Nichts verrät einiges über frühen Kosmos
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
20. August 2009
Gravitationswellen bieten Astronomen wohl die einzige
Möglichkeit, um etwas über den Zustand des Universums unmittelbar nach dem
Urknall zu erfahren. Trotz intensiver Suche hat man bis heute jedoch noch keine
Gravitationswelle direkt messen können. Allerdings können Forscher aus diesen
Nicht-Messungen einiges über die frühe Entwicklung des Universums und über
kosmische Strings folgern.

Der LIGO-Detektor in Livingston.
Foto: LIGO / California
Institute of Technology |
Ein Forschungsprojekt der internationalen LIGO (Laser
Interferometer Gravitational-Wave Observatory) Scientific Collaboration
sowie der Virgo Collaboration hat jetzt neue
Schlussfolgerungen über die frühe Entwicklung unseres Universums veröffentlicht
- obwohl die Forscher eigentlich gar nichts gemessen haben. An der Untersuchung,
die heute in der Zeitschrift Nature erscheint, waren auch
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover und Potsdam sowie der Leibniz
Universität Hannover beteiligt.
Die jetzt veröffentlichte Arbeit basiert auf der Auswertung von Daten, die im
Zweijahreszeitraum 2005 bis 2007 aufgezeichnet wurden. Sie liefert die bisher
genaueste Einschränkung für die Stärke von Gravitationswellen, die beim Urknall
entstanden sein könnten. Auf diese Weise konnten die Vorstellungen, wie das
Universum in seinen frühesten Momenten aussah, erheblich eingegrenzt werden.
Ähnlich wie bei der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung nimmt man an,
dass der Urknall eine Flut von Gravitationswellen - winzige Verzerrungen der
Raum-Zeit - verursacht hat, die noch immer das Universum ausfüllt und
Informationen über die Zeit unmittelbar nach dem Urknall mit sich trägt. Diese
frühen Gravitationswellen treten als eine stochastische Hintergrundstrahlung
auf. Sie ist vergleichbar mit der Überlagerung von verschieden großen und aus
unterschiedlichen Richtungen kommenden Wellen, die sich auf der Oberfläche eines
Teiches überlagern. Die Amplitude dieses Hintergrundes steht in direktem
Zusammenhang mit den Parametern, die das Verhalten des Universums während der
ersten Minute nach dem Urknall bestimmt haben.
Die jüngsten Forschungsergebnisse schränken auch aktuelle Modelle von
kosmischen Strings ein. Kosmische Strings sind Objekte, die nach der Theorie aus
der Anfangszeit unseres Universums stammen und im Laufe der Expansion des
Universums auf eine enorme Größe gestreckt wurden. Nach Ansicht mancher
Kosmologen können diese Strings Schleifen bilden, die Gravitationswellen
produzieren, wenn sie vibrieren, zerfallen und sich schließlich auflösen.
Auch heute noch tragen Gravitationswellen Informationen über ihre heftige
Entstehung mit sich - und über die Natur der Gravitation selbst. Diese
Informationen können bisher mit keiner anderen astronomischen Methode als der
Gravitationswellenforschung erschlossen werden. Die Existenz von
Gravitationswellen wurde von Albert Einstein bereits 1916 im Rahmen seiner
Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt. Seit 2002 nehmen die
Gravitationswellendetektoren LIGO und GEO600 Daten auf, 2007 hat sich auch Virgo
der Suche angeschlossen.
Die Autoren der neuen wissenschaftlichen Abhandlung berichten, dass der
stochastische Gravitationswellen-Hintergrund noch nicht gefunden wurde. Trotzdem
ermöglicht gerade dieses "Nichtmessen" einen Einblick in die Frühgeschichte des
Universums und das Eingrenzen entsprechender Theorien. Die jetzt vorgestellte
Untersuchung basiert auf Daten, die von den drei amerikanischen
LIGO-Interferometern aufgenommen wurden: zwei LIGO-Detektoren mit Armlängen von
zwei bzw. vier Kilometern stehen in Hanford im Bundesstaat Washington, ein
weiterer mit einer Armlänge von vier Kilometern arbeitet in Livingston im
Bundesstaat Louisiana.
Jeder Detektor besteht aus einem L-förmigen Laserinterferometer, dessen
Laserstrahl in zwei Teilstrahlen aufgespalten wird, die in den Armen des
Interferometers hin und her laufen. Die beiden Strahlen dienen dazu
Längenunterschiede zwischen den Armen präzise zu messen. Nach der allgemeinen
Relativitätstheorie wird ein Arm des Interferometers von einer durchquerenden
Gravitationswelle ein wenig gestreckt, während gleichzeitig der andere ein wenig
gestaucht wird. Das Interferometer ist so konstruiert, dass Längenänderungen
zwischen den beiden Armen von weniger als einem tausendstel des Durchmessers
eines Atomkerns gemessen werden können.
Aufgrund dieser außergewöhnlichen Genauigkeit können mit Hilfe der
Instrumente jetzt einige Modelle zur Entwicklung des frühen Universums getestet
werden, die davon ausgehen, dass ein stochastischer
Gravitationswellen-Hintergrund produziert wurde. "Da wir noch keinen
stochastischen Hintergrund beobachtet haben, können wir solche Modelle zum
frühen Universum ausschließen, die einen relativ starken stochastischen
Hintergrund voraussagen," erklärt Vuk Mandic von der Universität Minnesota. "Wir
wissen jetzt etwas mehr über die Parameter, die das Universum im Alter von
weniger als einer Minute beschreiben."
Er fährt fort: "Wenn kosmische Strings oder Superstrings existieren, so
müssen ihre Eigenschaften mit den Ergebnissen unserer Messungen übereinstimmen.
Dies bedeutet, dass Eigenschaften, wie z.B. die Spannung der Strings, stärker
eingegrenzt sind als zuvor. Das ist deshalb besonders interessant, da solche
Strings auch als 'fundamentale Strings' in vielen Stringtheorien auftauchen.
Unsere Messungen bieten also auch die Möglichkeit, Modelle der Stringtheorie zu
testen; das ist heutzutage eine sehr seltene Gelegenheit. Und für solche
maßgeblichen Resultate wurde LIGO entworfen."
Ab 2014 wird mit Advanced LIGO den Wissenschaftlern ein noch
deutlich empfindlicherer Detektor zur Verfügung stehen, von dessen Ergebnissen
sich die Forscher noch weitere Einschränkungen ihrer Modelle erhoffen. David
Reitze, Professor für Physik an der Universität Florida und Sprecher der LIGO
Scientific Collaboration ist überzeugt: "Gravitationswellen sind der einzige
Weg, das Universum im Moment seiner Entstehung zu beobachten; sie sind in dieser
Hinsicht absolut einzigartig. Es gibt schlicht und ergreifend keine andere Art
der Astronomie, die uns derartige Einblicke liefern kann. Deswegen ist dieses
Resultat im Besonderen und die Gravitationswellenastronomie im Allgemeinen so
aufregend!".
Maria Alessandra Papa, leitende Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) und Leiterin der gesamten LSC
Datenanalyse ergänzt: "Hunderte von Wissenschaftlern arbeiten intensiv daran, um
grundlegende Ergebnisse wie dieses zu erzielen: Die technisch orientierten
Wissenschaftler, die unsere Detektoren entwerfen, bauen und betreiben; die
Teams, die die Daten für die Suche nach astrophysikalischen Quellen aufbereiten
sowie die Daten-Analytiker, die empfindliche mathematische Verfahren entwickeln
und anwenden, um die sehr schwachen und flüchtigen Signale in den Datenströmen
zu finden."
Das LIGO-Projekt wird von der amerikanischen National Science Foundation
(NSF) finanziert. Es wurde entwickelt und wird betrieben vom California
Institute of Technology (CalTech) und dem Massachusetts Institute of
Technology (MIT) mit dem Ziel, Gravitationswellen direkt zu messen und die
Beobachtung von Gravitationswellen als astronomische Methode zu entwickeln. Die
Forschung wird von der LIGO Scientific Collaboration LSC durchgeführt,
einer Gruppe von rund 700 Wissenschaftlern aus 12 verschiedenen Ländern.
Zum Interferometer-Netzwerk der LIGO Scientific Collaboration
gehören die US-amerikanischen LIGO-Interferometer und der deutsch-britische
Gravitationswellendetektor GEO600. Er ist in der Nähe von Hannover angesiedelt
und wird von Forschern des AEI sowie von den britischen Universitäten Glasgow,
Cardiff und Birmingham betrieben. Die Virgo Collaboration hat das 3 km
lange Virgo-Interferometer in der Nähe von Cascina, Italien, entworfen und
gebaut. Zur Virgo Collaboration gehören 200 Wissenschaftler aus fünf
europäischen Ländern, vor allem aus Frankreich und Italien. Unterstützt werden
sie dabei vom niederländisch-französisch-italienischem European
Gravitational Observatory Consortium. Die LIGO Scientific Collaboration und
Virgo arbeiten zusammen, um gemeinsam die Daten der LIGO-, Virgo- und
GEO600-Interferometer zu analysieren.
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