Europäische Experimente im Erdorbit
Redaktion /
ESA-Pressemitteilung astronews.com
20. September 2007
Nicht nur an Bord der ISS werden derzeit im Orbit
Experimente durchgeführt: Seit Ende der vergangenen Woche kreist die Raumkapsel
Foton-M3 um die Erde. An Bord befinden sich über 40 europäische
Experimente aus den unterschiedlichsten Fachgebieten. Die Kapsel soll in der
kommenden Woche wieder in der russisch-kasachischen Steppe landen.
Vorbereitung der Foton-M3-Kapsel in Baikonur.
Foto:
ESA / S. Corvaja [Großansicht] |
Die unbemannte Foton-Kapsel mit mehr als 40 ESA-Experimenten an Bord wurde
am vergangenen Freitag um 13 Uhr MESZ mit einem Sojus-U-Träger vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan aus erfolgreich gestartet. Knapp neun Minuten später
wurde die russische Foton-M3-Kapsel von der Oberstufe ihres Trägers abgetrennt
und in 300 Kilometern Höhe auf ihre Umlaufbahn gebracht, auf der sie die Erde alle 90
Minuten umrunden wird.
Die Foton-Kapsel wird insgesamt zwölf Tage im Weltraum
bleiben. Die auf ihr mitgeführten Experimente werden in diesem Zeitraum der
Schwerelosigkeit und in einigen Fällen auch den extremen Bedingungen des
Weltraums ausgesetzt sein. Nach dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre soll die
Kapsel in einem Steppengebiet nahe der russisch-kasachischen Grenze landen.
Die
europäischen Nutzlasten mit einer Gesamtmasse von 400 Kilogramm enthalten Experimente,
die zu Fortschritten in mehreren Forschungsbereichen beitragen dürften. Die
wissenschaftlichen Experimente entstammen zahlreichen Fachgebieten: Fluidphysik,
Biologie, Wachstum von Proteinkristallen, Meteoritenforschung,
Strahlungsdosimetrie und Exobiologie (eventuelle außerirdische Lebensformen).
Von den technologiebezogenen Experimenten hingegen erhofft man sich
wirtschaftlichere Ölgewinnungsverfahren, bessere Halbleiterlegierungen und
effizientere Thermalkontrollsysteme.
"Die Foton-Mission ist Teil des
ESA-Programms für lebenswissenschaftliche und physikalische Grundlagen- und
angewandte Forschung im Weltraum", so Josef Winter, Leiter der ESA-Abteilung für
Nutzlasten und Schwerelosigkeitsforschungsplattformen. "Diese Mission bietet
europäischen Forschern eine wertvolle Gelegenheit, noch vor der Bereitschaft des
von der ESA gelieferten ISS-Labormoduls Columbus eine breite Palette an
Experimenten unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit durchzuführen. Bei der
Mission Foton-M3 werden 43 wissenschaftliche und technologische Nutzlasten
mitgeführt, die von der ESA, Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien und
Kanada bereitgestellt wurden, sowie eine Reihe russischer Experimente."
Zu den
etwas ungewöhnlicheren europäischen Nutzlasten zählt das von der ESA und dem DLR
gelieferte Experiment Aquahab, mit dem ein aquatischer Lebensraum hergestellt
wird, um die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf einen einzelligen Organismus,
das Augentierchen Euglena gracilis, sowie eine kleine Buntbarschart zu
beobachten (astronews.com berichtete). Die Nutzlast Biobox besteht aus zwei programmierbaren Brutschränken
für fünf zellbiologische Experimente. Drei davon werden zur Erforschung der
Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf knochenbildende und knochenabbauende
Zellen verwandt, ein viertes dient der Untersuchung der schädlichen Folgen der
Weltraumstrahlung für das Hautgewebe, während das fünfte unser Verständnis von
den Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf Bindegewebszellen verbessern soll.
Das
gemeinsam von der ESA und der Kanadischen Raumfahrtagentur durchgeführte Projekt Eristo/Osteo baut ebenfalls auf zwei Brutschränken auf. Die beiden identischen
Versuchseinrichtungen umfassen je vier temperaturgeregelte Experimentaufbauten,
mit denen die Auswirkungen von Medikamenten und Wachstumsfaktoren auf Vorgänge
in Knochenzellen getestet und bewertet werden. Mit dem französisch-belgischen
Experiment TEPLO sollen die Leistung und die Eigenschaften neuer
Wärmerohrkonzepte in der Schwerelosigkeit gemessen werden - eine Technologie,
die das Gewicht und die Komplexität der in der Raumfahrt eingesetzten
Thermalkontrolluntersysteme erheblich reduzieren könnte.
An der Außenwand der
Kapsel ist die von mehreren Nutzern einsetzbare Versuchseinrichtung Biopan
angebracht, die ihre zehn Experimente während der Mission automatisch den harten
Bedingungen des Weltraums aussetzen wird. Auf dem Hitzeschild der Foton-Kapsel
sind die Experimente Stone-6 und Lithopanspermia befestigt, anhand derer
Gesteinsbrocken mit lebenden Organismen den extremen Temperaturen und Drücken
beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre ausgesetzt werden.
Ebenfalls an der Kapselaußenwand, diesmal am Batteriemodul montiert, befindet
sich das ehrgeizige Experiment YES2 (Young Engineers' Satellite). Die 36
Kilogramm-Nutzlast wurde von etwa
450 Studenten aus den ESA-Mitglied- und anderen Staaten gemeinsam mit dem
Hauptauftragnehmer Delta-Utec unter der Leitung des ESA-Büros für
Bildungsmaßnahmen konzipiert und gefertigt. Wenn sich die Foton-Mission am 25.
September ihrem Ende nähert, wird YES2 eine 30 Kilometer lange Schnur ausfahren - die
längste, die je im Weltraum mitgeführt wurde. Mit einer kleinen
wiedereintrittsfähigen Kapsel am Ende dieser Schnur soll die Möglichkeit einer
Rückführung kleiner Nutzlasten auf die Erde demonstriert werden, und zwar zu
einem Bruchteil der für die herkömmlichen Verfahren erforderlichen Kosten.
Die Foton-Kapseln beruhen auf der russischen Wostok-Kapsel,
in der Juri Gagarin im Jahr 1961 als erster Mensch die Erde umrundete. Sie
bestehen aus drei Teilen: vorne einem Batteriemodul, in der Mitte einer
kugelförmigen, bergungsfähigen Kapsel und hinten einem Dienstemodul. Die ESA
nimmt an den Foton-Missionen seit 1991 teil. Foton-M3 ist bereits die neunte
unter Mitwirkung der ESA in Angriff genommene Mission.
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