Planetenentstehung noch später als gedacht?
von Stefan Deiters astronews.com
31. Januar 2013
Astronomen haben mithilfe des
ESA-Infrarotweltraumteleskops Herschel eine überraschende Entdeckung um
den Stern TW Hydrae gemacht: In der protoplanetaren Scheibe um den Stern
befindet sich noch genug Material für 50 jupiterähnliche Planeten - und dies,
obwohl solche Gasriesen in dem System eigentlich schon entstanden sein sollten.
Künstlerische Darstellung der Gas- und
Staubscheibe um den jungen Stern TW Hydrae.
Bild: Axel M.
Quetz (MPIA) |
Der Stern TW Hydrae liegt 176 Lichtjahre entfernt im Sternbild Wasserschlange
und ist mit rund zehn Millionen Jahren ein noch relativ junger Stern. Ihn umgibt
eine Scheibe aus Gas und Staub, in der sich vermutlich bereits Planeten gebildet
haben und die in den vergangenen Jahren wiederholt von Astronomen untersucht
wurde (astronews.com berichtete). Trotz seiner Jugend
sollte TW Hydrae allerdings bereits die Phase seiner Entwicklung hinter sich
gelassen haben, in der Gasriesen entstehen - so sagen es zumindest die aktuellen
Theorien voraus.
"Wir haben nicht erwartet, dass es um diesen Stern noch viel Gas gibt",
erzählt Edwin Bergin von der University of Michigan in Ann Arbor, der
Leiter der jetzt in der Fachzeitschrift Nature vorgestellten
Untersuchung. "Normalerweise haben sich Sterne in diesem Alter bereits von dem
Material in ihrer Umgebung befreit, doch um diesen Stern gibt es noch
ausreichend Masse, um daraus das Äquivalent von 50 Jupitern entstehen zu
lassen." Für ihre Studie haben die Astronomen ein neues Verfahren angewandt, das
eine präzisere Bestimmung der Gasmenge um einen Stern erlaubt, die für die
Planetenbildung zur Verfügung steht.
Planeten entstehen aus dem Material, das sich um einen neugeborenen Stern in
einer flachen Scheibe ansammelt. Bei diesem Material handelt es sich praktisch
um den Rest, der nicht für die Bildung des Sterns benötigt wurde. Die Masse der
Scheibe hat entscheidenden Einfluss darauf, ob und wie viele Planeten um den
jungen Stern entstehen können. Im Falle von TW Hydrae war diese Masse bislang
nicht genau bekannt.
"Zuvor konnten wir nur indirekt auf die Gasmenge in protoplanetaren Scheiben
schließen", erklärt Paul Goldsmith, der NASA-Projektwissenschaftler für
Herschel am Jet Propulsion Laboratory. "Dies ist ein weiteres
Beispiel für Herschels Vielseitigkeit und Empfindlichkeit, der wir wichtige
Erkenntnisse über Sterne und die Entstehung von Planeten verdanken."
Bei einem neuen Blick auf TW Hydrae und seine Scheibe mit dem europäischen
Weltraumteleskop Herschel, konnten die Astronomen nämlich die spektrale
Signatur von Wasserstoffdeuterid nachweisen, einem Gas, das aus einem
Wasserstoff- und einem Deuteriumatom besteht. Während Herschel das
Licht normaler Wasserstoffmoleküle nicht entdecken kann, sendet
Wasserstoffdeuterid eine deutlich intensivere Strahlung im fernen Infrarot aus,
die sich mit den Instrumenten des Infrarotteleskops beobachten lässt.
Da das Häufigkeitsverhältnis zwischen Deuterium und normalem Wasserstoff in
unserer galaktischen Nachbarschaft konstant zu sein scheint, konnten die
Astronomen aus dem Anteil von Wasserstoffdeuterid auch auf die Masse der Scheibe
um TW Hydrae schließen. "Um zu verstehen, ob und wie in einer protoplanetaren
Scheibe Planeten entstehen, ist die Kenntnis der Masse der Scheibe
entscheidend", so Glenn Wahlgren, der Herschel-Projektwissenschaftler
im NASA-Hauptquartier in Washington.
Ob in der Scheibe um TW Hydrae noch weitere Planeten und damit eventuell ein
deutlich umfangreicheres Planetensystem als das unsrige entstehen wird, können
die Astronomen noch nicht sagen. "Die neuen Ergebnisse sind ein weiterer
wichtiger Schritt, um die Vielfalt von Planetensystemen zu verstehen, die es im
Universum gibt", so Bergin. "Wir beobachten nun Systeme mit massereichen
Jupitern, Super-Erden und vielen Neptun-ähnlichen Welten. Durch das 'Wiegen' der
Systeme bei ihrer Geburt, erhalten wir einen Einblick in die Entstehungsphase
unseres eigenen Sonnensystems, bei der nur eine von vielen möglichen
Konfigurationen realisiert wurde."
Für Thomas Henning, Direktor des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA)
in Heidelberg und einem der Co-Autoren der Studie, bieten die Beobachtungen auch
einen exemplarischen Einblick in den heutigen Wissenschaftsbetrieb und seine
potentiellen Probleme. "Dieses Projekt begann in einem Gespräch zwischen Ted
Bergin, Ewine van Dieshoek und mir. Uns wurde klar, dass Herschel
unsere einzige Möglichkeit war, um Wasserstoffdeuterid in dieser Scheibe zu
beobachten - und damit eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen konnten!
Wir haben aber auch gemerkt, dass wir mit diesen Beobachtungen ein Risiko
eingehen würden. Eine der Modellrechnungen sagte voraus, dass wir mit
Herschel überhaupt nichts sehen würden. Stattdessen waren unsere
Beobachtungsdaten am Ende besser, als wir zu hoffen gewagt hatten."
Es käme allerdings immer wieder vor, so Henning, dass kostbare
Beobachtungszeit an großen Teleskopen nur dann vergeben wird, wenn der Erfolg
praktisch schon garantiert ist. Doch "wenn nicht die geringste Chance besteht,
dass ein Projekt schiefgeht, dann dürfte es wissenschaftlich nicht besonders
interessant sein", meint der Astronom. "TW Hydrae ist ein Paradebeispiel dafür,
wie es sich in der Wissenschaft lohnen kann, ein kalkuliertes Risiko
einzugehen."
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