Expedition zum Elgygytgyn-Kratersee
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Wien astronews.com
26. Mai 2009
Ein internationales Forscherteam ist jetzt aus der
sibirischen Arktis zurückgekehrt, wo es Bohrungen im Elgygytgyn-See durchgeführt
hat, der vor rund 3,6 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag
entstanden ist. Die Wissenschaftler erhoffen sich von der Auswertung der
Bohrkerne neue Erkenntnisse über den damaligen Einschlag sowie über die
Klimaentwicklung in der Region in den vergangenen Jahrtausenden.

Typische Impaktbrekzie: Die verschiedenen
Gesteine repräsentieren eine Mischung aus
mehreren hundert Metern Grundgestein vor dem
Meteoriteneinschlag.
Bild:
C. Koeberl, Universität Wien [Großansicht] |
Christian Koeberl, Leiter des Departments für
Lithosphärenforschung der Universität Wien, ist vor kurzem aus der sibirischen
Arktis zurückgekehrt. Er ist einer der Projektleiter des vor wenigen Wochen im
Rahmen des International Continental Scientific Drilling Program (ICDP)
durchgeführten Tiefbohrprojektes am Elgygytgyn-Kratersee. Ziel der Unternehmung
ist es, durch Analyse der Bohrkerne neue Erkenntnisse im Bereich der
Einschlagforschung, aber auch zur arktischen Klimaentwicklung zu gewinnen.
Der Elgygytgyn-See ist vor rund 3,6 Millionen Jahren durch einen
Meteoriteneinschlag entstanden. Der Krater und der darin befindliche See sind
aus zwei Gründen für die Forschung interessant: Erstens handelt es sich um den
einzigen bisher bekannten Meteoritenkrater in sauren vulkanischen Gesteinen und
bietet daher die Möglichkeit, Einschlageffekte an solchen Gesteinen zu
untersuchen. Das ist für die vergleichende Planetenforschung von großem
Interesse.
Zweitens handelt es sich bei den mehr als 300 Meter langen
Seesedimenten um ein einzigartiges Archiv der bisher wenig bekannten
Klimageschichte in der Arktis. Die Auswertung der Daten wird zu einem besseren
Verständnis von Ursache- und Wirkungsbeziehungen für Klimaveränderungen
beitragen. Diese Prognosen sind für die zukünftige Klimaentwicklung von großer
Bedeutung.
Das extrem aufwendige Bohrprojekt wurde Anfang Mai erfolgreich abgeschlossen.
Wie erhofft wurden unter den Seesedimenten tatsächlich sogenannte Impaktbrekzien,
also typische Spuren des damaligen Meteoriteneinschlags, erbohrt. Direkt unter
den Seesedimenten befindet sich eine mehrere Dutzend Meter mächtige Schicht aus Trümmern verschiedener Gesteinsarten,
die mit einer feinkörnigen
Matrix zementiert sind. Solche Gesteine kennt man auf der Erde nur von Meteoritenkratern. Unter dieser
Schicht fand sich zerrüttetes vulkanisches
Grundgebirge, das während des Meteoriteneinschlags geschockt, zerbrochen und
hochgehoben wurde.
Bei der Bildung des Zentralbergs, der für einen Krater
dieser Größe auf der Erde typisch ist, federt tief liegendes Gestein zur
Oberfläche und erstarrt. Krater mit Zentralbergen nennt man auch "komplexe" Impaktkrater. In weniger als einer Minute hebt sich ein Berg von mehreren
Kilometern Durchmesser um mehr als einen Kilometer aus dem Boden. Mit den über
200 Metern Impaktbrekzien, die bei der Bohrung gewonnen wurden, wird der Prozess
des Meteoriteneinschlags genau untersucht werden können. Insgesamt wurde im
Rahmen dieses Projektes eine Bohrtiefe von 517,3 Meter unter dem Seeboden, bzw.
von der Oberfläche von 687,3 m erreicht.
Die Bohrkerne werden im Juni von der Stadt Pevek
am Eismeer mittels Charterflugzeug nach St. Petersburg gebracht. Dort beginnt
der lange Prozess der Ausfuhrgenehmigungen. Im Herbst 2009, so die Planung, werden die
Bohrkerne in Deutschland eintreffen, von wo aus die weiteren Untersuchungen
koordiniert werden. Die Gesamtauswertung benötigt mehrere Jahre.
In Österreich
werden unter der Leitung von Impaktforscher Christian Koeberl die Impaktgesteine
für das gesamte internationale Projekt bearbeitet. Neben der genauen Studie der geschockten
Vulkanite, wird die Natur des Asteroiden, der den Krater gebildet hat,
analysiert. Darüber hinaus wird man eine Aussage über die Energieverhältnisse
beim Einschlag, und daher über die Auswirkungen des Einschlages auf die Umwelt,
machen können.
Das Forscherteam hatte am 14.
April 2009 bei einer Tiefe von rund 312 Meter
unter dem Seeboden (482 Meter Gesamttiefe) den Übergang zwischen den
Seesedimenten und den Impaktgesteinen - und damit den Zeitmarker von 3,6
Millionen Jahren - erreicht. Diesem wichtigen Etappensieg in dem Projekt ging ein langer
und schwieriger Weg voraus: Allein für die wissenschaftliche Planung, die
Finanzierungsanträge, und die Beschaffung der nötigen Bewilligungen wurden acht
Jahre benötigt.
Vor Ort stellte sich dann beispielsweise heraus, dass man die Eisdecke
über dem 170 Meter tiefen See für die etwa 75 Tonnen schwere Bohrplattform und
den verschiedenen Bulldozer und anderen Gefährten verstärken musste. Es wurde
Seewasser an die Eisoberfläche gepumpt, wo es dann auf Grund der niedrigen
Temperaturen erstarrte. Mehrere hundert Tonnen Ausrüstung mussten teilweise von
Übersee in diesen sehr entlegenen Teil Sibiriens gebracht werden.
Die
nächstgelegene Stadt ist Pevek am arktischen Ozean, 350 Kilometer von der Bohrplattform
entfernt. Dort gibt es einen Flughafen und Hafen - ersterer wird allerdings nur
alle zwei Wochen (von Moskau aus) angeflogen, letzterer ist nur drei Monate im
Sommer offen, ansonsten zugefroren. Im Sommer 2008 wurde bereits die gesamte
Bohranlage nach Pevek verschifft. Temperaturen von bis zu minus 30 Grad Celsius und Stürme mit
bis 100 Kilometern pro Stunde, die dann zu gefüllten Temperaturen von minus 50
Grad Celsius führten,
erschwerten die Arbeiten.
Der größte Teil der Ausrüstung wurde über Land auf
einer speziell errichteten "Schneepiste" zum Kratersee gebracht, während
Personal und Wissenschaftler sowie spezielle Geräte mit dem
Lastenhubschrauber von Pevek eingeflogen wurden. Jeder der bisher etwa 15 Flüge
kostete etwa 13.000 Euro. Insgesamt ergaben sich Kosten von etwa 10 Millionen
US-Dollar für die Bohrung. Darin sind die ab jetzt mehrere Jahre dauernden
wissenschaftlichen Untersuchungen der erhaltenen Bohrkerne noch nicht
enthalten.
An den Kosten beteiligten sich neben dem ICDP, die US-amerikanische National Science Foundation,
das deutsche Bundesministerium für Bildung und
Forschung sowie das österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Weitere Projektpartner sind
Prof. Julie Brigham-Grette (University of Massachusetts-Amherst, USA), Prof.
Martin Melles (Universität Köln, Deutschland) und Dr. Pavel Minyuk (Russische
Akademie der Wissenschaften, Magadan, Russische Föderation).
|