Die Energieverteilung im Sonnenwind
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum astronews.com
15. November 2011
Von der Sonne bläst ein ständiger Partikelstrom ins All, der sogenannte
Sonnenwind. Sein Einfluss ist im gesamten Planetensystem zu spüren,
viele seiner Eigenschaften aber stellen die Wissenschaftler bis heute
vor Rätsel. Mit einem neuen Modell könnte es Bochumer Forschern nun
gelungen sein, gleich zwei Geheimnissen des Sonnenwinds auf die Spur zu
kommen.

Trägt man die Messwerte des Sonnenwinds für
das Plasmabeta (x-Achse) und die Anisotropie der
Temperatur (y-Achse) in ein Diagramm ein, ergibt
sich eine typische Rautenform.
Bild: idw / Physical Review Letters /
American Physical Society |
Warum die Temperaturen im Sonnenwind in bestimmten Richtungen nahezu
gleich und wieso verschiedene Energiedichten beinahe identisch sind, war
den Wissenschaftlern bislang ein Rätsel. Mit einem neuen Ansatz zur
Berechnung von Instabilitätskriterien für Plasmen könnten Bochumer
Forscher um Prof. Dr. Reinhard Schlickeiser vom Lehrstuhl für
Theoretische Physik IV nun beide Probleme gelöst haben.
Sie bezogen dazu erstmals die Effekte von Zusammenstößen der
Sonnenwindteilchen in ihr Modell mit ein. Auf diese Weise konnten sie
experimentelle Daten wesentlich besser erklären, als es mit früheren
Rechnungen möglich war. Die Resultate, die die Wissenschaftler jetzt in
der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlichten,
sollten sich auch auf kosmische Plasmen außerhalb des Sonnensystems
übertragen lassen.
Der Sonnenwind besteht aus geladenen Teilchen und ist von einem
Magnetfeld durchsetzt. Bei der Analyse dieses sogenannten Plasmas
untersuchen Forscher zwei Arten von Drücken: Der magnetische Druck
beschreibt die Tendenz der Magnetfeldlinien, sich gegenseitig
abzustoßen, der kinetische Druck resultiert aus dem Impuls, also der
Bewegung, der Teilchen. Das Verhältnis von kinetischem zu magnetischem
Druck nennen die Wissenschaftler Plasmabeta und es ist ein Maß
dafür, ob mehr Energie pro Volumen in Magnetfeldern oder in der
Teilchenbewegung gespeichert ist.
In vielen kosmischen Quellen liegt das Plasmabeta um den Wert eins, was
gleichbedeutend mit der Gleichverteilung der Energie ist. Zudem herrscht
in kosmischen Plasmen nahezu Temperaturisotropie, die Temperatur ist
also in paralleler und senkrechter Richtung zu den Magnetfeldlinien des
Plasmas gleich.
Über zehn Jahre lang sammelten die Instrumente des amerikanischen
Satelliten WIND die unterschiedlichsten Daten über den Sonnenwind. Trägt
man die gemessenen Plasmabeta gegen die Temperaturanisotropie (das
Verhältnis von senkrechter zu paralleler Temperatur) auf, fallen die
Messpunkte in einen rautenförmigen Bereich um den Wert eins. "Wenn sich
die Werte aus der Rautenkonfiguration herausbewegen, ist das Plasma
instabil und die Temperaturanisotropie und das Plasmabeta landen schnell
wieder in dem stabilen Bereich innerhalb der Raute", erläutert
Schlickeiser. Eine konkrete, detaillierte Erklärung dieser Rautenform
fehlte aber bisher, vor allem für niedrige Plasmabeta.
In früheren Modellen ging man davon aus, dass die Sonnenwindteilchen
aufgrund der niedrigen Dichte nicht direkt zusammenstoßen, sondern nur
über elektromagnetische Felder wechselwirken. "Solche Annahmen sind
allerdings für kleine Plasmabeta nicht mehr gerechtfertigt, da dann die
Dämpfung aufgrund von Teilchenstößen berücksichtigt werden muss",
erklärt der Physiker Michal Michno. Die Forscher bezogen nun diese
zusätzliche Dämpfung in ihr Modell mit ein und erhielten auf diese Weise
neue Rautengrenzen und damit neue Stabilitätsbedingungen.
Das neue Bochumer Modell erklärt die gemessenen Sonnenwinddaten
wesentlich besser als frühere Theorien und ließe sich auch auf andere
dünne kosmische Plasmen übertragen, da sie sehr ähnliche Dichten,
Temperaturen und Magnetfeldstärken haben wie der Sonnenwind. Auch wenn
das Diagramm aus Temperaturanisotropie und Plasmabeta für sie nicht
exakt die Rautenform einnimmt, die die Forscher für den Sonnenwind
fanden, sagt der neu gefundene Mechanismus voraus, dass die Werte immer
nahe um eins liegen. Damit könnte ihre Theorie, so die Forscher, auch
einen wichtigen Beitrag zur Erklärung der Energiegleichverteilung in
kosmischen Plasmen außerhalb des Sonnensystems leisten.
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