Das entfernteste je beobachtete Objekt?
von Stefan Deiters astronews.com
16. November 2012
Mithilfe des Weltraumteleskops Hubble, des
Infrarot-Weltraumteleskops Spitzer und eines massereichen Galaxienhaufens glauben
Astronomen die entfernteste Galaxie entdeckt zu haben, die bislang beobachtet
wurde. Das ferne Objekt sehen wir zu einer Zeit, in der das Universum gerade
einmal 420 Millionen Jahre alt ist. Sein Licht benötigte 13,3 Milliarden Jahre,
um die Erde zu erreichen.
Die Galaxien des Galaxienhaufens MACS
J0647.7+7015 sind in der Bildmitte zu sehen, die
entfernte Galaxie MACS0647-JD links unten und in
der Vergrößerung. Bild:
NASA, ESA und M. Postman und D. Coe (Space
Telescope Science Institute) und das CLASH Team
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Die Entdeckung der fernen Galaxie mit dem Namen MACS0647-JD gelang im Rahmen
des Durchmusterungsprojekts Cluster Lensing And Supernova survey with Hubble
(CLASH), bei dem massereiche Galaxienhaufen genutzt werden, um weit entfernte
Galaxien zu beobachten. Die Galaxienhaufen dienen dabei als natürliches
Vergrößerungsglas, da sie das Licht dahinterliegender Galaxien aufgrund ihrer
Masse ablenken. Man bezeichnet dieses Phänomen als Gravitationslinseneffekt.
Die jetzt aufgespürte Galaxie sehen wir 420 Millionen Jahre nach dem Urknall,
das Licht war also 13,3 Milliarden Jahre unterwegs, bevor es die Detektoren von
Hubble erreicht hat. So große Entfernungen beschreiben Astronomen in
der Regel mit Hilfe der Rotverschiebung. Sie ist eine Folge der Ausdehnung des
Universums, durch die auch die Wellenlänge des Lichts gedehnt wird. Weit
entfernte Objekte erscheinen dadurch röter. Die jetzt aufgespürte Galaxie hat
vermutlich eine Rotverschiebung von 10,8, der bisherige Rekordhalter von 10,3.
"Man erwartet zwar, dass man hin und wieder eine sehr weit entfernte Galaxie
dank des Gravitationslinseneffekts findet, doch hat diese Entdeckung meine
Erwartungen, was im Rahmen des CLASH-Programms möglich ist, noch übertroffen",
meinte Rychard Bouwens von der Universität im niederländischen Leiden. "Der
wissenschaftliche Ertrag in dieser Richtung was bislang unglaublich."
Das Licht der entfernten Galaxie war nach einer Reise von ungefähr acht
Milliarden Jahren auf den massereichen Galaxienhaufen MACS J0647.7+7015
getroffen und von diesem abgelenkt worden. Die Wissenschaftler konnten
deswegen mithilfe von Hubble drei vergrößerte Bilder von MACS0647-JD beobachten.
Dank des Galaxienhaufens erschien die entfernte Galaxie deutlich heller als sie
normalerweise gewesen wäre. Trotzdem ist sie auf der Hubble-Aufnahme nur ein
winziger Punkt. "Dieser Haufen hat etwas gemacht, wozu kein von Menschen gebautes Teleskop
in der Lage ist", meint Marc Postman vom Space Telescope Science Institute, der
das CLASH-Team leitet. "Ohne diese Vergrößerung wäre die Beobachtung der Galaxie
eine Herkulesaufgabe."
Da die entfernte Galaxie so winzig ist, vermuten die Astronomen, dass sie
sich gerade in einer der ersten Phasen der Galaxienentstehung befindet. Die
Untersuchungen der Forscher ergaben, dass sie gerade einmal einen Durchmesser
von 600 Lichtjahren hat. Zum Vergleich: Unsere Milchstraße durchmisst 150.000
Lichtjahre. Die Masse der entfernten Galaxie schätzen die Astronomen auf 100
Millionen bis zu einer Milliarde Sonnenmassen - entsprechend etwa 0,1 bis ein
Prozent der Masse der Milchstraße.
"Bei diesem Objekt könnte es sich um einen von vielen Bausteinen einer
Galaxie handeln", vermutet Dan Coe vom Space Telescope Science Institute, der
Hauptautor der Studie. "In den folgenden 13 Milliarden Jahren wird es vielleicht
Dutzende, Hunderte oder gar Tausende Verschmelzungen mit anderen Galaxien oder
Galaxienfragmenten durchmachen."
Nach der Entdeckung hat das Team über mehrere Monate alternative
Erklärungsmöglichkeiten ausgeschlossen, um sich sicher sein zu
können, dass sie hier tatsächlich einen neuen Entfernungsrekordhalter vor sich
haben. Auch nahegelegene Objekte, wie Braune Zwerge, rötliche Sterne oder alte,
staubige Galaxien, können nämlich auf den ersten Blick so aussehen, als seien sie
eine entfernte Galaxie. Mit den Hubble-Beobachtungen allein ließen sich nicht alle
alternativen Erklärungsmöglichkeiten ausschließen, erst Beobachtungen mit dem
Infrarot-Weltraumteleskop Spitzer gaben den Forschern schließlich ausreichend
Gewissheit.
MACS0647-JD ist vermutlich zu weit entfernt, um die Entfernung des Objekts
mit derzeit verfügbaren Teleskopen
spektroskopisch zu ermitteln. Nur durch die Aufnahme eines Spektrums wäre
nämlich eine sichere Bestimmung der Rotverschiebung möglich. Bislang müssen sich
die Astronomen mit einer Abschätzung der Rotverschiebung begnügen, die durch
eine Beobachtung in vielen verschiedenen Filterbereichen möglich wird. Das
Objekt ist nämlich nur in ganz bestimmten Wellenlängenbereichen auszumachen.
Nach Ansicht des Teams liegt die Rotverschiebung der Galaxie mit einer
Sicherheit von 95 Prozent zwischen 10,3 und 11,3.
Damit handelt es sich bei MACS0647-JD sehr wahrscheinlich um einen neuen
Rekordhalter. In ihrem Fachartikel, der im Dezember im Astrophysical Journal erscheinen wird, sprechen sie
jedoch vorsichtig von einem "Kandidaten" für
eine Galaxie mit einer Rotverschiebung von 11. Das Objekt dürfte mit Sicherheit ein Ziel von
Beobachtungen mit dem Hubble-Nachfolger, dem James Webb Space Telescope, sein,
das in der Lage sein wird, auch spektroskopische Beobachtungen zu machen und
damit die Entfernung von MACS0647-JD sicher zu bestimmen. James Webb soll allerdings erst 2018 starten.
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