Verwandter einer Aminosäure im All aufgespürt
Redaktion /
Pressemitteilung des MPIfR astronews.com
26. März 2008
Radioastronomen haben den nahen Verwandten einer Aminosäure
nahe des Zentrums der Milchstraße aufgespürt. Die Wissenschaftler
identifizierten den Stoff Aminoacetonitril mit insgesamt drei verschiedenen
Radioteleskopen. Sie hoffen nun, dass es bald gelingen wird, auch noch
komplexere organische Moleküle im Weltall nachzuweisen.

Struktur von Aminoacetonitril.
Bild:
Sven Thorwirth, MPIfR |
Mit einer 30-Meter-Antenne in der spanischen Sierra Nevada und zwei Radioteleskop-Netzwerken in Frankreich und Australien haben Forscher des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie erstmals den nahen Verwandten einer Aminosäure aufgespürt: Aminoacetonitril. Das organische Molekül fand sich in der
"Heimat der großen Moleküle", einer gigantischen Gaswolke nahe des galaktischen Zentrums im Sternbild Schütze.
Die Wissenschaftler berichten über ihren Fund in einer kommenden Ausgabe der
Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
Die "Heimat der großen Moleküle" erscheint als sehr dichter, heißer Gasklumpen innerhalb des Sternentstehungsgebiets Sagittarius B2. In diesem Klumpen von gerade einmal 0,3 Lichtjahren Durchmesser, der von einer tief im Innern verborgenen jungen Sonne aufgeheizt wird, fanden sich die meisten der bisher im Weltraum nachgewiesenen organischen Moleküle - darunter so komplexe Verbindungen wie Äthylalkohol, Formaldehyd, Ameisensäure, Essigsäure, Glykolaldehyd und Äthylenglykol.
Von 1965 bis heute wurden mehr als 140 verschiedene Moleküle im Weltall identifiziert, sowohl in interstellaren Wolken als auch in ausgedehnten Hüllen um Sterne. Ein Großteil davon ist organisch, das heißt, auf Kohlenstoffbasis aufgebaut. Besonders intensiv fahnden die Forscher nach sogenannten Biomolekülen - und dabei speziell nach Aminosäuren, den unabdingbaren Bausteinen des Lebens. Aminosäuren ließen sich bereits in Meteoriten auf der Erde nachweisen, nicht aber im interstellaren Raum.
Nach der einfachsten Aminosäure Glycin (NH2CH2COOH) wurde in kosmischen Quellen bereits lange, doch bisher vergeblich gesucht. Angesichts dieser Schwierigkeiten konzentrierte sich die Fahndung auf Aminoacetonitril (NH2CH2CN), einen chemischen Verwandten und möglichen direkten Vorläufer von Glycin.
So nahmen die Wissenschaftler des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie die
"Heimat der großen Moleküle" ins Visier und durchforsteten mit dem IRAM 30-Meter-Teleskop in Spanien einen dichten Wald von 3.700 Spektrallinien komplexer Moleküle.
Atome und Moleküle leuchten nur bei ganz speziellen Frequenzen, die als charakteristische Linien im Spektrum der Gesamtstrahlung auftreten.
Durch die Analyse solcher Spektrallinien lässt sich aus der Radiostrahlung einer kosmischen Wolke auf deren chemische Zusammensetzung schließen. Je komplexer ein Molekül, desto mehr Möglichkeiten hat es, seine interne Energie abzustrahlen. Deshalb emittieren komplexe Moleküle sehr viele Spektrallinien, die allerdings alle recht schwach sind und sich daher im
"Linien-Dschungel" schwer identifizieren lassen.
"Trotzdem gelang es uns schließlich, 51 sehr schwache Linien eindeutig dem Molekül Aminoacetonitril zuzuordnen", sagt Arnaud Belloche, Max-Planck-Wissenschaftler und Erstautor der Publikation in
Astronomy & Astrophysics. Bestätigt wurde das Ergebnis bei zehnfach höherer räumlicher Auflösung durch Beobachtungen mit zwei Radioteleskop-Netzwerken: dem
Plateau-de-Bure Interferometer in Frankreich sowie dem Australia Telescope Compact Array. Mit diesen Messungen zeigten die Forscher, dass alle registrierten Linien tatsächlich vom selben Ort innerhalb der
"Heimat der großen Moleküle" stammen. Belloche sieht das als "zwingenden Beweis für die Glaubwürdigkeit unserer Identifikation".
"Die Entdeckung von Aminoacetonitril hat unser Verständnis der chemischen Vorgänge in dichten, heißen Sternentstehungsgebieten deutlich erweitert. Ich denke, wir werden in Zukunft viele weitere, noch komplexere organische Moleküle im interstellaren Gas nachweisen können",
ist auch Karl Menten, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie und
Leiter der Forschungsgruppe "Millimeter- und Submillimeterastronomie",
überzeugt. "Mehrere Kandidaten haben wir schon!"
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