Was passiert auf der Oberfläche von Titan?
von Stefan Deiters astronews.com
8. Juni 2010
Zwei neue, auf Daten der Saturnsonde Cassini
beruhende Untersuchungen faszinieren derzeit die Wissenschaftler: Danach
verschwindet auf der Oberfläche des Titan Wasserstoff und es lässt sich dort
auch erheblich weniger Acetylen nachweisen als erwartet. Grund dafür könnten
komplexe chemische Reaktionen sein. Manche Forscher sehen darin aber auch einen
Hinweis auf Methan-basiertes Leben.

So könnte es auf der Oberfläche von Titan
aussehen.
Bild: NASA / JPL |
Nach Ansicht von Chris McKay, einem Astrobiologen am NASA Ames Research
Center, ist der Mangel an Acetylen deswegen interessant, weil dieser Stoff
quasi als Nahrung für Methan-basiertes Leben dienen könnte. McKay hatte schon
2005 über die Möglichkeit von auf Methan basierendem Leben auf Titan spekuliert.
Die Daten über die Wasserstoffverteilung würden diesen Verdacht nach McKays
Meinung weiter erhärten, da bei den vor fünf Jahren vorgeschlagenen
Stoffwechselprozessen immer auch Wasserstoff verbraucht werden würde.
"Wir haben damals Wasserstoff vorgeschlagen, weil es sich auf Titan als
Nahrung für Leben anbieten würde, genauso wie auf der Erde der Sauerstoff", so
McKay. "Wenn die jetzigen Funde tatsächlich auf Leben hindeuten, wäre das eine
außerordentliche Entdeckung, weil es damit eine zweite Form von Leben gibt, die
sich unabhängig von Wasser-basiertem Leben auf der Erde entwickelt hat."
Auf Methan basierendes Leben ist bislang nichts weiter als Spekulation. Die
Temperaturen auf Titan liegen bei etwa minus 180 Grad Celsius. Wasser kommt hier
also nur als hart gefrorenes Eis vor. Wasser gilt bei vielen Wissenschaftlern
als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Leben, muss es aber nicht
unbedingt sein. Es könnte beispielsweise durch einen Stoff ersetzt werden, der
auch bei sehr niedrigen Temperaturen flüssig ist, beispielsweise durch Methan.
Nach Ansicht von Darrell Strobel, der zum Wissenschaftlerteam von Cassini
gehört und an der Johns Hopkins University in Baltimore forscht, würden
sich die Daten über die Wasserstoffverteilung mit exotischem Methan-basiertem
Leben erklären lassen. Ein Beweis dafür wären sie jedoch nicht. Strobel
beschreibt in einem Fachartikel in der Zeitschrift Icarus die
Untersuchung der Wasserstoffdichte in verschiedenen Regionen der
Titanatmosphäre. Die Wasserstoffmoleküle entstehen durch Sonnenlicht, das in der
oberen Atmosphäre Acetylen- und Methan-Moleküle aufspaltet. Nach bisherigen
Modellen sollten die Moleküle weitgehend gleichmäßig in der Atmosphäre des
Saturnmondes verteilt sein.
Strobel entdeckte allerdings eine ungleichmäßige Verteilung, die auf einen
Strom von Wasserstoff Richtung Oberfläche hindeutet. Dort ist davon allerdings
nichts mehr zu finden. "Das ist so, als wenn man mit einem Gartenschlauch
Wasserstoff auf den Boden spritzt, das dann plötzlich verschwindet", vergleicht
Strobel. "Wir haben das nicht erwartet, da molekularer Wasserstoff recht stabil
und sehr leicht ist. Er sollte sich eigentlich in die äußeren
Atmosphärenschichten bewegen und entweichen."
Strobel hält es für wenig wahrscheinlich, dass der Wasserstoff sich irgendwo
im Untergrund von Titan sammelt. Die Kälte an der Oberfläche sorgt aber auch
dafür, dass eine Rückverwandlung von Acetylen und Wasserstoff zu Methan nicht
ohne weiteres möglich ist. Dafür müsste es auf der Oberfläche noch ein
unbekanntes Mineral geben, das als Katalysator für diese Reaktion dienen
könnten.
Die zweite Untersuchung beschäftigte sich mit der Verteilung der
Kohlenwasserstoffe auf Titan. Die Wissenschaftler hatten vermutet, dass
Reaktionen in der Atmosphäre für die Entstehung von Acetylen sorgen, das dann
auf die Oberfläche von Titan absinkt und die Oberfläche bedeckt. Allerdings
entdeckte Cassini hier kein Acetylen.
Die Spektrometer von Cassini fanden auch kein Wassereis auf der
Oberfläche, dafür aber Indizien auf zahlreiche, noch nicht identifizierte
organische Verbindungen. Die Forscher vermuten daher, dass diese eventuell einen
Überzug über das Wassereis bilden, der auch erhalten bleibt, wenn flüssiges
Methan oder Ethan über die Oberfläche des Mondes fließt.
"Die Atmosphäre von Titan produziert laufend organische Verbindungen, die so
schnell auf die Oberfläche hinabregnen, dass selbst wenn Ströme von flüssigem
Methan oder Ethan die Schicht aus organischem Material abwaschen, das Wassereis
sofort wieder bedeckt wird", erklärt Roger Clark vom U.S. Geological Survey, der
die in der Fachzeitschrift Journal of Geophysical Research
veröffentlichte Studie leitete. "All das deutet darauf hin, dass Titan ein sehr
dynamischer Ort ist, wo jede Menge organische Chemie abläuft."
Auch Mark Allen vom Titan-Team des Astrobiology Institute der NASA
glaubt, dass für das Fehlen von Acetylen auch nicht biologische Erklärungen in
Frage kommen. So könnte kosmische Strahlung oder Sonnenlicht dafür
verantwortlich sein, dass sich schon in der Atmosphäre aus dem Acetylen
komplexere Moleküle bilden, die dann auf der Oberfläche keinerlei Signatur von
Acetylen mehr zeigen würden.
"Die konservative Herangehensweise ist, dass man zunächst einmal alle
nicht-biologischen Möglichkeiten ausschließt, bevor man die biologische These
ernsthaft ins Auge fasst", so Allen. "Wir werden sehr viel damit zu tun haben,
nicht-biologische Erklärungen auszuschließen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
ein chemischer Prozess, ohne biologischen Einfluss, für die Ergebnisse
verantwortlich ist."
Cassini wird noch viele Male am Saturnmond Titan vorüberfliegen. Die
Wissenschaftler hoffen, dass dabei neue Daten gesammelt werden können, die ein
wenig mehr Licht in die Vorgänge auf der Oberfläche des fernen Mondes bringen.
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