Alter Galaxienhaufen im jungen Universum
Redaktion
astronews.com
2. März 2005
Einem internationalen Forscherteam gelang mit Hilfe des europäischen
Röntgensatelliten XMM-Newton und dem Very Large Telescopes der
Europäischen Südsternwarte in Chile eine vielleicht bahnbrechende Entdeckung:
Sie spürten im jungen Universum einen "alten" Galaxienhaufen auf. Bislang hatten
die Astronomen angenommen, dass sich solche Strukturen erst sehr viel später
entwickeln konnten.
Der entfernte, massereiche Galaxienhaufen XMMU J2235.3-2557
(z=1.393) zu dem Zeitpunkt, als das Universum weniger als 5
Milliarden Jahre alt war und etwa ein Drittel seines heutigen
Alters erreicht hatte. Das Bild zeigt eine Überlagerung von
Beobachtungen in verschiedenen Spektralbereichen: Die Konturen
der XMM-Newton-Röntgenbeobachtung sind gelb eingezeichnet, die
ESO-VLT-Beobachtungen sind rot und grün für optische
Wellenlängen und blau für das Nah-Infrarot unterlegt. Die
kleinen roten Objekte sind alte, zu diesem Haufen gehörende
Galaxien, die kontinuierliche Röntgenemission stammt von dem
extrem heißen Gas zwischen den Galaxien. Bild: ESO [Großansicht] |
Mit Hilfe der weltweit größten optischen Teleskope und Röntgensatelliten haben
Astronomen des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) in
Garching in Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam den bisher am
weitesten entfernten massereichen Galaxienhaufen entdeckt. Das riesige
Galaxiensystem befindet sich in neun Milliarden Lichtjahren von der Erde, was
etwa 85.100.000.000.000.000.000.000 Kilometern entspricht, und besitzt eine
mehrere hundert Billionen Mal größere Masse als unsere Sonne.
Besonders
überrascht die Wissenschaftler, ein so massereiches Objekt bereits zu dieser
frühen Zeit im noch jungen Universum zu finden. Bis vor kurzem gingen Kosmologen
davon aus, dass sich solch komplexe Strukturen erst wesentlich später in der
kosmischen Entwicklung gebildet haben.
Unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, befindet sich in einer vergleichsweise
wenig bevölkerter kosmischen Umgebung. Im Gegensatz dazu gibt es spezielle
Regionen im All, in denen sich einige Hundert bis mehrere Tausende Galaxien
vergleichbar der Milchstraße konzentrieren, die über ihre wechselseitige
Anziehungskraft aneinander gebunden sind.
Diese Systeme werden Galaxienhaufen
genannt und bilden die größten und massereichsten Objekte im Universum - sie
sind fundamentale "Marksteine" der größten Strukturen im Kosmos. Darüber hinaus
gibt ihre Anzahl und das Muster ihrer Verteilung im Weltraum Auskunft über die
"Architektur" sowie die Entwicklung des gesamten Universums selbst.
Galaxienhaufen enthalten außer den im sichtbaren Licht beobachtbaren Galaxien
auch noch große Mengen extrem heißen Gases, das bei einer Temperatur von bis zu
100 Millionen Grad vor allem Röntgenstrahlung aussendet. Dieses Röntgenlicht war
es auch, dass die Astronomen auf die Fährte des neu entdeckten Objekts geführt
hatte. Bei der systematischen Auswertung am Astrophysikalischen Institut Potsdam
(AIP) einer langen, mehr als zwölfstündigen Beobachtung einer nahen Galaxie mit
dem weltweit größten Röntgenobservatoriums XMM-Newton der europäischen
Weltraumbehörde ESA entdeckten die Wissenschaftler im äußeren Teil des
Gesichtfeldes eine sehr schwache Quelle.
Obwohl Galaxienhaufen neben den Quasaren die leuchtkräftigsten Röntgenstrahler
sind, wurden nur 280 Photonen, im Schnitt also nur alle 2,5 Minuten ein
Lichtteilchen, von XMM-Newton aufgefangen, ein erstes Indiz für die
extreme Entfernung zu diesem Objekt. Zum Vergleich: Beim Anblick einer in der
Entfernung des Mondes platzierten herkömmlichen 100 Watt-Glühbirne würden unsere
Augen etwa die gleiche Anzahl Lichtteilchen sammeln.
Der Anfangsverdacht der
Forscher wurde schließlich durch optische Beobachtungen an einem der 8,2 Meter
Teleskope des Very Large Telescope (VLT) des European Southern
Observatory (ESO) in Chile bestätigt. Die Wissenschaftler konnten anhand der
Verschiebung der spektralen Merkmale der Galaxien zeigen, dass sich der neue
Rekordhalter in einer Entfernung, gemessen über die Lichtlaufzeit, von 9
Milliarden Lichtjahren befindet, was einer Rotverschiebung von 1,4 entspricht.
Da sich das Licht mit einer endlichen Geschwindigkeit von 300.000 Kilometern pro
Sekunde durch die Weiten des Alls bewegt, können die Astronomen eine Art
"kosmische Archäologie" betreiben. Während sie Licht von weit entfernten
Objekten sammeln, schauen sie gleichzeitig in die Vergangenheit und sehen eine
Momentaufnahme des Universums zu einem früheren Zeitpunkt. So sehen wir
beispielsweise den Mond wie er vor einer Sekunde aussah, die Sonne zum Zeitpunkt
vor acht Minuten und den Saturn im Zustand von vor einer guten Stunde.
Auf Grund
der enormen Entfernung des neu entdeckten Objektes wird dieser "Blick in die
Vergangenheit" extrem: "Durch Einfangen des Lichts des Galaxienhaufens, das seit
9 Milliarden Jahren auf dem Weg zu uns ist, sehen wir ein Bild des Universums im
Jugendalter, zu einem Zeitpunkt, als es weniger als 5 Milliarden Jahre alt war,
also nur etwa ein Drittel des heutigen Alters erreicht hatte", erklärt Dr. Chris Mullis von der University of Michigan. "Die optischen Bilder des Very
Large Telescopes zeigen ganz Erstaunliches", fügt ESO-Astronom Dr. Piero
Rosati hinzu. "Schon in dieser frühen Periode der kosmischen Geschichte sehen
wir diese riesige und vollentwickelte Struktur. Das bedeutet, dass wir es mit
einem alten Galaxienhaufen in einem jungen Universum zu tun haben."
Der neu entdeckte Galaxienhaufen ist für die Forscher eine Art riesiges Labor,
mit dessen Hilfe sich konkurrierende Theorien zur Strukturentstehung und
-entwicklung im Universum direkt testen lassen. Aus diesem Grund werden derzeit
weitere detaillierte Beobachtungen des Rekordobjekts mit bodengebundenen
Großteleskopen sowie Weltraumobservatorien durchgeführt.
Diese Entdeckung
motiviert uns, gezielt nach weiteren extrem entfernten Galaxienhaufen zu
suchen", kommentiert Dr. Hans Böhringer (Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Phyisk, MPE) und gibt einen abschließenden Ausblick: "Die
Ergebnisse unserer systematischen Suche und der weiterer zukünftiger Experimente
auf diesem Gebiet werden letztendlich die fundamentalen Parameter unseres
Universums stark eingrenzen."
Das Forscherteam, bestehend aus Chris Mullis (University of Michigan), Piero
Rosati (ESO), Georg Lamer (AIP), Hans Boehringer (MPE), Axel Schwope (AIP),
Peter Schuecker (MPE) und Rene Fassbender (MPE), wird seine bahnbrechende
Entdeckung in der nächsten Ausgabe der Fachzeitschrift Astrophysical Journal
Letters veröffentlichen.
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