Astronomen beobachten Gasrecycling
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
15. März 2012
Woher stammt das Rohmaterial, das nötig
ist, um die beobachtete Rate an Sternentstehung in vielen Galaxien zu
erklären? Astronomen vermuten, dass es einen gigantischen
Recycling-Kreislauf gibt, der es erlaubt, einmal aus einer Galaxie
ausgestoßenes Gas wiederzuverwenden. Jetzt entdeckte ein
Forscherteam auch in entfernten Galaxien Hinweise darauf, dass diese
Theorie stimmen könnten.
Bilder der sechs Galaxien, bei denen Rückflüsse
gemessen wurden, aufgenommen mit der Advanced
Camera for Surveys des Hubble-Weltraumteleskops.
Bild: K. Rubin, MPIA [Großansicht] |
Sternentstehungsgebiete, etwa der Orionnebel, gehören zu den schönsten
astronomischen Beobachtungsobjekten. Abschätzungen zufolge wird in
unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, pro Jahr rund eine Sonnenmasse
an Gas in neue Sterne umgesetzt. Verschafft man sich allerdings einen
Überblick über das verfügbare Rohmaterial, also Wolken aus Gas und
Staub, dann zeigt sich, dass unsere Galaxie ihre Stern-Produktionsrate
aus diesem Reservoir nicht für mehr als ein paar Milliarden Jahre
aufrecht erhalten könnte.
Doch unsere Milchstraße ist deutlich älter und somit stellt sich die
Frage, ob wir uns gerade in einer aus astronomischer Sicht eher kurzen,
ganz besonderen Ära heftiger Sternentstehung befinden.
Altersbestimmungen an Sternen und der Vergleich mit anderen
Spiralgalaxien sprechen allerdings nicht dafür.
Eine Sonnenmasse pro Jahr scheint eine recht typische Sternentstehungsrate
zu sein, so dass die
Wissenschaftler die Frage beantworten müssen, wo das Rohmaterial für
diese Produktion herkommt. Offenbar muss also zusätzlich Materie ihren
Weg in diese Galaxien finden.
Eine Möglichkeit ist, dass Gas aus den riesigen Bereichen geringer
Gasdichte, die den intergalaktischen Raum erfüllen, in die Galaxien
strömt. Es finden sich jedoch bislang keine Anzeichen dafür, dass dies
tatsächlich passiert. Als weiterer Mechanismus ist daher ein
gigantischer kosmischer Materiezyklus ins Spiel gebracht worden: Schon
länger ist bekannt, dass aus vielen Galaxien Materie herausströmt -
etwa, weil durch Supernova-Explosionen Materie herausgeschleudert wird,
oder weil sehr helle Sterne durch ihren schieren Strahlungsdruck Gas aus
ihrer Nachbarschaft vertreiben.
Während das Gas von den Galaxien wegströmt, ist es dem ständigen Ziehen
der Schwerkraft der Galaxie ausgesetzt. Und ist dieser Einfluss stark
genug, so könnte das Gas über Zeiträume von einigen Milliarden Jahren
wieder auf die Galaxie zurückfallen. Das könnte die Lösung des Rätsels
liefern, würde es doch bedeuten, dass das Gas, welches wir in den
Galaxien finden, nur ungefähr die Hälfte des Rohmaterials repräsentiert,
das für die Sternentstehung zur Verfügung steht. Bedeutende Mengen an
Gas würden sich praktisch noch "auf Reisen" befinden, werden aber zu
späterer Zeit in die Galaxie zurückkehren.
Für "lokale Galaxien", die bis zu einige hunderte Millionen Lichtjahre
von uns entfernt sind, gibt es in der Tat Beobachtungen, die zeigen, wie
Gas auf die Galaxie zurückströmt. Doch was ist mit weiter entfernten
Galaxien, von denen bekannt ist, dass sie deutlich schnellere Ausflüsse
aufweisen? Wäre die Schwerkraft dieser Galaxien zu schwach, könnte das
herausgeschleuderte Gas der
Anziehungskraft der Galaxien dauerhaft entkommen und die Astronomen
müssten ihre Modelle für die Materialzufuhr für Sternentstehung auf
galaktischen Skalen grundlegend überdenken.
Um diese Frage zu klären, hat eine Gruppe von Astronomen unter der
Leitung von Kate Rubin vom Max-Planck-Institut für Astronomie in
Heidelberg das Keck I-Teleskop auf Mauna Kea auf Hawaii
genutzt, um das Gas von hundert Galaxien zu untersuchen, die so weit von
uns entfernt sind, dass ihr Licht zwischen fünf und acht Milliarden
Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen. Bei sechs dieser Galaxien
fanden Rubin und ihre Kollegen erstmals direkte Anzeichen dafür, dass im
intergalaktischen Raum treibendes Gas wieder auf Galaxien zurückströmt,
in denen es dann zur Sternentstehung beiträgt.
Dabei, so die Astronomen, dürfte die beobachtete Strömung auch von der
Orientierung der Galaxie relativ zum Beobachter abhängen. Zudem konnte
auch nur die durchschnittliche Gasbewegung gemessen werden. Die
Gesamtzahl der Galaxien, in die Gas einströmt, dürfte daher deutlich
über den direkt aus den Messdaten folgenden sechs Prozent liegen und
könnte bis zu 40 Prozent betragen. Die Astronomen glauben mit ihren
Beobachtungen ein wichtiges Puzzlestück des kosmischen Recyclings
gefunden zu haben, mit dem sich das Rätsel des fehlenden Rohmaterials
erklären lässt.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel in
der Zeitschrift The Astrophysical Journal Letters.
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