel
leichter zerstört als "harte Doppelsterne", also Systeme, bei denen sich die
Partner auf einer sehr engen Umlaufbahn umrunden. So kann man erklären, dass
sich in den äußeren Bereichen des Haufens, wo sowohl weiche als auch harte
Doppelsterne mit größerer Wahrscheinlichkeit überleben, mehr Doppelsterne
vorhanden sind.
Die Bestimmung der radialen Verteilung von Doppelsternsystemen in einem so
jungen und massereichen Haufen wie NGC 1818 war zuvor noch nicht versucht
worden. NGC 1818 ist vermutlich nur 15 bis 30 Millionen Jahre alt, die
Kugelsternhaufen der Milchstraße haben ein Alter von zehn Milliarden Jahren und
mehr. So liefert die Untersuchung von NGC 1818 wichtige Erkenntnisse über die
Entwicklung von Kugelsternhaufen in ihrer Frühphase.
"Die extremen dynamischen Wechselwirkungen unter den Sternen in einem Haufen
macht es komplizierter, die gravitativen Prozesse dort zu verstehen", so
Teammitglied Chengyuan Li. "Man muss die gesamte physikalische Umgebung
untersuchen, um vollständig verstehen zu können, was wirklich dort passiert. Die
Dinge sind in der Regel komplizierter als sie aussehen."
Die Astronomen berichten über ihre Untersuchung in der Fachzeitschrift
The Astrophysical Journal.
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