Ein zweites Tunguska verhindern
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
26. Juni 2008
Vor 100 Jahren, am 30. Juni 1908, explodierte in der
Abgeschiedenheit Sibiriens ein Asteroid, der mit bis zu siebzigtausend
Kilometern pro Stunde in die Erdatmosphäre eingedrungen war. Solche Einschläge
sind zwar selten, könnten sich aber jederzeit wieder ereignen. Am Deutschen
Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sucht man nach Möglichkeiten einen
Einschlag in der Zukunft zu verhindern.
Umgeknickte Bäume im Gebiet des Flusses
"Steinige Tunguska".
Bild: DLR / Russ. Akademie der
Wissenschaften / L. Kulik |
Der Gesteinsbrocken, der vor 100 Jahren mit der Erde kollidierte, hatte einen
Durchmesser von etwa 30 bis 50 Metern. Er explodierte in acht bis zwölf
Kilometern Höhe am Fluss "Steinige Tunguska" und erzeugte eine auf den Boden
gerichtete Druckwelle, die mit der Sprengkraft von mehreren hundert
Hiroshima-Atombomben auf mehr als 2000 Quadratkilometern zwischen 60 und 80
Millionen Bäume umknickte. Eine Fläche von der doppelten Größe Berlins wurde
durch das Tunguska-Ereignis verwüstet.
"Längst ist bekannt, dass kleine Körper aus dem inneren und äußeren Sonnensystem
zu einer potenziellen regionalen oder gar globalen Bedrohung für die Erde werden
können", sagt Dr. Ekkehard Kührt, Leiter der Abteilung Kleine Körper am
DLR-Institut für Planetenforschung. "Zwar besteht derzeit kein unmittelbares
Risiko, aber die wissenschaftliche Grundlagenarbeit und Überlegungen zu
Abwehrmaßnahmen nehmen einen immer größeren Raum in der Erforschung unseres
Sonnensystems ein, zumal man mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln eine
Gefahr abwenden könnte, wenn man rechtzeitig von ihr weiß."
Besonderes Interesse wecken diejenigen Asteroiden und Kometen, deren
Umlaufbahnen um die Sonne nahe dem Orbit der Erde liegen und die daher als
"erdnahe Objekte" (englisch "Near-Earth Objects" oder NEOs) bezeichnet werden.
NEOs werden in internationaler Zusammenarbeit intensiv beobachtet, um die
Gefahren, die der Erde aus dem All drohen, abschätzen und bei einer drohenden
Kollision Abwehrmaßnahmen treffen zu können. Das DLR-Institut für
Planetenforschung berichtet in regelmäßigen Abständen über deutsche
Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der NEOs vor dem Komitee für die Friedliche
Nutzung des Fernen Weltraums (COPUOS) der Vereinten Nationen.
Einschläge von Asteroiden und Kometen auf der Erde und anderen Planeten sowie
ihrer Monde sind seit Anbeginn des Sonnensystems vor viereinhalb Milliarden
Jahren ganz natürliche Vorgänge. Die vielen Krater auf Merkur, Mond und Mars
zeugen davon. Millionenfach dringen tagtäglich kleine Staubteilchen und
Gesteinspartikel in die Erdatmosphäre ein, doch wegen der hohen Geschwindigkeit
erhitzen sie sich so stark, dass sie verglühen und häufig als Sternschnuppen
oder Feuerkugeln beobachtet werden können. Sehr viel seltener kommt es zu
Einschlägen, so genannten Impakten, die in der Erdoberfläche einen Krater
hinterlassen – so geschehen vor 15 Millionen Jahren, als ein kilometergroßer
Brocken in die Schwäbischen Alb einschlug und einen Krater schuf, der heute als
Nördlinger Ries weltbekannt ist.
Sogar die Entwicklung der Säugetiere und damit letztlich auch die Evolution des
Menschen ist einem Asteroideneinschlag zu verdanken: Vor 65 Millionen Jahren
löschte ein Mega-Impakt die Dinosaurier aus und begünstigte somit den Aufstieg
der Säugetiere. Derartig gewaltige Impakte, die ganze Kontinente verwüsten, zu
globalen Klimakatastrophen führen und das Biosystem verändern können, ereigneten
sich in der Erdgeschichte nur im Abstand von mehreren hundert Millionen Jahren.
Ein Ereignis in der Dimension, wie es 1908 über Sibirien hereinbrach, kann sich
nach Modellrechnungen theoretisch nach einigen Jahrhunderten wiederholen. Käme
es heute zu einem ähnlichen Ereignis über besiedeltem Gebiet, wären die Folgen
katastrophal – mit Hunderttausenden von Todesopfern müsste gerechnet werden.
Würde sich die Explosion oder der Einschlag über den Ozeanen ereignen, könnten
Tsunamis entstehen, deren Wucht die Küstenlinien ganzer Kontinente und die dort
liegenden Städte verwüsten würde. Die ökonomischen Folgen würden globale Krisen
nach sich ziehen.
"Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, den Einschlag eines kleinen Körpers zu
verhindern", erklärt Dr.-Ing. Christian Gritzner von der Raumfahrt-Agentur des
DLR in Bonn. "Man kann entweder versuchen, das Objekt zu zerstören, oder es auf
eine Bahn zu lenken, die ungefährlich ist." In seiner Dissertation am DLR hat
Dr.-Ing. Ralph Kahle nachgewiesen, dass es bei einer Vorwarnzeit von mindestens
zehn Jahren meist ausreicht, mit einer oder mehreren Sonden auf den potenziellen
Impaktor zu zielen. Durch das dabei weggeschleuderte Material wird ein Impuls
erzeugt, der groß genug für eine ausreichende Bahnänderung ist.
Erst 2007 hat die NASA die Zündung nuklearer Sprengsätze in Modellen simuliert.
Zwar könnte dadurch ein vielfach höherer Impuls als durch einen
Satellitenaufprall erzeugt werden, doch bestehen zweierlei Risiken: Zunächst
müsste das spaltbare Material sicher von der Erde gestartet werden, außerdem
könnte bei einem Körper, dessen innerer Zusammenhalt gering ist (wie es bei
vielen Kometen der Fall sein dürfte) dazu führen, dass am Ende das Objekt in
viele kleine Bruchstücke zerfällt, von denen einige in die Erdatmosphäre
eindringen und es dann zu einem Schrotflinten-Effekt kommt, dessen Auswirkungen
unvorhersehbar wären.
Erst vor kurzem beschloss das DLR, einen Kleinsatelliten zu entwickeln, der aus
der Erdumlaufbahn mit einem kleinen Teleskop Asteroiden aufspüren soll, deren
Bahnen sich vollständig innerhalb des Erdorbits befinden. "Modellrechnungen
sagen, dass es mehr als tausend Objekte mit Durchmessern größer als hundert
Meter innerhalb der Erdbahn gibt", erklärt Ekkehard Kührt. Da erst neun dieser
"Inner-Earth Objects" (IEOs) gefunden werden konnten, ist es wichtig, diese
potentiellen Gefahrenquellen zu identifizieren – möglichst, bevor sie durch
Gravitationsstörungen etwa der Venus auf Kollisionskurs mit der Erde geraten.
Das Aufspüren und die Beobachtung von IEOs gestaltet sich von der Erde aus
besonders schwierig, da sich solche Objekte, wie auch die Planeten Venus und
Merkur, zwischen Erde und Sonne befinden und daher immer nur kurz vor
Sonnenaufgang beziehungsweise kurz nach Sonnenuntergang beobachtet werden
können.
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