Auf der Spur der solaren Aktivität
Redaktion /
idw / Pressemitteilung der Universität Würzburg astronews.com
23. Februar 2011
Spektakuläre Polarlichter rufen immer wieder in Erinnerung,
dass unsere Sonne die Erde in weit größerem Maße beeinflusst als nur durch ihr
Licht und ihre Wärme. Die Partikelströme, die von dem Stern ausgehen, können
nämlich auch Satelliten zerstören und sogar Züge stilllegen. Würzburger
Astrophysiker wollen sich die Sonne in den kommenden Jahren deshalb noch genauer
ansehen.
Dieses
UV-Bild der
Sonde SOHO aus dem Jahr 1999 zeigt eine
eindrucksvolle Protuberanz.
Bild: ESA/NASA/SOHO |
Wie eine lose Masche in einem Wollpulli stehen sie bogenförmig auf der
Sonnenoberfläche: Protuberanzen. Die Bögen aus sehr dichtem Material können bis
zu 50.000 Kilometer hoch werden – und sich manchmal komplett von der Sonne
lösen. Dann schießen bis zu zehn Milliarden Tonnen Material mit einer
Geschwindigkeit von rund 1.000 Kilometer pro Sekunde in den Weltraum. Treffen
Teile von ihnen Minuten oder Stunden später auf die Erde, bleibt das nicht immer
ohne Folgen.
"Solche koronalen Massenausbrüche bestehen aus hochenergetischen Teilchen, aus
Röntgen- und aus Radiostrahlen", erklärt Dr. Felix Spanier. Spanier ist
Assistent am Lehrstuhl für Astronomie der Universität Würzburg und untersucht
gemeinsam mit dem Doktoranden Urs Ganse diese Ausbrüche in einem
Forschungsprojekt, das die EU mit rund 150.000 Euro finanziert.
Polarlichter sind die eine, die schöne Seite des Weltraum-Bombardements. Defekte
Satelliten, zerstörte Elektrik, Feuer die weniger schöne. So soll eine besonders
heftige Eruption 1859 für zahllose Brände in Schweden und den USA verantwortlich
gewesen sein. Die elektromagnetischen Effekte in der Atmosphäre hatten in
Telegraphenleitungen so starke Ströme in Bewegung gesetzt, dass die Drähte
überhitzten.
In heutiger Zeit müssen eher Satellitenbetreiber das so genannte
"Weltraumwetter" fürchten. Mit ihren hohen Energien können die Teilchen und
Strahlen Satelliten schachmatt setzen mit gravierenden Folgen beispielsweise für
die Telekommunikation oder das Navigationssystem GPS. So störte im Januar 1994
eine Sonneneruption den kanadischen Telekom-Satelliten Anik-E2 fünf
Monate lang, was den Betreiber rund 50 Millionen Dollar gekostet haben soll. Und
selbst die Elektrik der ersten Generation von ICEs reagierte so empfindlich auf
den Strahlenschauer, dass Züge bisweilen liegenblieben.
Warum interessieren sich aber Astrophysiker für die Sonneneruptionen? Und was
gibt es daran über mehrere Jahre hinweg – die EU finanziert das Würzburger
Projekt drei Jahre lang – zu erforschen? "Die Physik versucht seit mehr als 50
Jahren zu ergründen, welche Prozesse hinter den Massenausbrüchen steckten. Bis
heute ohne Erfolg", erklärt Ganse. "Das Problem ist, dass diese Prozesse in
einem Plasma ablaufen, das etwa 500.000 Grad heiß ist. Da kann ich nichts
beobachten; da kann ich auch keine Sonde reinschicken, und das kann ich auf der
Erde nicht nachbauen", erläutert Spanier.
Also versuchen Spanier und Ganse das solare Geschehen mit aufwändigen
Simulationen im Rechner nachzustellen. Momentan ist Ganse so weit, dass er in
seinen mathematischen Modellen zehn Milliarden Teilchen in einem Würfel mit
einer Kantenlänge von 50 Metern miteinander in Wechselwirkung treten lassen
kann. Die Rechner, die solche Aufgaben bewältigen, stehen in Jülich oder in
Finnland und zählen mit 60.000 Prozessoren zu den schnellsten der Welt.
Eine Schwierigkeitsstufe höher erforscht Felix Spanier das Geschehen in der
Sonne: "So wie ein Stein in einem Bach für Wirbel sorgt, treten im Plasma
Turbulenzen auf, die das übrige Geschehen beeinflussen", erklärt der
Astrophysiker. Diese Abläufe will Spanier aufklären und mit Hilfe von Formeln
"so einfach wie möglich beschreiben". Für ihre Untersuchungen können die beiden
Wissenschaftler auf jede Menge Daten zurückgreifen. Zwölf Satelliten beobachten
derzeit die Sonne vom Weltraum aus und schicken ihre Messergebnisse in einem
beständigen Datenstrom auf die Erde. Teleskope auf der Erde ergänzen deren
Arbeit.
Trotzdem ist es nicht so einfach, damit Rückschlüsse auf das Geschehen auf der
Sonne zu ziehen. "Der Teilchenstrom eines koronalen Massenausbruchs wird
beispielsweise im Magnetfeld der Sonne gestreut; die Teilchen ändern dadurch
ihre Richtung und ihre Geschwindigkeit. Sie zurückzuverfolgen ist deshalb nicht
ganz einfach", erklärt Spanier. Das sei vergleichbar mit einem Tennisball, der
gegen eine unebene Wand geworfen wird. Da wisse man auch nie, in welche Richtung
er abprallen wird.
Auch für die Industrie könnte das Wissen um "fundamentale Plasmaprozesse"
interessant sein. Ob es damit in naher Zukunft auch möglich sein wird,
Vorhersagen über Ausbrüche und deren Folgen für die Erde zu machen, ist
angesichts der hohen Komplexität fraglich. Trotzdem erwarten Spanier und Ganse
Verbesserungen gegenüber dem jetzigen Zustand. "Momentan können wir einen
koronalen Massenauswurf beobachten und davon ausgehen, dass die Teilchen etwa 30
Minuten später die Erde erreichen", sagt Ganse. Das sei gerade genug Zeit, um
Satellitenbetreiber zu warnen und Satelliten in den Sicherheitsmodus zu fahren.
Neben diesem wissenschaftlichen Ansatz verfolgt die Arbeit der beiden Würzburger
Astrophysiker, die Teil eines größeren Projekts mit zwölf europäischen Partnern
ist, noch ein zweites, praktisches Ziel. "Wir wollen alle Informationen und
Daten, die es über das Geschehen auf der Sonne gibt, auf einem zentralen Server
sammeln", so Ganse. Bisher seien diese über die ganze Welt zerstreut und für
Wissenschaftler nicht immer leicht zu bekommen. Mit der Konsequenz, dass
"bestimmte Events sehr gut untersucht sind, einfach weil die Daten gut
zugänglich sind, andere Ereignisse hingegen so gut wie gar nicht."
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