Chandra entdeckt verschwundene Materie
von Rainer Kayser
3. Februar 2005
Dunkle Materie ist nicht dunkle Materie: So ist Astronomen beispielsweise
klar, dass nur ein Bruchteil der Gesamtmasse des Universums in Form von
"normaler" Materie vorliegt - der große Rest ist so genannte Dunkle Materie oder
Dunkle Energie. Doch auch von einem Teil der "normalen" Materie fehlte bislang
ein beträchtlicher Teil. Dank des Röntgenteleskops Chandra könnte der
aber nun gefunden worden sein.

Chandra-Aufnahme von Mkn 421, einem Quasar in 400 Millionen
Lichtjahren Entfernung. Bild: NASA / SAO / CXC /
F.Nicastro et al.
Schematische Darstellung, wie das Licht von Mkn 421 auf dem Weg
zur Erde durch die zwei Gaswolken absorbiert wurde.
Bild: CXC / M.Weiss |
Die Astronomen wissen aus unterschiedlichsten Messungen ziemlich genau, wie
viel gewöhnliche Materie - Neutronen, Protonen und Elektronen, also der Stoff
aus dem Sterne, Planeten und Menschen gemacht sind - beim Urknall vor 14
Milliarden Jahren entstanden ist. Doch sichtbar in Form von Sterne und
leuchtenden Gaswolken ist nur die Hälfte davon - die andere Hälfte scheint im
Verlauf der kosmischen Geschichte verloren gegangen zu sein. Nun gelang es
amerikanischen Forschern, die verlorene Materie aufzuspüren: Sie bildet extrem
heiße Gasströme zwischen den Galaxien. Die Forscher veröffentlichen ihre
Entdeckung in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Nature.
Solche heißen Gasströme - ihre Temperaturen liegen im Bereich von mehreren
Hunderttausend bis zu Millionen Grad - kennen die Astronomen bereits aus der
Umgebung unserer Milchstraße. Auch hatten Computersimulationen der kosmischen
Entwicklung gezeigt, dass nach der Entstehung der ersten Galaxien ein großer
Teil der Materie als heiße Gaswolken im Kosmos vagabundieren könnte. Doch
bislang war es nicht gelungen, diese Gasströme außerhalb unserer kosmischen
Nachbarschaft aufzuspüren und so ihre Gesamtmasse zu bestimmen.
Das gelang jetzt Fabrizio Nicastro vom Harvard-Smithsonian Center for
Astrophysics in Boston und seinem Team. Die Wissenschaftler stießen in Daten
des Röntgensatelliten Chandra auf die Spuren der fehlenden Materie.
Chandra hatte in den Jahren 2002 und 2003 einen Röntgenstrahlungs-Ausbruch
der aktiven Galaxie Markarian 421 aufgenommen. Die Strahlung des Ausbruchs, so
fanden Nicastro und seine Kollegen bei ihrer Analyse der Daten heraus, wurde
teilweise durch zwei eine Million Grad heiße Gaswolken absorbiert, die zwischen
uns und Markarian 421 liegen.
Aus der Stärke der Absorption konnten die Forscher die Größe und Masse der
Wolken ableiten. Sind diese typisch für beliebige Sichtlinien im Kosmos, so
ergibt sich, dass solche heißen Gaswolken insgesamt genau die gesuchte fehlende
Materie enthalten. Allerdings erlöst diese Entdeckung die Kosmologen nur von
einem kleinen Teil des Problems der fehlenden Masse im Universum: Die normale
Materie aus Neutronen, Protonen und Elektronen macht nur vier Prozent des Kosmos
aus - den Rest bilden die so genannten Dunkle Materie und Dunkle Energie. Und
von diesen rätselhaften Bestandteilen fehlt weiterhin jede Spur.
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