Wenn Weiße Zwerge einen Kick bekommen
von Stefan Deiters astronews.com
5. Dezember 2007
Kugelsternhaufen gehören zu den ältesten Objekten unserer
Milchstraße und bestehen aus Sternen, die alle zur selben Zeit entstanden sind.
Astronomen dachten bislang, dass sie die Entwicklung dieser Sternhaufen und die
Verteilung der Sterne darin relativ gut verstanden hätten, bis sie mithilfe des
Weltraumteleskops Hubble Weiße Zwerge an einer Stelle entdeckten, an
der sie eigentlich gar nicht sein sollten.

Der
Kugelsternhaufen NGC 6397 (links von der Erde
aus) und einige der von Hubble entdeckten Weißen
Zwerge (rechts). Bild:
NASA, ESA und H. Richer (University of British
Columbia, Hubble-Bild) / D. Verschatse (Antilhue
Observatory, Chile, bodengestützte Aufnahme) [Großansicht] |
Von den Vorgängen in Kugelsternhaufen, die zu den ältesten Objekten
in unserer Milchstraße zählen, hatten Astronomen eigentlich eine recht klare
Vorstellung: In diesen oft viele Milliarden Jahre alten Ansammlungen von 100.000
bis zu einer Millionen Sternen haben sich die Sonnen im Laufe der Zeit
säuberlich gemäß ihrer Masse angeordnet: Massereichere Sterne finden sich
häufiger im Zentrum der Haufen, "leichtere" Exemplare in den äußeren Regionen.
Astronomen nennen dies Massensegregation.
Soweit die Theorie. Mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble entdeckten
Astronomen aber nun, dass sich im Kugelsternhaufen NGC 6397 vor allem junge
Weiße Zwerge am Rande des Haufens aufhalten. "Die Verteilung der jungen Weißen
Zwerge war damit genau das Gegenteil von dem, was wir erwartet hatten", erklärt
Harvey Richer von der University of British Columbia in Vancouver. "Um das zu
erklären, vermuten wir, dass alte Sterne, die zu Weißen Zwergen werden, eine Art
Kick bekommen, der sie mit Geschwindigkeiten von drei bis fünf Kilometern pro
Sekunde in die äußeren Bereiche des Sternhaufens katapultiert."
Richer glaubt, dass die Sterne sich selbst beschleunigen, indem sie Materie
ungleichförmig ins All abblasen. Das kann beispielsweise in der Roten
Riesenphase eines Sterns passieren, während der ein Stern oft die Hälfte seiner Masse
verliert. Geschieht das nicht in alle Richtungen gleichmäßig, wird der
Stern beschleunigt. Bei planetarischen Nebeln, einem Zwischenstadium zwischen
Roter Riesenphase und Weißer Zwerg-Phase hätte man, so Richer, schon häufiger
ungleichförmige Massenauswürfe und auch gebündelte Teilchenstrahlen, sogenannte
Jets, entdeckt.
Die Idee, dass Weiße Zwerge bei ihrer Entstehung einen "Kick" bekommen, ist
nicht neu: Schon vor rund 30 Jahren wurde diese Theorie vorgeschlagen, um zu
erklären, warum sich so wenig Weiße Zwerg in offenen Sternhaufen befinden. Vor
einigen Jahren dann zeigten Computersimulationen, dass ein Kick tatsächlich als
Erklärung in Frage kommen könnte. Nur sind Kugelsternhaufen deutlich
massereicher als offene Sternhaufen und die Frage ist, ob das, was bei offenen
Sternhaufen funktioniert auch ausreichen kann, um die jetzigen Beobachtungen in
Kugelsternhaufen zu erklären.
Auf das Problem aufmerksam wurde Richer und seine Kollegen in dem 11,5
Milliarden Jahre alten und 8.500 Lichtjahre von uns entfernten Kugelsternhaufen
NGC 6397, einem von rund 150 bekannten Kugelsternhaufen der Milchstraße. Das
Team untersuchte 22 junge Weiße Zwerge, die jünger als 800 Millionen Jahre alt
waren und 62 ältere Weiße Zwerge, deren Alter zwischen 1,4 und 3,5 Milliarden
Jahren lag. Jüngere Weiße Zwerge sind heißer und somit blauer und heller als
ältere Vertreter und lassen sich daher unterscheiden.
Die älteren Weißen Zwerge in dem Haufen verhielten sich genauso, wie die
Astronomen erwartet hatten: Sie waren entsprechend ihrer Masse im Haufen
verteilt, die massereicheren unter ihnen fanden sich also vermehrt im Zentrum.
Bei den jungen Weißen Zwergen sah es jedoch anders aus: Sie befanden sich
überwiegend am Rand des Haufens. Da ihre Vorgängersterne die schwersten Sonnen
in dem Sternhaufen waren, hätten sie sich eigentlich überwiegend im Zentrum
aufhalten müssen. Um diese Verteilung zu erklären, müssen sie bei ihrer Entstehung
also eine Art
"Kick" bekommen haben.
"Als wir die Verteilung und die Unterschiede erstmals in eine Grafik
eingetragen hatten, dachten wir 'du meine Güte, was ist denn da passiert'",
erinnert sich Saul Davis, Doktorand an der University of British Columbia.
"Lange Zeit dachten wir, wir hätten einen Fehler gemacht, aber was wir auch
anstellten, das Ergebnis blieb immer gleich."
Das Team hat diverse andere Erklärungsmöglichkeiten für den Fund erwogen,
konnte aber alle - teilweise auch nach Durchführung von Computersimulationen -
ausschließen. Das Kick-Szenario ist somit die einzige Erklärung die übrig bleibt.
Die Astronomen veröffentlichen ihre Ergebnisse in der Januar-Ausgabe der
Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society und hoffen in
Zukunft noch andere Kugelsternhaufen nach Weißen Zwergen an unerwarteten Orten
absuchen zu können.
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